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Politik

„Drastische Verschärfung der Lage“: Führungsriege der HDP verhaftet – schwerer Anschlag in Diyarbakır

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Es war seit langem absehbar. Dennoch sind viele Türken und ausländische Beobachter nicht minder schockiert: Die Führung der pro-kurdischen HDP wurde Donnerstagabend festgenommen. Direkt darauf kam es zu ersten Terroranschlägen.

Bei nächtlichen Razzien hatte die Polizei insgesamt zwölf prominente HDP-Politiker verhaftet, darunter die beiden Parteivorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, den Fraktionsvorsitzenden İdris Baluken, den aus Nordrhein-Westfalen stammenden Parlamentsabgeordneten Ziya Pir, den spätestens seit den Gezi-Protesten auch in Deutschland bekannten Abgeordneten Sırrı Süreyya Önder, Leyla Birlik, Selma Irmak, Gülser Yıldırım und Ferhat Encü. Ihnen wird vorgeworfen, Mitglied einer Terrororganisation zu sein.

Laut Staatsanwaltschaft wurden sie festgenommen, weil sie zu einer Anhörung bezüglich Ermittlungen zur PKK-Dachorganisation KCK nicht erschienen waren. Besagte Ermittlungen stehen im Zusammenhang mit dem Kampf zwischen YPG und IS um die Stadt Kobanê Ende 2014. Die verhafteten Politiker sollen zu Protesten gegen die Regierung aufgerufen haben, weil die türkische Regierung Waffenlieferungen zur Unterstützung der YPG gegen den IS verweigert hatte. Bei diesen Protesten im Südosten der Türkei war es zu 46 Menschen getötet worden.

Eine Aufnahme der Verhaftung von Figen Yüksekdağ, die wahrscheinlich ihr Ehemann gemacht hat, kursiert im Internet. Darin ist zu sehen, wie die Polizei die 44-Jährige auffordert, ihre Haustür zu öffnen. Ihr Ehemann verweist darauf, dass ihr Anwalt informiert sei und in fünf Minuten da sein werde. Daraufhin brechen die Beamten die Tür auf und dringen in ihre Wohnung ein. Es kommt zu tumultartigen Szenen in deren Verlauf das Video abbricht.

Nach einem Verhör durch die Staatsanwaltschaft wurde Ziya Pir mittlerweile wieder freigelassen. Er unterliegt der Auflage einer polizeilichen Meldepflicht und einer Ausreisesperre. Selahattin Demirtaş hat laut der Tageszeitung Hürriyet ebenfalls bereits eine Aussage vor der Staatsanwaltschaft gemacht, das Gericht soll angeordnet haben, ihn in Haft zu belassen. Gleiches wird für Figen Yüksekdağ gefordert.

In der Türkei werden Proteste gegen die Verhaftung der gewählten HDP-Abgeordneten bisher unterbunden. Vor allem ließen die Behörden den Zugang zu sozialen Medien wie Facebook, Twitter und Whatsapp sperren. In Istanbul und Ankara war das mobile Internet zeitweise nicht erreichbar. Regierungskritiker in der Türkei nutzen soziale Medien, um Informationen auszutauschen und beispielsweise Demonstrationen zu organisieren. Alle Massenmedien sind inzwischen auf Regierungskurs. Zahlreiche kritische Medien ließ Erdoğan in den vergangenen Wochen per Notstandsdekret schließen.

Auch aus dem Ausland kommt harsche Kritik an dem Vorgehen gegen die oppositionellen Parlamentarier. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini zeigte sich bestürzt über das Vorgehen der türkischen Justiz und sagte, sie sei „äußerst beunruhigt“. Wie Spiegel Online meldet, hat der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier den türkischen Gesandten in Berlin einbestellt. „Die nächtlichen Festnahmen von Politikern und Abgeordneten der kurdischen Partei HDP sind aus Sicht des Außenministers eine weitere drastische Verschärfung der Lage“, hieß es dazu aus dem Auswärtigen Amt.

Am Morgen nach der Festnahme ist es in der südosttürkischen Kurdenmetropole Diyarbakır zu einer schweren Explosion gekommen. Türkischen Medienberichten zufolge wurden dabei acht Menschen getötet, davon zwei Polizisten und sechs Zivilisten. Laut Premierminister Binali Yıldırım gab es über hundert Verletzte, davon 93 leicht. Dem Gouverneursamt von Diyarbakır zufolge war ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug vor einem Polizeihauptquartier detoniert. Die PKK hat sich bereits zu dem Anschlag bekannt.

Wie üblich nach solchen Anschlägen haben die türkischen Behörden laut Anadolu Ajansı (AA) eine Nachrichtensperre verhängt.

Anwohner sagten der Deutschen Presse-Agentur, die Detonation habe sich am Freitagmorgen in der Nähe des Polizei-Hauptquartiers der Provinz Diyarbakır ereignet und sei in weiten Teilen der Stadt zu hören gewesen. Hubschrauber kreisten über Diyarbakır.

In den Kurdengebieten in der Südosttürkei und in anderen Regionen sperrten die Behörden in der Nacht den Zugang zu sozialen Medien. In der Millionenmetropole Istanbul war zeitweise das mobile Internet per Handy nicht zu erreichen.  (mit Material von dpa)