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Kolumnen

„Du bist kein Deutscher, wenn du Türke bleibst”

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Die Optionspflicht für Menschen, die mit 23 einen ihrer beiden Pässe abgeben müssen, ist ein Scheingeschäft. Dabei erkennt das deutsche Privatrecht Scheingeschäfte nicht an, nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch sind sie gar nichtig. (Foto: cihan)

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„Du bist kein Deutscher, wenn du Türke bleibst”
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Grundsätzlich erwarb ein neugeborener Mensch in Deutschland die Staatsangehörigkeit automatisch durch die Abstammung von Eltern, die selbst deutsche Staatsangehörige waren (sog. Abstammungsprinzip).

Das Optionsmodell stellt seit seiner Einführung im Jahre 2000 eine Erweiterung der Möglichkeit des Erwerbs der Staatsangehörigkeit dar. Das Modell ist in § 29 des Staatsangehörigkeitsgesetzes geregelt. Demnach verleiht Deutschland seine Staatsbürgerschaft auch an die auf seinem Staatsgebiet geborenen Kindern (sog. Geburtsortsprinzip).

Somit erwerben innerhalb der Grenzen Deutschlands geborene Kinder mit ausländischen Eltern nach dem Abstammungsprinzip die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern und nach dem Optionsmodell die deutsche Staatsangehörigkeit. Diese Kinder mit doppelter Staatsbürgerschaft sind jedoch optionspflichtig, d.h. sie müssen ab ihrem 18. und spätestens bis zu ihrem 23. Lebensjahr zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und jener ihrer Eltern entscheiden. Sonst droht der automatische Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit.

Die Konsequenzen des Optionsmodells machen sich seit Anfang dieses Jahres bei vielen Kindern ausländischer Eltern bemerkbar. Sie sind nun 23 Jahre alt. Jedes in Deutschland geborene Kind mit türkischen Eltern hatte seither nach dem Optionsmodell sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsbürgerschaft. Es war Deutschtürke.

Die Lebensjahre 18-23 werden nun als eine Zeitspanne definiert, in der die optionspflichtigen Heranwachsenden ihr „Ich“ gesucht und gefunden, ihre Persönlichkeit gefestigt und ihre Entscheidung über ihre Lebensweise getroffen haben sollen. 23 Jahre lang war das Optionskind jedoch deutscher und türkischer Staatsbürger. Es fühlt sich in aller Regel längst an beide Länder gebunden.

Es ist Deutscher, weil der Heranwachsende in Deutschland geboren ist, die schulische Bildung in Deutschland genossen, deutsche Freundschaften geschlossen, die deutsche Kultur kennengelernt, zum Teil die deutsche Mentalität schon übernommen hat.

Erwerb einer Scheinzugehörigkeit

Es ist aber auch Türke, weil beide Eltern Türken sind, der Heranwachsende somit türkische Wurzeln hat, er schon im Babyalter die türkische Sprache kennengelernt und im Türkei-Urlaub seine türkischen Verwandten lieb gewonnen hat.

Mit 23 Jahren heißt es seitens der deutschen Behörde nun, „Du bist kein Deutscher, wenn du Türke bleibst!“ „Du bist kein Türke, wenn du dich für die deutsche Staatsangehörigkeit entschließt!“ Aus dieser Schlussfolgerung resultiert die Erkenntnis, dass es sich hierbei nur um eine deutsche „Scheinstaatsbürgerschaft“ handeln kann.

Beim Optionsmodell drängt sich folgerichtig die Frage auf, ob das Optionsmodell nicht auch ein „Scheingeschenk“ an Migrantenkinder ist oder sogar eine „Staatsangehörigkeitsillusion“ schafft. Und diese Annahme ist auch in keiner Weise von der Hand zu weisen, weil es in Wahrheit kein Geschenk ist, sondern eher ein Teufelskreis, aus dem es für die Optionskinder in keiner Weise einen zufriedenstellenden Ausweg gibt.

Die Bezeichnung „Staatsangehörigkeitsillusion“ könnte ihre Rechtfertigung darin finden, dass die doppelte Staatsbürgerschaft der Optionskinder eine verfälschte Wahrnehmung schafft. In Wahrheit ist es ein Geben unter der auflösenden Bedingung des Nehmens: „Ich attestiere dir die Staatszugehörigkeit, du bist Deutscher! Du bist hier integriert. Nur nehme ich das alles zurück, wenn du deine ausländische Staatsbürgerschaft nicht aufgibst. Denn dann bist du nicht integriert.“ Diese Herangehensweise verfälscht die Wahrnehmung der Realität über das Zugehörigkeitsgefühl der Optionspflichtigen.

Dabei sind in Deutschland im Privatrecht Scheingeschäfte, Scheinverhältnisse bekanntlich nicht anerkannt. Scheingeschäfte sind nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch grundsätzlich nichtig. Eine anfängliche, beiderseitige Scheinehe kann aufgehoben werden. Selbst international wird beim Scheintoten davon ausgegangen, dass es unklar ist, ob er noch lebt oder tot ist. Wer würde schon gerne scheintot sein? Warum soll es Konstrukte dieser Art aber dann offiziell im Bereich des öffentlichen Rechts geben?

Nach 23 Jahren nicht mehr integriert?

Das optionspflichtige Kind besitzt eine vermeintliche doppelte Staatsangehörigkeit, die eher eine Luftblasen- als eine Zugehörigkeitsfunktion hat. Weder die eine noch die andere Staatsbürgerschaft stehen bei ihm zu Debatte. Es ist für den hier Aufgewachsenen eine Selbstverständlichkeit, beides zu sein.

Denn seit seinem ersten Atemzug auf der Welt ist das in Deutschland geborene Kind Bürger beider Staaten. Dabei werden Erzieher zweifellos zustimmen, dass gerade die Kindheit eines Menschen prägend ist.

Das Kind nimmt beide Staatszugehörigkeiten an, es hat beide Pässe. Sie sind seit seiner Kindheit sein Eigentum, sie gehören ihm. Doch spätestens mit 23 Jahren muss er einen der Pässe zurückgeben. So will es das Deutschland, in dem es lebt.

Dabei stellt der Zwang, sich bis zum 23. Lebensjahr für eine der beiden Staatsangehörigkeiten entscheiden zu müssen, die Verfassungsmäßigkeit des Modells in Frage. Denn Artikel 16 des Grundgesetzes erlaubt zwar den Verlust der Staatsangehörigkeit, verbietet jedoch ihren Entzug. Liegt hier etwa ein Verstoß gegen das deutsche Grundgesetz vor?

Die Rechtfertigung des Optionsmodells ist ein „Scheinargument“. Es wird den Kindern das Recht eigeräumt, aufgrund des Geburtslandes Deutschland automatisch und somit erleichtert die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. Eine Erleichterung also, die dem Scheindeutschen mit spätestens 23 Jahren wieder zur Erschwernis wird. Die gewährte Erleichterung wird nun zur Mutprobe.

Das Modell soll(te) die höchst umstrittene Mehrstaatlichkeit vermeiden, um die Integration in Deutschland zu fördern. Dabei akzeptiert Deutschland bei Kindern unter anderem von EU-Staatsbürgern und Schweizern längst diese Mehrstaatlichkeit. Diese brauchen anscheinend nicht integriert zu werden.

Also besteht somit ein eklatanter und sachlich nicht zu rechtfertigender Unterschied zwischen diesen Bürgern und den Optionspflichtigen. Liegt hier etwa ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Artikels 3 Grundgesetz vor?

Wird einmal mehr mit falschen Vorstellungen herangegangen?

Es hat den Anschein, als ob sich die Geschichte der Gastarbeiter wiederholen würde. Als die ersten Gastarbeiter nach Deutschland kamen, ging Deutschland davon aus, sie würden nach paar Jahren geleisteter Dienste ohne weiteres zurückkehren. Nun geht Deutschland davon aus, die Optionskinder würden sich problemlos zwischen ihren Staatszugehörigkeiten entscheiden.

Die Rechnung mit der Rückkehr ins eigene Land ist aber nicht aufgegangen. Die Rechnung mit der zwangsweisen Entscheidung für die eine oder andere Staatsbürgerschaft ist noch offen. Vielleicht wird sie auch nie beglichen. Doch dies hängt primär vom Verhalten und Widerstand der Optionspflichtigen ab.

Der doppelte Staatsbürger nach dem Optionsmodell ist mehr Schein als Sein. William Shakespeare hat es aber im Hamlet schon längst erkannt: „Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage.“