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Kultur/Religion

„Ein Flüchtlingsheim anzuzünden ist nichts anderes als ein rassistischer Mordversuch“

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Der Sänger Enno Bunger will mit seinem Stück „Wo bleiben die Beschwerden?“ auf geistige Missstände in der Mitte der Gesellschaft aufmerksam machen. Mit DTJ hat er über Rassismus, Islamophobie und Ungerechtigkeiten in der Mehrheitsgesellschaft gesprochen.

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Deutschland verändert sich. Auf der einen Seite steigt bei kalter Luft brauner Dampf sichtbarer denn je aus der rechten Ecke, aber die in Vielfalt gedeihende Gesellschaft bringt auch eigene kleine Wunder hervor. Die Zukunft der deutschen Gesellschaft ist bunt, dennoch müssen einige Menschen für diese Zukunft aus der Reserve gelockt werden. Dafür sorgt Enno Bunger mit seinem herausragenden Stück „Wo bleiben die Beschwerden?“ – Das DTJ und Ku&Kü Interview mit dem Künstler aus Ostfriesland. (Foto: Ömer Mutlu)

DTJ: Wer ist eigentlich Enno Bunger? Wie ist die Entstehungsgeschichte deiner Musik?

Enno Bunger: Ich wollte eigentlich Fußballer werden. Ich habe als kleines Kind in einem Bauernhof in Ostfriesland namens Flachsmeer neben einem Fußballfeld gewohnt und da immer so rüber geschielt und wollte dahin. Meine Mutter hat mir das verboten. Sie sagte „die saufen da nur…“ und ich durfte auch nicht in den Verein. Sie hat mich dann sehr früh ans Klavier gesetzt und wollte mich kulturell erziehen. Ich habe auch bei so einem Nachwuchs Klavierwettbewerb in den Niederlanden mitgemacht, in Assen, beim Haydn Muziekfestival. Da hat sie dann aber irgendwann schon sehr früh gemerkt, dass ich nicht der klassische Pianist werden würde, weil ich kurzerhand mein Programm, was aus Stücken von Mozart und Beethoven bestand, spontan noch durch ein Stück von Scooter ersetzt hatte und da irgendwie einfach etwas ganz anderes gemacht hatte…

DTJ: Dann hat die Mutter sehr viel zu Enno Bunger beigetragen…?

Enno Bunger: Ja und nein, sie hat mich ans Klavier gesetzt, dafür bin ich ihr sehr dankbar, dass sie das gemacht hat. Ich habe mit 6 Jahren Klavierunterricht bekommen und später auch eine Kirchenorganistenausbildung gemacht. Ich war dann aber auch mit 12-13 Jahren in einem Café, in verschiedenen Bars und Hotels und war dann der Bar-Pianist, weil es in Ostfriesland scheinbar keine anderen Leute gab, die das gemacht haben. Dann gab es großen Bedarf für mich und es war eine gute Zeit. Ich hatte dann auch ein ganz gutes Taschengeld als Jugendlicher. Wahrscheinlich mehr Geld damals übrig gehabt, als ich heute übrig habe.

DTJ: In der Regel hört man von Enno Bunger melancholische Töne. Wenn man die Lieder kennt, könnte man fast schon meinen, die sind sogar etwas arabesk. Auch bei arabesker Musik ist die Stimmung sehr gedrückt. Es geht immer um den Zwikampf zwischen einer alten Liebe und das Entkommen davon. Ist das bei deiner Musik ein echtes Gefühl oder eine Nische?

Enno Bunger: Ich mache im Grunde die  ganze Zeit deutschsprachige arabeske Lieder, ohne das ich das weiß (lacht). Ich schreibe in erster Linie für mich selbst, also ich verarbeite Sachen, die mir widerfahren, oder Sachen, die mich berühren, in der Musik. Ich schreibe Texte und Zeilen wie andere Menschen ihre Tagebücher schreiben und suche nach Metaphern, die vielleicht große Gefühle umschreiben. Ich glaube, wenn man ein großes Gefühl beschreiben will, dann kann man das am besten machen, wenn man etwas ganz Kleines zeigt.

DTJ: Wie kam dann das Lied „Wo bleiben die Beschwerden?“ zustande?

Enno Bunger: Ich habe im Oktober 2014 auf Zeit-Online einen Artikel über Oury Jalloh entdeckt, der 2005 in Dessau in Polizeigewahrsam unter sehr mysteriösen Umständen, in Sicherheitsverwahrung an Wand und Boden gefesselt, auf einer schwer entflammbaren Matte verbrannt ist, obwohl er vorher auch durchsucht wurde. Man fand kein Feuerzeug und erst beim zweiten Obduktionsbericht ist plötzlich von einem Feuerzeug die Rede, das aber ziemlich unversehrt war und irgendwie keine richtigen Brandspuren hatte. Bis heute ist niemand dafür richtig verurteilt worden. Es gibt Berichte und Gutachten, die sagen, er kann sich nicht selbst angezündet oder sich selbst verbrannt haben, es muss jemand anderes gewesen sein. Bis heute ist nur jemand wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden und das war einer der Auslöser, dass ich gesagt habe: „Was ist da eigentlich los? Warum gibt es so einen Rassismus überhaupt in Deutschland?“ Daraufhin habe ich recherchiert und bin dann erst auf den Nationalsozialistischen Untergrund aufmerksam geworden, was ich medial nie so groß, in der Relevanz für mich bedeutend wahrgenommen habe. Ich bin zu der Zeit, als die Morde passiert sind, zur Schule gegangen und kann mich nicht daran erinnern, irgendetwas davon mitbekommen zu haben. Viele Lehrer haben mir damals empfohlen jeden Abend Tagesschau zu gucken und Zeitung zu lesen, was ich auch getan habe, aber ich kann mich nicht erinnern, dass ich von den Morden etwas mitbekommen hätte. Ich habe mich später gewundert, warum das medial nicht so ein Thema ist.

Wenn es einen Korruptionsskandal bei der FIFA gibt, warum gibt es dann zwei, drei Brennpunkte in der ARD und zum NSU-Prozess gibt es vielleicht maximal einen. Dabei handelt es sich beim NSU um einen der größten Skandale der jüngeren deutschen Geschichte. Ich habe dann auch geguckt, ob es Lieder darüber gibt und habe außerhalb von Punk und HipHop, was ja vielleicht etwas krassere Musikrichtungen sind, nichts aus meinem Bereich der popmusikalischen Mitte gefunden. Ich mache ja etwas gemäßigtere Musik, aber die kann trotzdem politisch sein. Als ich diese ganzen Fälle gesehen habe, kam Pegida auf und dieser Ausländerhass, diese Islamophobie. Da dachte ich: ich kann zum ersten Mal etwas gesellschaftlich relevantes tun, wenn ich darauf aufmerksam mache, weil Musik noch viel mehr emotionalisiert, als das irgendwelche Zeitungsartikel tun.

 DTJ: Welche Resonanz hat das Lied erhalten? Welche Kritik? Für gewöhnlich werden solche Leute ja von der rechten Szene sofort angefeindet…

Enno Bunger: Ne, ich glaube das steht mir noch bevor. Es geht jetzt langsam los. Es gibt so ein par Nachrichten, die allmählich reinkommen. Es gibt auch Kommentare, in denen Leute, von denen ich vorher nie wusste, dass sie meine Musik hören, jetzt plötzlich schreiben, dass sie mich doof finden und entabonnieren. In dem Lied richtet sich meine Wut ja hauptsächlich gegen rechte, rassistische Gewalt und es hat sich jemand von den Leuten, die bei Pegida demonstrieren, so sehr angegriffen gefühlt, dass sie dann schrieb: „Siehst du uns denn jetzt alle als Nazis an, dass wir da mitlaufen?“ Ich habe darauf nur geantwortet, dass ich finde, wenn solche rechten Parolen der Konsens der Mitte sind, wenn das die allgemeine Stimmung ist in einem Ort, dann fühlen sich noch rechtere Menschen dazu angestiftet, Gewalt anzuwenden, aggressiv zu werden und vielleicht sogar Flüchtlingsheime anzuzünden. Ich finde ein Flüchtlingsheim anzuzünden ist nichts anderes als ein rassistischer Mordversuch. Das ist keine Art zu diskutieren, oder zu debattieren über Ängste oder Sorgen in der Gesellschaft. Das darf nicht sein. So etwas müssen wir verhindern.

DTJ: Wie sieht für Enno Bunger die Zukunft der Gesellschaft aus? Du sagtest Islamhass, Islamophobie… Was macht das mit dir?

Enno Bunger: Was ich ganz wichtig finde ist, dass Politiker, Medien und auch jeder Mensch verstehen muss, dass er für das, was passiert, Verantwortung trägt. Zum Einen, wenn man mit Begrifflichkeiten arbeitet, was man immer wieder in Zeitungen liest, das bewegt auch etwas im Kopf, weil permanent Ausländer, also das Wort Ausländer mit dem Wort kriminell assoziiert wird, weil ständig auch das Wort Islam mit Terror gleichgesetzt wird. Das finde ich sehr gefährlich und da hoffe ich, dass es ein Umdenken gibt, bei allen. Dass man auch selber Quellen hinterfragt, die man zitiert. Dass man versucht sich von Schlagzeilen freizumachen, mit denen man immer wieder konfrontiert wird, egal ob man solche Zeitungen liest oder nicht. Sie stehen an jeder Straße, an jedem Kiosk bekommt man diese Schlagzeilen in den Kopf gehämmert. Das finde ich einfach schade, dass es kein tiefgründigeres Nachdenken darüber gibt, was das mit uns macht und zum Anderen gibt es Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen, die weggebombt wird, zum Teil mit deutschen Waffen. Die können da nicht bleiben, sonst sind sie tot. Deshalb fliehen sie und das muss man akzeptieren. Deswegen ist es so, dass es einen großen Flüchtlingsstrom gibt. Die Flüchtlinge werden kommen, so oder so, ob wir das wollen, oder nicht. Also kann man sich dazu gar nicht entscheiden, ob die kommen, oder nicht, sondern man muss die Ursachen des Krieges bekämpfen. Letztendlich stehen wir vor der Wahl, ob die Integration gelingt. Es liegt an uns, ob wir die Flüchtlinge willkommen heißen oder nicht. Wenn wir sie nicht willkommen heißen, entstehen diese Parallelgesellschaften, die die Sarrazins dieser Welt die ganze Zeit befürchten, prophezeien und damit nur weiteren Fremdenhass schüren, ohne das man sich wirklich mit diesen Menschen befasst und auseinandersetzt.

 DTJ: Gab es im Umkehrschluss zu etwaigen Drohungen auch Solidaritätsbekundungen von Leuten, die Enno Bunger nicht gehört haben, aber nach diesem Lied gesehen haben „Da ist jemand, der viel Wahrheit ausspricht und auch viel Mut zeigt, mit uns solidarisch ist!“ ?

Enno Bunger: Ja, das ist tatsächlich sehr schön. Ich bekomme sehr viele Nachrichten von Menschen, die selber rechte Gewalt erfahren haben, die selber Schlimmes erlebt haben, die aber Glück gehabt haben, weil dann im richtigen Moment doch Leute da waren, die geholfen haben. Es gab zum Beispiel ein Mädchen, das von zehn Nazis verfolgt wurde, durch die Stadt gehetzt wurde, wo sich dann irgendwann ein Mensch davor gestellt hat, die Tür aufgemacht hat und sie in sein Haus gelassen und ihr sozusagen Zuflucht gewährt hat. Solche Fälle sind natürlich krass. Sie sagt auch, weil sie sich nicht traut, das zu sagen, hat sie das jetzt auch zum ersten Mal überhaupt jemandem geschrieben. Das berührt mich dann sehr und das bewegt in mir auch viel. Da merke ich auch, dass es gut ist, das ich dieses Lied geschrieben habe.

DTJ: Wird das für dich weiterhin ein Thema sein?

Enno Bunger: Ja, das ist für mich der Anfang. Das erste Mal, dass ich politisch geworden bin, mich positioniert habe. Ich kann jetzt ja nicht nur ein Lied schreiben und es dabei belassen. Das wäre dann ja genau so falsch. Ich sage, dass man was dafür kann, wenn man nichts dagegen tut. Deswegen möchte ich mich in Zukunft engagieren, etwas machen und möchte zumEinen die Einnahmen aus den Erlösen des Songs spenden an ProAsyl und an die Amadeo-Antonio-Stiftung, die sich gegen rechte Gewalt engagiert und zum Anderen auch mich privat engagieren und tun, was mir möglich ist.

DTJ: Deine anderen Lieder behandeln viel Liebe und Liebesschmerz. Das zeigt eigentlich eine gewisse Reife eines Menschen. Der Umgang mit Liebe, dass man sich damit auseinandersetzt und dass man überhaupt lieben kann – das zeigt auch Herz. Ich sehe da eine unmittelbare Verbindung zwischen den melancholischen Liedern und dem Lied „Wo bleiben die Beschwerden?“. Kann man daraus resultierend sagen, dass Menschen sich vielleicht ein bisschen mehr auseinandersetzen sollten mit Liebe an sich, um daraus eine richtige Nächstenliebe wieder zu entdecken?

Enno Bunger: Ja, ich glaube man kann solche Lieder nur schreiben, wenn man empathisch ist. Wenn man Gefühle zulässt. Wenn man sich Gedanken macht und nicht von einem Termin zum nächsten hetzt und sich vielleicht gar keine Zeit nimmt für das, was vielleicht in einem drin ist. Das ist aber auch ein Luxus. Es gibt Menschen, die haben gar nicht die Zeit, sich damit auseinanderzusetzen. Die müssen ganz anderen Dinge abarbeiten, sich bemühen und dafür kämpfen. Ich bin froh, dass ich diesen Luxus habe und mich damit auseinandersetzen darf. Auch wenn das manchmal weh tut. Was wir gesellschaftlich brauchen, ist mehr Mitgefühl und mehr Empathie. Dass wir uns nicht nur vorstellen, wie es jemandem geht, sondern dahin gehen und Menschen fragen, wie es ihnen geht. Etwas tun, sich anbieten, füreinander da sein, so pathetisch das jetzt auch klingen mag. Davon brauchen wir mehr.

 DTJ: Eine Einladung an DTJ Leser zu deiner Tour?

Enno Bunger: Ja, Herzliche Einladung! Ich freue mich auf jeden Fall über alle Menschen, die kommen, und vor allem auch über türkische Mitmenschen. Ich bin selber mit Türken zur Schule gegangen und habe mich mit denen immer sehr gut verstanden. Ich bin neulich von einer kurdischen Freundin nach Istanbul eingeladen worden und muss gestehen, es ist schade, dass ich bislang Deutschland noch nie lange verlassen habe, weil ich immer hier auf Konzerten unterwegs bin. Ich möchte und muss noch viel mehr von der Welt sehen.


Die Tourdaten von Enno Bunger:

13.11. Bremen – Lagerhaus

14.11. Köln – Gebäude 9

16.11. Frankfurt – Mousonturm

17.11. Stuttgart – Universum

18.11. CH – Zürich – Eldorado

19.11. Freiburg – Schmitz Katze

20.11. München – Ampere

21.11. AUT – Graz – Autumn Leaves Festival

23.11. Nürnberg – Stereo

24.11. Berlin – Heimathafen

25.11. Leipzig – Werk 2

26.11. Dresden – Beatpol

27.11. Hannover – Pavillon

28.11. Hamburg – Uebel & Gefährlich

Booking: Powerline

https://youtu.be/p7Yii-Qpgaw