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Wirtschaft

Unter der schwachen Lira leidet die türkische Privatwirtschaft

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Die türkische Notenbank hat den Leitzins überraschend gesenkt. An den Devisenmärkten wird nun mit einem erneuten Schub nach unten gerechnet. (Foto: reuters)

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Türkische Wirtschaft: Die türkische Notenbank hat den Leitzins vergangene Woche überraschend gesenkt. Der Schritt sorgt für heftige Debatten in der Türkei.
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Die Leitzinspolitik der türkische Zentralbank (Türkiye Cumhuriyet Merkez Bankasi, TCMB) löste innerhalb der türkischen Regierung eine Debatte aus. Während führende AKP-Politiker, wie etwa der stellvertretende Ministerpräsident und Staatsminister Ali Babacan und Finanzminister Mehmet Şimşek, den Schritt des TCMB-Präsidenten Erdem Başçı verteidigen, kritisiert der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan die Entscheidung stark. Die Zentralbank hatte vergangene Woche überraschend den Leitzins um 50 Basispunkte gesenkt. Von nun an beträgt er 9,50%, nach zuvor 10,0%. Der Schritt wird an den internationalen Devisenmärkten mit Erstaunen aufgenommen. 

Viele Analysten hatten mit einer solchen Bewegung erst bei sinkenden Inflationszahlen gerechnet. Die Preissteigerung lag in der Türkei zuletzt aber bei 9,4%. Somit ist der Realzins nur noch minimal im positiven Bereich.

Wenn die Inflationszahlen für den Mai veröffentlicht werden, wird dann mit negativen Realzinsen gerechnet. Und das ist kein gutes Zeichen. Denn die Türkei ist wie viele andere Schwellenländer von Kapitalimporten abhängig. Das Leistungsbilanzdefizit lag 2013 bei mehr als 65 Mrd. US-Dollar, was etwa 7,5% des BIP entsprach. Das ist zwar relativ gesehen weniger als in den Vorjahren, dennoch bleibt es die „Achillesferse“ der türkischen Wirtschaft.

Hauptursache dafür ist die hohe Abhängigkeit von Energieimporten, die allein mehr als 50% des Leistungsbilanzdefizits ausmachen. Um frisches Kapital aus dem Ausland zu erhalten, braucht die Türkei aber ein vernünftiges Realzins-Niveau. Ministerpräsident  Erdoğan ist derzeit mit Blick auf die internationalen Märkte keine Hilfe.

Märkte erwarten weiteren Lira-Verfall

Der Regierungschef, übrigens kein Fachmann für Geldpolitik, hat erneut die Politik der TCMB scharf kritisiert. In seinen Augen hätte die Zinssenkung deutlicher ausfallen müssen. Mit einer Zinssenkung von 50 Basispunkten hätte sich die TCMB „über die Nation lustig gemacht“, wird er zitiert. Mit dieser Einmischung schreckt der AKP-Chef die Rating-Agenturen auf. Fitch warnte, dass die Notenbank ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren droht. Auch S&P signalisiert Besorgnis, da die Widerstandsfähigkeit der türkischen Wirtschaft gegenüber externen Schocks beeinträchtigt werde. Nun könnten wieder dunkle Wolken über der Lira aufziehen.

Somit dürften sich die Aussichten für die Türkische Lira wieder verschlechtern. Die Commerzbank-Analysten rechnen beispielsweise mit einem Anstieg Richtung 3 Lira pro Euro, aktuell müssen Firmen und Privatleute rund 2,85 TL für einen Euro auf den Tisch legen. Dieses Niveau hatte die Währung bereits im Januar erreicht, kurz darauf gab es jedoch eine Stabilisierung.

Zu dem jüngsten Verfall hat aber auch das ungeschickte Agieren von Erdoğan im Zuge des Bergwerksunglücks in Soma beigetragen. Mit einer besseren Wortwahl wäre zumindest kurzfristig kein Druck auf die Lira aufgekommen, heißt es von den Devisenexperten.

Einfluss von EZB und Fed

Mitentscheidend wird sein, wie die Europäische Notenbank EZB und die Federal Reserve aus den USA ihre Geldpolitik in den nächsten Monaten fortführen. Bleibt alles so „locker“ wie gehabt, ist eine Stabilisierung der Lira möglich. Werden die Zügel jedoch nur leicht angezogen, was zumindest in den USA möglich ist, dann entsteht neuer Druck auf Schwellenländerwährungen wie die Lira. Eine Einmischung der Politik ist da nur kontraproduktiv.

Daneben aber gibt es auch noch direkte Auswirkungen auf die Privatwirtschaft. Unter dem Lira-Verfall im vergangenen Jahr haben vor allem Unternehmen aus den Sektoren Energie, Infrastruktur und Konsum leiden müssen. Wer beispielsweise Maschinen importieren muss, sich aber dafür in Dollar oder Euro verschuldet, hat dadurch automatisch höhere Verbindlichkeiten.

Druck könnte es zudem von den Rohstoffmärkten geben. So rechnen erste Investmentbanken, allen voran Goldman Sachs, mit steigenden Rohstoffpreisen im zweiten Halbjahr 2014. Die Türkei – eigentlich ein sehr rohstoffreiches Land, aber mit zu geringer Förderung – muss dann mit Mehrkosten bei Basismetallen und natürlich auch Energierohstoffen rechnen. Das könnte die Unternehmen zusätzlich belasten.

Chance für Exporteure

Die gute Nachricht: im Jahresverlauf ist bisher nur eine Stabilisierung von Rohstoffpreisen feststellbar. Zuvor waren die Notierungen fast ausnahmslos über drei Jahre gefallen. Allerdings gibt es auch hier verschiedene Meinungen.

Die Rohstoffanalysten von der Hessischen Landesbank rechnen beispielsweise auch künftig mit einer Seitwärtsbewegung bei den Preisen für Metalle, wie sie diese Woche in einer Kurzanalyse schrieben. Lediglich Sonderfaktoren wie im Fall Nickel könnten größere Bewegungen auslösen. Die schwache Lira bietet auf der anderen Seite Chancen für türkische Exporteure. Sie können ihre Güter im Euroraum und in den USA günstiger anbieten und so Marktanteile hinzugewinnen.

Zudem dürfte die Reisebranche weiterhin mit günstigen Hotels um Touristen werben. Kurz vor dem Beginn der Hauptsaison ist das ein nicht zu unterschätzender Vorteil gegenüber den Destinationen im Euroraum, die sich mit dem starken Euro abplagen müssen.