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Politik

Dritte Schlägerei in einer Woche: Fliegt die HDP bald aus dem Parlament?

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Derzeit kursieren Bilder und Videos von Schlägereien zwischen türkischen Abgeordneten im Internet. Dabei verdrängen sie den Blick auf den eigentlich relevanten Teil der Geschichte an den Rand der Berichterstattung.

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Im türkischen Parlament wird in den letzten Tagen heftig gestritten. So heftig, dass es innerhalb einer Woche zu drei Schlägereien zwischen Abgeordneten der Regierungspartei AKP und der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP kam. Wie streitende Schulkinder gingen Volksvertreter aufeinander los, bewarfen sich mit Flaschen, schlugen sich mit blanken Fäusten ins Gesicht. Derlei Zeugnisse politischer und sittlicher Verrohung sorgen weit über die Türkei hinaus für Kopfschütteln und gehen entsprechend viral durch die Weiten des Internets. Dabei verdrängen sie den eigentlich relevanten Teil der Geschichte an den Rand der Berichterstattung. Die AKP steht vor einem weiteren Etappensieg auf dem Weg zum von Staatspräsident Erdoğan geforderten Präsidialsystem und versucht, sich eines Haupthindernisses auf dem Weg dahin zu entledigen: Der HDP.

Die Verfassungskommission im Parlament hat den Weg dafür bereitet, die Immunität von 136 Abgeordneten aufzuheben. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu Ajansı (AA) berichtet, hat die Kommission in der Nacht von Montag auf Dienstag mit den Stimmen der AKP, der kemalistischen CHP und der nationalistischen MHP den entsprechenden Antrag verabschiedet. Gegen 23 Uhr verließen die Abgeordneten der HDP die Kommission unter Protest, Fäuste in die Luft gestreckt und “Çerxa Şoreşe”, den “Revolutionsmarsch Kurdistans” singend. “Wir haben alles gesagt, was es zu sagen gab. Ab jetzt wird auf dieser Bühne nur noch ein Theaterstück gespielt und wir wollen kein Teil dessen sein”, sagte Mithat Sancar, Bruder des türkischen Nobelpreisträgers Aziz Sancar und Parlamentsabgeordneter der HDP.

Nach dem Auszug der HDP-Delegation verabschiedete die restliche Opposition in Eintracht mit der Regierung den Antrag. Nun soll am 16. Mai eine Verfassungsänderung vom Parlament abgesegnet werden, die die Immunität von Abgeordneten aufhebt, gegen die ein entsprechender Antrag der Staatsanwaltschaft vorliegt. Das betrifft vor allem die HDP, genau genommen 50 ihrer 59 Abgeordneten, darunter die beiden Co-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ sowie weitere bekannte Parteipolitiker wie Sırrı Süreyya Önder.

Aus der HDP war zu hören, dass die Verfassungsänderung nur einen Monat Gültigkeit haben solle und nicht vor dem Verfassungsgericht angefochten werden könne. Dem Beschluss ging eine wochenlange Debatte voraus, die politische Gemengelage ist unübersichtlich. Relativ offensichtlich ist jedoch, dass die HDP das Hauptziel der Initiative ist. Die CHP fordert bereits seit langem die nun beschlossene Regelung – allerdings aus anderen Gründen als die Regierungspartei. Während AKP und MHP darauf insistieren, dass die HDP der verlängerte Arm der PKK sei und ihre Abgeordneten wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation vor Gericht gehören, fordert die größte Oppositionspartei die Immunitätsregelung, um eine Verfolgung der Korruptionsvorwürfe zu ermöglichen, die der AKP seit nunmehr zweieinhalb Jahren anhängen.

Der Politikwissenschaftler Dr. Savaş Genç verweist gegenüber DTJ auf die Strategie Erdoğans, sein Ziel mittels Polarisierung zu erreichen: „Das wendet er auch hier an. Das Präsidialsystem ist im Wahlvolk sehr unbeliebt. Er will wieder eine Gefahrensituation herbeiführen, um sich und sein Präsidialsystem als Erlöser zu präsentieren.“ Dieser Polarisierungsstrategie wolle die CHP vorbeugen, womit sie sich Genç zufolge jedoch verrechne: „Die CHP hat zwar andere Gründe, den Antrag mitzutragen, jedoch hat sie keine Chance auf Erfolg. Erdoğan herrscht über den Justizapparat und der Wunsch der CHP, dass die Aufhebung der Immunität auch zur Verurteilung von AKP-Abgeordneten führt, wird sich nicht erfüllen.“