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Gesellschaft

Ein neuer Ansatz in der türkischen Politik

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Der Kern der Protestbewegung in der Türkei zeigt, dass sich die junge Generation der Politik zukünftig anders nähern wird, als ihre Eltern. Dabei wächst die Bedeutung des Internet – und die der politischen Parteien scheint zu schrumpfen. (Foto: epa)

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Ein neuer Ansatz in der türkischen Politik
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Einige ideologische Randgruppen oder sogar Teile des Ergenekon-Komplexes haben sicherlich versucht die Proteste um den Gezi-Park zu unterwandern. Die Tatsache, dass einige internationale Akteure sehr erfreut und gleichzeitig sehr aktiv in dem Prozess sind, ist kaum zu übersehen.

Jedoch darf uns all das nicht vom eigentlich Wichtigem ablenken. Die Proteste waren anfangs durchaus authentisch und aufrichtig und der Großteil der Protestler ist Teil eines wachsenden politischen Trends in der Türkei. Sollten die politischen Akteure diese Entwicklung nicht sorgfältig analysieren, werden sie auch in Zukunft von solchen Protesten überrascht werden.

Dieser neue politische Trend ist keine Parteienpolitik. Als Gegner gilt keine politische Partei mehr, sondern vielmehr eine Mentalität. Diese Mentalität wird momentan verkörpert durch eine ganz reale politische Persönlichkeit: Ministerpräsident Erdoğan.

Politik – abseits der Parteien

Es wäre nicht übertrieben zu behaupten, dass neben den Protestlern auch Erdoğan in der Vergangenheit oftmals die anderen bestehenden türkischen Parteien ignoriert hat. Dadurch, dass die Protestler eine deutliche Distanz zu den politischen Parteien aufrecht halten, die sie normalerweise unterstützen würden, konnten sie bislang erfolgreich verhindern, dass etwa die Oppositionspartei CHP die Proteste an sich reißt und instrumentalisiert. Gleichzeitig scheint Erdoğan die mahnenden Stimmen aus seiner eigenen Partei zu ignorieren, die ihn zur Besonnenheit, Toleranz und Dialog auffordern.

Die aktuellen Entwicklungen machen deutlich, dass auch die Politik sich weiterentwickeln muss. Türkische Politiker sollten offen sein für eine Art direkte Demokratie, die Elemente einer partizipativen und beratenden Demokratie beinhaltet. Das Internet spielt dabei eine große Rolle. Individuen können dabei räumliche Grenzen ohne weiteres überwinden und sich auch überregional miteinander vernetzen, wenn sie es wünschen. Diese Entwicklung wird zukünftig Allianzen entlang ganz neuer sozio-politischer, kultureller und intellektueller Linien erzeugen. Und all dies abseits der traditionellen Parteien.

Es ist pure Ironie, dass die wichtigsten türkischen Nachrichtenkanäle, die allesamt für ihre schnelle Übertragung von Nachrichten und Informationen bekannt sind, belanglose Dokumentationen ausstrahlten, während sich ein beispielloses historisches Ereignis in Istanbul – der bevölkerungsreichsten und wichtigsten türkischen Stadt – abspielte. Wir wissen heute, dass diese Nachrichtenkanäle allesamt über die Entwicklungen informiert waren, da viele ihrer Journalisten via Twitter oder Facebook bereits darüber berichteten. Doch traute sich keiner der türkischen Nachrichtenkanäle – aus uns wohl bekannten Gründen – offiziell über dieses Thema zu berichten.

Junge Generation hat einen neuen Ansatz zur Politik gefunden

Der neue Trend in Sachen Politik in der türkischen Öffentlichkeit leitete somit womöglich den Untergang sowohl der konventionellen Medien als auch deren Zensur in jeglicher Form ein.

Diese jüngste politische Entwicklung hat eine ganze Generation politisiert, die sich selbst stets als eher apolitisch wahrgenommen hatte. Diese Generation hat nun die Macht des Protestes entdeckt. Nichts wird mehr sein wie zuvor. Die Generation hat nun eine transformierte und politisiert Identität.

Die Strapazierfähigkeit ihrer Geduld hat deutlich unter den Vorfällen gelitten. In Zukunft werden wir vermutlich beobachten, dass diese Generation nun – aus weit geringeren Anlässen – auf den Straßen und im Internet protestieren wird.

Dieser neue Ansatz in der Politik ist auch unterhaltsam. An dieser Stelle muss ich betonen, dass ich hier nicht über Vandalismus oder Gewalt gegen Polizeibeamte, Zivilisten, Frauen mit Kopftuch oder Bildungseinrichtungen meine.

Die gewaltlose, friedliche Jugend braucht ohnehin keine Brutalität, da sie sich der Macht des Humors, des Spottes, der Karikaturen, der Lieder und der cleveren apolitischen Slogans bewusst sind. Diese anderen, friedlichen Ansätze sind nicht nur ein Appell an die vielen Menschen, die solche Ereignisse von Zuhause aus verfolgen, sondern verwirren auch die konventionellen Politiker mit ihren aus dem „Kalten Krieg“ stammenden Mentalitäten, die es selbst nur gewohnt sind sich plump und wortreich anzubrüllen. Es bereitet großen Spaß sich anzuschauen, wie diese Generation sich friedlich und gewaltlos ihres künstlerischen und intellektuellen Potentials bewusst wird und dies auch offen zeigt.