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Kolumnen

Durch den Wolf gedreht

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Zu Beginn muss man es nicht gleich vermutet haben, aber nun ist es offensichtlich: Wulff soll und wird gehen.

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Zu Beginn muss man es nicht gleich vermutet haben, aber nun ist es offensichtlich: Wulff soll und wird gehen. Die nun schon über Wochen anhaltende Medienkampagne, die auch die vorweihnachtliche Erklärung des Präsidenten nicht besänftigen konnte, wird mit neuer Munition im neuen Jahr fortgesetzt. Nun, er hat nicht nur Vorteile im Amt genutzt, sondern auch gelogen, denn zur Zeit dieser Erklärung am 15 Dezember 2011 hat er unter anderem Dinge für erledigt erklärt, die er offensichtlich noch vorhatte, wie die Umwandlung des peinlichen Privatkredits in ein Bankdarlehen.
Die weiteren Details erspare ich uns hier, sie werden jeden Tag durch die Zeitungen, Radiomeldungen und Fernsehnachrichten geschleust. Ob neu oder nicht, jeden Tag wird die Brisanz der Angelegenheit aufgewärmt. Das stößt nur dann auf, wenn man fragt, warum gerade Wulff? Die Karrieren sämtlicher Spitzenpolitiker zeichnen sich doch aus durch Verquickungen mit den Macht- und Finanzeliten, die sich spätestens nach Amtsaufgabe in diversen Aufsichtsratsposten und ähnlich Lukrativem verraten. Gerade im niedersächsischen Hannover ist immer wieder das Freundschaftsgebahren um Carsten Maschmeyer ins Gerede gekommen, der ja auch Wulff gesponsert haben soll – aber eben auch anderes sponsert, während er teilweise durch Kinderarbeit reich wird, wie eine NDR-Dokumentation im Sommer 2011 aufdeckte. Nun macht es natürlich einen Unterschied, ob Maschmeyer versucht Druck auf die Medien auszuüben oder ob der Präsident persönlich bei der Bildzeitung anruft, um eine Meldung über sein Finanzgebahren zu unterdrücken. Und natürlich ist Wulffs Verhalten nicht zu entschuldigen.
Aus medialer Sicht stellen sich aber noch andere Fragen: Warum etwa wurde diese Information bis zuletzt aufgespart? Und woher wusste Wulff von der Veröffentlichung? Wer hat ihn vorab informiert? Sollte er vielleicht provoziert werden zu seinem peinlichen Outing in Sachen Pressefreiheit und Privilegienmissbrauch? Wem nützt diese ganze Kampagne? Und wovon lenkt sie ab? Denn es kann nicht sein, dass die sog. Vierte Gewalt, hier ein Bauernopfer zerlegt, während die Strukturen, die solche „Gefälligkeiten“ ermöglichen, unangetastet bleiben. Letzteres herauszufinden wäre die Aufgabe einer vierten Gewalt. Warum also geschieht das nicht, sondern bleibt allein auf Wulff fixiert?
Und wenn man schon die Angelegenheit auf ein Ein-Personen-Spektakel reduziert, warum nimmt man Wulffs Verbindungen dann nicht kategorisch auseinander? Denn da gäbe es noch andere Leuchtfeuer, die Licht auf interessante Verbindungen werfen: etwa seine Mitgliedschaft im Kuratorium der christlich-fundamentalistischen Organisation proChrist. Oder seine Ehrerbietung für den Arbeitskreis Christlicher Publizisten (ACP). Neben der Infragestellung von Grundgesetz und Rechtsstaat, vertreten die genannten Organisationen homophobe Ansichten, propagieren die Relativierung der Evolutionslehre und sind teils militante Abtreibungsgegner. Während Wulff als angehender Präsident zumindest offiziell einige Leinen kappte und beispielsweise dem proChrist-Kuratorium den Rücken drehte, pflegen andere Politiker weiterhin gute Kontakte in diese Kreise – etwa Volker Kauder und Ursula von der Leyen, welche als Bundesfamilienministern das umstrittene proChrist-Event Christival 2008 mit 250.000 Euro bezuschusste. Diesen Ausflug ins religiöse Milieu könnte man problemlos durch weitere in diverse andere Milieus ergänzen.
Und wenn es um Bevorteilung und Korruption geht , wäre es gerade in der Wirtschaftskrise angeraten, diese Thematik weniger zu personalisieren, als vielmehr die in langen Jahren gewachsenen Verfilzungen zwischen Parteien, Entscheidungsträgern und Geldflüssen sichtbar zu machen. Dies versuchen NGOs wie lobbycontrol oder auch die nachdenkseiten sowie gut recherchierende Magazine, aber das hat – wie so oft – selten Auswirkungen auf die tägliche Nachrichtenberichterstattung und wenn, dann nicht nachhaltig. Dort hechtet man gerne dem nächsten Sensatiönchen hinterher, wie dem jetzt erst veröffentlichten Fakt der Präsidentendrohung gegenüber dem Springer-Konzern – eben leider ohne die Frage zu stellen: Warum wird das erst jetzt veröffentlicht, wo es doch der ganzen Medienkampagne voran ging?