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Ein Erfahrungsbericht im Ramadan: Der Alltag von Fethullah Gülen

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Für den Einen ein weltweit agierender und mit dem Westen, sowie mit Israel kollaborierender Terroristenführer, für die anderen ein Islamist und Sektierer. Eigentlich hat Fethullah Gülen keine Freunde, außer die übrig gebliebenen. Viel wird über ihn gesagt, wenig kommt von ihm, denn obwohl der muslimische Gelehrte wöchentlich via Youtube öffentlich predigt, bezieht er sich zu den an ihn gerichteten Anschuldigungen kaum. Auch die Berichterstattung über Fethullah Gülen gibt das Zeugnis eines schwindenden investigativen Journalismus ab, der sich anstatt selber ein Bild zu machen, einfach bereits geschriebenes, zum Teil auch plump behauptetes kopiert und wiedergibt. Yusuf Ata hatte nun die Gelegenheit Gülen und seine Anhänger vor Ort zu beobachten. Ein Erfahrungsbericht.

Von Yusuf Ata*

Ein sonniger Tag, Vogelgezwitscher und viele hohe Tannenbäume ringsherum, die in der angenehm schweifenden Brise wohlduftend auf uns einwirken. Dieser unscheinbare Weg durch die Natur wirkt erholsam. So sieht es also aus in Pennsylvania (USA). In Deutschland dachte ich noch an den Abgrund der Welt zu fliegen. Diese ganzen, mit Vorurteilen belasteten Bilder, das laute Geschrei und die Aggression prägen scheinbar doch mein Bewusstsein. Irgendwie bin ich jetzt erleichtert, fühle mich aber zugleich schuldig und schwerfällig. Es hat mich scheinbar alles doch nicht kalt gelassen. All die negativen Schlagzeilen, die schlimmen Ereignisse, das ganze Leid an der zivilen Bevölkerung. Sie sind in meinen Bewusstsein eingedrungen. Das beunruhigt mich. In diesen Gedanken bin ich an der Pforte angekommen. Dort, wo Fethullah Gülen seit nun mehr als 10 Jahren lebt.

Das sogenannte Hauptgebäude lehnt sich an einen sehr großen Wald, ohne Absperrung und ohne Zäune. Man könnte einfach in den Wald spazieren, wenn man wollte. Oder aber man könnte sich auch aus dem Wald heranschleichen und es würde niemand merken. Umliegend befinden sich kleinere Gästehäuser, wo auch wir vier Tage lang wohnen. Es sind bescheiden eingerichtete Räumlichkeiten mit Betten und einem kleinen Badezimmer mit WC und einer sehr kleinen Küchenecke. Ungefähr wie in einem kleinen 2-3 Sterne Hostel.

In der Mitte der Gebäude befindet sich ein dezenter, aber sehr geordneter Garten. Durch ihn gehen wir in Richtung Hauptgebäude. Die Spannung steigt allmählich.

Es wird rund um die Uhr gelesen

Wir gelangen in einen großen Raum, viele Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern sind wie wir zu Gast und sitzen verteilt auf den Sofas. Alle lesen etwas, einige aus dem Koran, manche aus den Risale-i Nur, oder dem Cevsen und andere aus spirituell-literarischen Büchern, wie Mesnevi von Mawlana Dschalaleddin Rumi. Dort habe ich zum Beispiel mit Gästen aus dem Irak gesprochen. Sie sind erst kürzlich hierher gekommen, wie ich also. Meine Augen suchen ungeduldig nach Hodschaefendi (Beiname von Fethullah Gülen), ich dachte ich werde ihn gleich antreffen. Aber viele seien noch in ihren Räumen zurückgezogen, teilte mir einer mit, der schon seit einer Woche hier ist. Dann, etwa eine Drei-Viertel-Stunde später kommt die Information: „Der große Saal steht bereit, wir können uns alle dorthin zum Gebet begeben.“ Es wäre das Mittagsgebet, mein erstes Gebet in diesem Komplex. Wird Fethullah Gülen dort dabei sein? Ich hoffe es sehr, irgendwie aber auch nicht. Natürlich kenne ich ihn aus dem Fernsehen, oder aus Youtube. Ich finde ihn begeisternd, aber was ist, wenn ich enttäuscht werde? Durch den bloßen Anblick, oder wegen eines Verhaltens, was mir nicht gefällt? Wegen den Menschen im Umfeld? Aber ich bin nunmal hier und will ihn trotz diesen Gedanken unbedingt endlich persönlich kennenlernen.

Der große Raum oben ist der Raum, den wir aus dem Fernsehen kennen. Der große Gebetsraum. Dort sitzt Hodschaefendi immer und redet über Gott und die Welt. Der Raum ist sauber, sehr schick eingerichtet, aber trotzdem sehr leer. Es ist sichtbar, dass in diesem Raum in der Regel gebetet wird. Polstermöbel befinden sich an den Wänden entlang. Eine große leere Mitte ist für das Gebet reserviert. Man könnte hier von einem „Mescit“ sprechen, also einem klassischen Gebetsraum.

Alle versammeln sich für das Gebet

Erst versammelten wir uns, nach und nach kamen Menschen aus den Zimmern herein. Dann war er da. Der große Augenblick. Hodschaefendi stand mir Gegenüber. Im selben Raum. Es war auf Anhieb sehr vertraut, diese Person, die man irgendwie sowieso so gut kennt, endlich physisch zu sehen. Es war auf keinen Fall irgendwie enttäuschend. Die Befürchtungen fielen allesamt – Gott sei Dank, ins Wasser. Weder Gülen, noch die Menschen im Umfeld verhielten sich merkwürdig, oder irgendwie anders. Jeder war ganz normal. Es war keine übertriebene Respekthaltung zu sehen, niemand hat sich verbogen, nur weil Gülen auch gegenwärtig ist. Das war mir sehr wichtig. Ein unterwürfiger Anblick hätte mich höchst enttäuscht. Davor hatte ich eben große Angst.

Das Gebet ging gemächlich voran und es war eine tiefe Stille im Raum. Wenn ich allein das Gebet in diesem Ort resümiere, komme ich zum Ergebnis, dass es ein guter Platz ist, sich auf den Schöpfer zu konzentrieren. Diese Ruhe hat man auch in schönen Moscheen, besonders am Ramadan. Wenn ich es vergleichen sollte, würde ich an ein Mittagsgebet im Istanbuler Stadteil Eyüp denken. So fühlte es sich für mich an.

Ramadan Muqabele mit Fethullah Gülen – asketisch, diskursiv, intellektuell

Ich durfte danach an dem Muqabele, der gemeinschaftlichen Koran-Rezitation mit Hodschaefendi teilnehmen. Die spirituelle Atmosphäre ist fesselnd. Es war vielleicht auch deshalb so beeindruckend, weil nicht nur das arabische gelesen wurde, sondern auf jede arabische Seite die Übersetzung folgte, um dann in einen diskursiven Austausch über die vermittelten göttlichen Inhalte zu kommen. In diesem Kreis saßen Professoren, Theologen, Naturwissenschaftler, Ärzte, Pädagogen und Personen aus anderen Fachgebieten. Dadurch fielen in den Diskussionen über die Verse des heiligen Koran häufig Gedanken aus der Soziologie, der Literatur, den Geisteswissenschaften, den Naturwissenschaften und der Geschichte, die eine moderne und zeitgemäße Herangehensweise an den Koran eindrucksvoll unter Beweis stellen. Es war keinesfalls so, dass nur Hodschaefendi redete. Jeder Teilnehmer brachte regelmäßig selber solche Gedanken ein, Hodschaefendi kommentierte hin und wieder. Ein hoch intellektueller Kreis, zugleich sehr spirituell und asketisch. Ganz im Sinne der besonders religiösen Atmosphäre des Ramadan.

Das große Werk von Fethullah Gülen und seinen Schülern

Ich habe dort gelernt, dass Hodschaefendi und seine Schüler bereits seit mehreren Jahren an einer neuen Koran-Übersetzung arbeiten, die zeitgemäß ist und Antworten auf aktuelle Fragen und Themen geben kann. Dabei rühren sie in einer ehrfürchtigen Präzision vor Gottes Worten keinesfalls am grundsätzlichen an. Um das zu gewähren gibt es diesen diskursiven und vor allem gemeinsamen Ansatz, an dem strikt festgehalten wird. Der Kreis resümiert ihr Wissen aus den anerkannten und zum Teil historischen Übersetzungen, sie lesen den arabischen Originaltext und vergleichen die anerkannten Übersetzungen und reden über einzelne Begriffe. „Der eine hat diesen arabischen Begriff vor rund 500 Jahren so ins türkische übersetzt.“ „Die Seldschuken haben diesen Begriff allerdings etwas anders gedeutet.“ „Elmalili Hamdi Yazir hat in seinem Meisterwerk diesen Begriff so ausgelegt, Imam Ebu Hanefi hingegen so“ und so weiter. Ich habe bei der Muqabele zwar nicht viel von dem Fachwissen verstanden, aber eines habe ich garantiert begriffen: Hodschaefendi und seine begnadeten Schüler arbeiten da an einem Meisterwerk, möglicherweise an einer Lösung, die die islamische Welt dringend braucht. Eine zeitgemäße Lesart des Koran, ohne auch nur einen Hauch an den wichtigen Grundsätzen zu verändern.

Fastenbrechen bescheiden und wenig, wie in der klassischen Dergah-Tradition

Diese Koran-Rezitationen gehen bis zum Fastenbrechen täglich so weiter. Zum Iftar Zeitpunkt, wenn die Sonne untergeht, werden dann Datteln aus Medina und Wasser verteilt. Damit wird das tägliche Fasten beendet und daraufhin das Abendgebet verrichtet. Erst danach geht es in die Kantine. Jeder stellt sich hier in die Reihe. Mit einem überschaubaren Menü, zusammengesetzt aus etwas Suppe, Reis, wenig Fleisch und ein bisschen Joghurt versuche ich satt zu werden. Für den Rest hier ist das wohl Alltag.

Nach dem Essen werden wir in einem Besucherraum von Hodschaefendi persönlich in Empfang genommen. Wir bekommen die Gelegenheit mit dieser inspirierenden Persönlichkeit zu sprechen.

Eine ungemein höfliche Person ist Fethullah Gülen. Er lächelt wenn er redet, schaut uns in die Augen. Aber hinter diesem gastfreundlichen Lächeln ist ein tiefer Kummer verborgen. In unserem Gespräch kommen wir schnell zum Thema „Menschenrechtsverletzungen in der Welt“. Das schwere Schicksal, das Hizmet in der Türkei und in einigen anderen Ländern erleiden musste, kommentiert Hodschaefendi bei unserem Dialog mit diesen Worten:

„Diese Bewegung hat viel geschafft, aber nichts davon war der Verdienst dieser Bewegung. Einzig und allein Gottes Gnade steht dahinter, in die Welt der Armen und Bedürftigen Hilfe und Bildung zu tragen. Dass nun in der Türkei alles zunichte gemacht wird, ist nur ein weiterer Beleg dafür, das nichts in unserer Macht liegt. Nur der barmherzige Schöpfer steht hinter allem. Hunderte Schulen und Universitäten wurden geschlossen. Keines konnte man retten, nichts im Wege stehen. Genau deshalb gibt es Anlass zur Hoffnung. Wenn alles einzig und allein in der Hand des barmherzigen Schöpfers liegt, gibt es allen Grund zur Hoffnung. Auf jede Dunkelheit folgt das Licht. Die Sonne geht stets wieder auf.“

Fethullah Gülen einer von vielen, aber doch besonders

Wir haben knapp eine Drei-Viertel Stunde persönlich mit Hodschaefendi geredet. Danach gab es das letzte Gebet des Tages, inklusive dem speziellen Teravih-Gebet im Ramadan. In diesem Gebet wird hier der Koran komplett rezitiert. Der Vorbeter ist dabei nicht Fethullah Gülen. Er stellt sich wie alle anderen auch in eine Reihe und verschwindet in der Gemeinschaft. Er ist in dieser großen Gruppe nur ein Geschöpf vor Gott, der betet und nach seinem Wohlwollen sucht. Man spürt Gülen, aber nicht wegen seiner persönlichen Präsenz, sondern wegen seiner hohen Konzentration und in dieser konzentrierten Haltung seine Hingabe zu Gott. Das ist es, was ihn von allen anderen trotzdem abhebt. Damit ist Hodschaefendi für viele Menschen auch heute noch sehr inspirierend.

Dieser Mann, der trotz hohem Alter (79) und zahlreichen Krankheiten fastet und alle Gebete in der Gemeinschaft mitmacht, zudem täglich Gäste empfängt und jeden Tag Schüler unterrichtet, ist in der Gemeinschaft nur einer von vielen beeindruckenden Menschen. Wenn Hodschaefendi den Raum betritt, steht niemand auf. Niemand möchte ihn beim Gebet nach vorne holen. Er sucht sich einen Platz in der Gruppe und gibt sich hin.

Ich habe vier solcher Tage erlebt. Für mich persönlich ein großer Gewinn. Ich dachte, ich schreibe über meine Eindrücke und meine Beobachtungen. Es ist wichtig zu wissen, was ist und was nicht. Am Ende des vierten Tages habe ich Abschied genommen. Es fiel mir schwer, diesen Ort zu verlassen, aber ich war gleichzeitig erleichtert. Es ist nicht jedermanns Sache, diesen Alltag auszuhalten.

Politik ist hier nicht nur am Ramadan unerwünscht

Ach, und… am Eingang dieses Gebäudes war mir am ersten Tag ein Bild mit einer Inschrift aufgefallen. Darauf stand „Entweder übe dich in Stillschweigen und überlege, oder rede Wörter, die dich Allah näher bringen, oder beschäftige dich mit Meditation, aber tauche niemals in die Aktualität hinein“. In den vier Tagen, in denen ich hier sein durfte, wurde niemals über Politik gesprochen.

Völlig egal welche Meinung man über Fethullah Gülen hat, ein persönliches Gespräch ist der beste Weg ein eigenes Bild zu machen. Ich für meinen Teil bin sehr zufrieden. Er ist der bescheidene, weise Mann, den ich erwartet hatte. Seit mehr als 10 Jahren höre ich seinen Predigten gelegentlich zu, ich habe das ein oder andere Buch von Fethullah Gülen gelesen. Ich habe ihn auf meine Art gekannt und bei dieser Reise habe ich einen alten Vertrauten getroffen.

Dieser indonesische Journalist war mit mir gleichzeitig vor Ort und hat ein spontanes Selfie-Interview mit Fethullah Gülen hinbekommen. Ich finde, es vervollständigt meine Beschreibungen und Beobachtungen. Deshab wollte ich dieses Video unter meinem Beitrag teilen.

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*Gastautor, Blogger, Weltreisender

 

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