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Politik

Dündar an Erdoğan: „Drohe mir nicht, sondern beantworte diese 20 Fragen“

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Cumhuriyet-Chefredakteur Dündar hat 20 Fragen an Präsident Erdoğan gestellt. Es geht um die angeblichen Waffenlieferungen nach Syrien und die Arbeitsweise des türkischen Geheimdienstes MİT. Derweil ist neues Videomaterial aufgetaucht.

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Can Dündar, Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet, hat in der Affäre um die Veröffentlichung von Bild- und Videomaterial aus den LKWs, die angeblich Waffen nach Syrien lieferten, an Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan 20 Fragen gestellt. Dündar ruft Erdoğan auf, von Drohungen abzusehen und die Fragen zu beantworten.

Der Präsident erstattete am Dienstag Anzeige gegen den Journalisten. Darin forderte er zwei Mal lebenslange Haft für Dündar.

Unterdessen hat Cumhuriyet neues Videomaterial von den LKW-Untersuchungen veröffentlicht. Es ist davon auszugehen, dass auch dieses in wenigen Stunden nicht mehr abrufbar sein wird.

Hier die 20 Fragen:

1-Präsident Erdoğan erklärte am 12. Mai auf dem Rückflug seiner Reise nach Deutschland, dass niemand sagen könne, dass der Geheimdienst MİT Waffen an al-Qaida geliefert habe. Man könne nicht eine solche Verleumdung in die Welt setzen und unseren Geheimdienst in ein schlechtes Licht rücken. Wenn sie (diejenigen, die dies behaupten) Ehre besäßen, so Erdoğan, seien sie verpflichtet, ihre Behauptungen zu belegen. Erdoğan behauptet, die Türkei hätte humanitäre Hilfe an die Turkmenen in Syrien geliefert.

Warum hat er angeordnet, eine Strafanzeige zu erstatten, nachdem mit Bildmaterial erwiesen wurde, dass der Geheimdienst Waffen lieferte?

2-Als der Artikel in der Zeitung Cumhuriyet am 29. Mai erschien, sagte Ministerpräsident Davutoğlu in Kayseri einer französischen Nachrichtenagentur, dass die Hilfe „für die Freie Syrische Armee und das syrische Volk bestimmt“ gewesen sei. Am nächsten Tag bei seinem Wahlkampfauftritt in Ankara korrigierte er sich jedoch und sagte, die Hilfen gingen „an die Bayırbucak-Turkmenen in Syrien“.

Was ist in der Zwischenzeit passiert, dass der Ministerpräsident nun eine andere Meinung vertritt?

3-Der stellvertretende Vorsitzende der AKP, Yasin Aktay, sagte am 18. März, dass die Hilfen an die Freie Syrische Armee gingen.

Hatte auch er sich geirrt?

4-Falls die Hilfen für die Turkmenen tatsächlich bestimmt war, warum hat man dann nicht einen Grenzübergang ausgesucht, von der man die Turkmenen hätte am leichtesten erreichen können? Warum hat man den Grenzübergang Reyhanlı ausgewählt, die sich zu der Zeit unter der Kontrolle der al-Nusra befand?

5-Ist es nicht eine Straftat, wenn Verantwortliche des Staates ihr Volk, das Parlament und die Weltöffentlichkeit belügen und die Journalisten bedrohen, die die Lügen aufgedeckt haben? Oder: Welches ist eine schwerere Straftat?

6-Unabhängig von der Frage, wem die Hilfen galten: Wenn eine Handlung nach nationalem und internationalem Recht eine Straftat ist, ist es dann richtig, von einem Journalisten zu erwarten, dass er schweigt und Teil der Straftat wird? Wäre es nicht eher eine Straftat, wenn ein Journalist die Veröffentlichung zurückhält?

7-Wurden die Fotos und Videos zensiert, weil sie echt waren oder weil sie unecht waren?

8-Wenn die Lieferungen humanitärer Art waren, warum werden sie geheim gehalten, während andere humanitäre Hilfen großspurig verkündet wurden? Wenn tatsächlich Medikamente und Bettdecken geliefert wurden, warum sollte es sich dann dabei um ein Staatsgeheimnis handeln? Warum wird die Veröffentlichung mit einem Verbot belegt, anstatt sie mit Stolz der Öffentlichkeit zu präsentieren?

9-Die Staatsanwaltschaft in Adana hat Ermittlungen eingeleitet mit der Begründung, dass wir „Bilder, die nicht die Wahrheit abbilden“, veröffentlicht hätten. Wenn es so ist, warum wurden dann Ermittlungen eröffnet mit der Begründung, dass wir Staatsgeheimnisse verraten hätten? Wenn die Lieferungen geheim bleiben sollten, warum werden sie dann als unwahr bezeichnet?

10-Die gleiche Staatsanwaltschaft leitet Ermittlungen ein mit der Begründung, Informationen veröffentlicht zu haben, die geheim bleiben sollten. Wem zufolge und für wen sollten diese Informationen geheim bleiben? Für das Volk? Den Geheimdienst? Den IS? Wer entscheidet nach welchen Kriterien, dass die Interessen des Staates in der Geheimhaltung und nicht Veröffentlichung dieser Informationen liegt?

11-Ist es erlaubt, den Stempel „Staatsgeheimnis“ zum Zwecke der Verdeckung einer Straftat zu verwenden? Reicht es aus, etwas Unrechtes zu legitimieren, indem man es als Geheimnis ausgibt? Wenn beispielsweise ein Putschversuch aufgedeckt werden sollte, sollte man ihn geheim halten mit der Begründung, es sei ein Staatsgeheimnis? Wer ist in diesem Fall schuldig? Die Verantwortlichen für den Putschversuch oder diejenigen, die ihn aufgedeckt haben?

12-Nehmen wir an, die Waffen sollten an die Turkmenen geliefert werden und nicht an die Freie Syrische Armee. Wenn es nach nationalem und internationalem Recht legitim ist, warum seht ihr dann die Notwendigkeit, diese Lieferungen geheim zu halten und zu lügen?

13-Wenn die Waffen bei einem unvorhergesehenen Unfall – wie in Reyhanlı – explodiert wären und viele Bürger gestorben wären; wer hätte dann die Verantwortung übernommen? Hätte man wieder irgendeine Organisation gefunden und sie damit belastet?

14-Ministerpräsident Davutoğlu sagte, es gehe niemanden etwas an, was sich in den LKWs befand. Ist er dem Parlament keine Erklärung schuldig? Und dem Volk, dessen Sicherheit aufs Spiel gesetzt wurde?

15-Hat der Geheimdienst MİT die Aufgabe, internationale Waffentransports zu übernehmen? Wenn ja, ist dies gesetzlich geregelt?

16-Falls die Waffen an die Turkmenen geliefert worden wären, hätte dies an der Tatsache etwas geändert, dass es eine illegale Operation war? Legitimiert die Adresse Waffenlieferungen durch staatliche Hand?

17-Wenn es sich bei der Entscheidung um eine Politik des Staates handelt, warum wussten davon der Gouverneur, die Staatsanwaltschaft, die Gendarmerie und sogar der Regionalverantwortliche des MİT vor Ort nicht?

18-Als die LKWs angehalten wurden, gab der MİT der Staatsanwaltschaft eine schriftliche Erklärung, dass die Ladung ihm gehöre und es sich um eine innertürkische Lieferung zwischen den Einheiten handele. Ist es eine gängige Praxis, dass eine staatliche Institution einer anderen staatlichen Institution unechte Dokumente ausstellt und sie damit belügt?

19-Ist dieser Skandal nicht ein Beweis dafür, wie unfähig der MİT ist? Ist es nicht unerhört, dass er seine LKWs anhalten lässt, versucht, die Identitäten seiner Mitarbeiter geheim zu halten? Ist unser Geheimdienst in den Händen dieser Leute gut aufgehoben?

20-Letzte Frage: Warum war Geheimdienstchef Hakan Fidan zurückgetreten? Hat die Aufdeckung dieser Operation vielleicht etwas damit zu tun, dass einige innerhalb des MİT sich an den illegalen Operationen störten?

Pamuk und Co. solidarisieren sich mit Dündar

Derweil haben türkische Intellektuelle und Sänger wie Orhan Pamuk und Sezen Aksu Can Dündar ihre Solidarität ausgedrückt. Die Cumhuriyet veröffentlichte in ihrer Mittwochsausgabe unter dem Titel „Wir sind mit dir“ Solidaritätsbekundungen von 30 Künstlern, darunter bekannten Schauspielern, Sängern und Autoren.

Pamuk schrieb, die Pressefreiheit sei ein unverzichtbarer Teil der Demokratie und dürfe der Aufregung und dem Ärger vor der Wahl nicht zum Opfer fallen.