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Kolumnen

Ein Monster, das wir selbst geschaffen haben

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Die Debatte um die Rente ist mehr als eine Frage des Geldes. Wer sie auf Beitragssätze, Einzahler und Leistungsempfänger beschränkt, der hat noch immer nichts begriffen.

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Wenn wir jetzt über die Alterssicherung reden, dann stellen wir damit die Frage, in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben wollen. Wollen wir eine Gesellschaft, in der mehr als die Hälfte der Alten arm ist und in der auch jene Ruheständler ohne ergänzende staatliche Sozialleistungen nicht existieren können, die 30 Jahre und mehr in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben? Wollen wir eine Gesellschaft, die den Jungen zwar Leistung, Mobilität und Flexibilität abverlangt, sie aber schlecht bezahlt, ihnen oft genug keine Perspektive bietet und sie zudem auch noch mit immer weiter wachsenden Lasten für die Alten und die immensen Staatsschulden der Finanzkrise belastet? Wollen wir einen existenziellen Generationenkonflikt?

Nein, so eine Gesellschaft will ganz sicher niemand. Denn sie bricht mit allen Idealen der Nachkriegsdemokratie, die das erwirtschaftete Wachstum so verteilte, dass eine breite Mittelschicht entstand, auf die sie sich stützen konnte und die wiederum ein zivilgesellschaftliches Netz knüpfte, das die Menschen überall dort auffing, wo der Staat nicht sein sollte. Und doch schaffen wir dieses Monster. Besser gesagt, wir haben es bereits geschaffen!

Es wächst und gedeiht prächtig. Seit gut eineinhalb Jahrzenten befördern Niedriglöhne, Leiharbeit und prekäre Arbeitsverhältnisse die Ungleichheit. Das hat dazu geführt, dass die Mittelschicht erodiert und die kleine Gruppe der Vermögenden einen noch größeren Reichtum ansammelt. Rücksichtslose Geldgier ist der dominierende Charakterzug dieses Unwesens, das den sozialen Staat zutiefst verachtet und Gemeinsinn als Schwäche auslegt.

Derart verblendet erliegen die Menschen einem pathologischen Individualismus, der weder Kinder noch eheliche Bindungen aushält und, weil ihnen das Geld der von ihnen bewunderten Schönen und Reichen fehlt, die eigene Zukunft bar jeglichen Verantwortungsbewusstseins an einen hoffnungslos überforderten Staat delegiert.

Und dann sind wir entsetzt über solche Sätze: „Wer heute weniger als 2500 Euro brutto verdient und nicht privat oder betrieblich vorsorgt, muss mit dem Renteneintritt ab 2030 den Gang zum Sozialamt antreten“, schreibt Arbeitsministerin Ursula von der Leyen in einem Brief an junge Bundestagsabgeordnete der Unions-Fraktion.

Daran ändert auch diese absurde Riester-Rente nichts. Erstens wurde sie nur erfunden, damit die Finanzindustrie für ihre Spekulationen auch an den letzten Cent der kleinen Leute kommt. Zweitens können diejenigen, die Riester-Verträge wirklich nötig haben, sich die Privatvorsorge wegen ihres geringen Einkommens nicht leisten. So kann der Versuch der damaligen Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder, mit Riester vor der ungelösten Rentenfrage zu fliehen, spätestens mit den Worten von der Leyens auch offiziell als gescheitert gelten.

Und die Politiker wissen ganz genau, was diesem Land jetzt droht. „Heute sind nur 2,5 Prozent der Rentner in der Grundsicherung. Aber es ist eine Frage des gesellschaftlichen Friedens, dass meine Generation, die materiell vergleichsweise gut gestellt ist, sich für die drohende Altersarmut der nächsten Generation interessiert und handelt“, sagt von der Leyen in einem Interview mit „Spiegel Online“. So ist es. Es steht nicht mehr und nicht weniger als der gesellschaftliche Frieden auf dem Spiel.

Vordergründig will von der Leyen ihn durch eine geradezu lächerliche „Zuschussrente“ retten. Lächerlich deshalb, weil kaum jemand die Zulassungskriterien erfüllt und vor allem Frauen leer ausgehen würden. Außerdem bringt die Zuschussrente am Ende netto gerade mal 80 Euro mehr als heute die Sozialhilfe.

In Wahrheit aber geht es wohl gar nicht um eine wie auch immer geartete „Zuschussrente“. Ziel dieser verlogenen Debatte ist sicherlich vielmehr, das ganze Ausmaß der bevorstehenden Not durch neue Begrifflichkeiten und politische Bilder zu verschleiern. Der Generationenvertrag löst sich nämlich bereits auf; das Modell der staatlich gesicherten Rente ist nicht mehr funktionstüchtig. Die kinderarm alternde Gesellschaft reduziert die Zahl der Beitragszahler, während gleichzeitig die Zahl der Ruheständler rasant ansteigt. Niemand leugnet, dass dies langfristig zu untragbaren Beitragssätzen für die Arbeitnehmer führen muss.

Da die Menschen aufgrund der auf politischem Wege über die Leiharbeit realisierten Niedriglöhne nicht privat vorsorgen können, müsste der Staat seinen Steuerzuschuss zur Rentenkasse drastisch erhöhen. Dazu aber ist er nicht in der Lage, weil er in der europäischen Finanzkrise für Kreditrisiken anderer Staaten in Billionenhöhe bürgt.

Irgendwann ist zumindest ein Teil dieser Schulden fällig, und dann werden internationale Finanzinvestoren und Banken ihre Forderungen auf der Grundlage juristisch wasserdichter und politisch auf höchster Ebene abgesicherter Verträge durchsetzen. Rentner haben solche Verträge nicht. Sie können sich dann nur auf die Idee des Sozialstaats berufen. Dann aber wird man sie drauf hinweisen, dass sie selbst es waren, die mit sinkenden Geburtenraten und egozentrischen Lebensentwürfen den Generationenvertrag brachen.

Es wird ihnen auch nichts nützen, wenn sie einwenden, dass sie früher den noch existierenden Sozialstaat finanzierten. Vorbei ist vorbei. Sobald die Finanzindustrie ihre Rechnung präsentiert, muss der Staat, sprich der Bürger, zahlen. Für die Rentner wird dann nichts übrig sein, und die jungen Arbeitnehmer dürften unter einer historisch hohen Abgabenlast ächzen.

Das ist die Gesellschaft, die wir geschaffen haben. Es ist eine Gesellschaft, die leichtfertig ihr ganzes Kapital verspielt hat und ihren Kindern Schulden in Billionenhöhe hinterlässt. Und wie könnte es anders sein mit dieser Gesellschaft, als dass sie erst in dem Moment anfängt darüber nachzudenken, als es an ihre Rente geht.