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Kultur/Religion

Orhan Pamuks «Kırmızı Saçlı Kadın»: Ein Roman wie eine griechische Tragödie

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Der junge Cem verliebt sich in eine geheimnisvolle rothaarige Frau und hat keine Ahnung, wie sehr sie sein Schicksal beeinflussen wird. Orhan Pamuk hat mit «Die rothaarige Frau» einen Roman vorgelegt, der sich an der griechischen und persischen Mythologie orientiert.

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Die rothaarige Frau von Orhan Pamuk Rezension
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Der junge Cem verliebt sich in eine geheimnisvolle rothaarige Frau und hat keine Ahnung, wie sehr sie sein Schicksal beeinflussen wird. Orhan Pamuk hat mit «Die rothaarige Frau» einen Roman vorgelegt, der sich an der griechischen und persischen Mythologie orientiert.

Von Frauke Kaberka, dpa

Mythos und Märchen: Das Orakel von Delphi bestimmt die Richtung in Orhan Pamuks neuem Roman «Die rothaarige Frau», denn die Sage um Ödipus, der unwissentlich seinen Vater tötet und ebenso ahnungslos seine Mutter ehelicht und mit ihr vier Kinder bekommt, zieht sich wie ein roter Faden durch das märchenhafte Werk – mal direkt, mal im übertragenen Sinne. Als literarische Antipode setzt Pamuk einen anderen Mythos dagegen: das Epos «Schahname» des persischen Nationaldichters Firdausi, in dem Rostam seinen Sohn Sohrab tötet, ebenfalls ohne Kenntnis der Verwandtschaft.

Nein, an Symbolik wird nicht gespart in diesem wunderbaren Roman, der doch so viel mehr ist als ein modernes Märchen. Man kann es vorweg kurz zusammenfassen: Wie so häufig bei dem türkischen Literatur-Nobelpreisträger, der im Juni seinen 65. Geburtstag feierte, geht es auch hier wieder um den Konflikt zwischen Ost und West (schon versinnbildlicht durch Rostam und Ödipus), zwischen Tradition und Moderne, der sich in diesem Werk als nicht lösbares Dilemma zwischen Vätern und Söhnen darstellt. Und mehr noch: «Die rothaarige Frau» ist ein Buch für die «Zwischen-den-Zeilen-Leser», denn der in der Türkei erstmals 2015 (also ein Jahr vor dem letzten Militärputsch) veröffentlichte Roman ist durchaus politisch.

Worum geht es also? Mitte der 1980er Jahre: Der 16-jährige Cem ist der Sohn eines linksorientierten Apothekers. Dieser kehrt eines Tages nach dem Nachtdienst nicht mehr nach Hause zurück. Früher saß er schon mal für zwei Jahre im Gefängnis, und niemand wusste zunächst, wo er war. Doch dieses Mal ist es anders. Er hat Frau und Sohn schlichtweg verlassen. Cem möchte studieren, aber das Geld ist rar. Also arbeitet er nebenbei, unter anderem in der Nähe Istanbuls als Brunnenbauer bei Meister Mahmut, der eine Art Ersatzvater für ihn wird.

Während dieser Wochen begegnet Cem der rothaarigen Frau, die bei einer Wanderbühne als Schauspielerin arbeitet, und verliebt sich in sie. Sie ist verheiratet und um einiges älter als er («Schau, ich könnte deine Mutter sein.»). Cem verbringt eine Nacht mit ihr – und erfährt später, dass sie auch die Geliebte seines Vaters war. Kurz darauf geschieht auf der Brunnenbaustelle ein Unglück: Meister Mahmut wird in dem 25 Meter tiefen Schacht von dem mit Schutt beladenen Eimer getroffen und rührt sich nicht mehr. Cem, der nicht ganz unschuldig an dem Unfall ist, glaubt, der Meister sei tot. Er flieht und leidet fortan unter seinem schlechten Gewissen, das er mehr oder weniger erfolgreich zu unterdrücken sucht. Jahre später: Cem ist inzwischen Ingenieur, beruflich überaus erfolgreich, glücklich verheiratet, aber kinderlos. Da bekommt er Post von einem jungen Mann, der sich als sein Sohn ausgibt…

Die ersten beiden Teile des Romans sind in Ich-Form (Cem) geschrieben. Den dritten und letzten Teil erzählt die rothaarige Frau aus ihrer Perspektive. Egal, wer was sagt – es ist nicht nur wunderbar fabuliert, sondern steht stets für mehr als die bloße Aussage. Pamuks schnörkelloser Stil eignet sich gut dazu, die Symbolträchtigkeit der Wandlung des gutmütigen, intelligenten Jungen, der damals noch das traditionsreiche Handwerk des Brunnenbauens bewundert, in den profitorientierten Bauunternehmer nach westlichem Vorbild zu zeichnen, ebenso die Veränderung Istanbuls von einer schönen, harmonisch gewachsenen Großstadt zu einem architektonischen Moloch voller Bausünden, der sich wie ein gefräßiger Drache alle ringsherum liegenden kleinen Ortschaften einverleibt.

Veränderung steht für Fortschritt, doch nicht ausschließlich. Genau dieser Wandel zeigt ein türkisches Handicap deutlich auf: Das Land an der Schnittstelle zwischen Orient und Okzident ist zerrissen im Bemühen, modern zu werden und doch traditionell zu bleiben – mit und ohne Religion. Cem wirft in seinem ganz persönlichen Wandel Traditionen über Bord, obwohl er schon als Lehrling bei Meister Mahmut (und durch ihn) am Problem zeitweiligen akuten Wassermangels erkennt, dass immer mehr Erschließung (tieferes Bohren) auf Dauer Lebenswichtiges vernichten kann (Versiegen des Wassers, Absinken des Grundwasserspiegels), was natürlich metamorphisch ebenso für andere Lebensbereiche steht.

So gehört auch die politische Grundausrichtung dazu. Die moderne Türkei des Staatsgründers Atatürk hat sich schnell von osmanischen und auch islamischen Traditionen getrennt – zu schnell vielleicht für die Befindlichkeiten besonders traditionsbewusster und religiöser Menschen. Heute wendet sich das Land – vor allem auch durch Betreiben der derzeit regierenden Kreise – wieder rückwärts. Staatschef Erdogan spielt mit dem verletzten Stolz seiner einst europa- und modernesüchtigen Landsleute.

Wie eingangs erwähnt, hat Pamuk trotz des stets über ihm schwebenden Damoklesschwertes der Verfolgung ob seiner säkularen und europafreundlichen Haltung nicht mit politischen Anspielungen gespart. Und ganz unverbrämt lässt der Mann, der 2005 wegen «Herabsetzung des Türkentums» schon einmal vor Gericht stand, Cems Sohn Enver «Betrübliches über die Kurden und die oppositionellen Journalisten, die nun die Zellen füllten» erzählen. Und das – wie gesagt – vor dem Militärputsch.

Die Geschichte von Cem und der rothaarigen Frau ist ein ausgeklügeltes Puzzle voller Symbolik, das man als Leser mit Bedacht zusammensetzen muss, um seine Komplexität zu erkennen. Am Ende bleibt die Frage, ob das Schicksal eines jeden vorbestimmt ist. Kann man ihm entfliehen, wie es König Laios einst erfolglos versuchte, indem er seinen kleinen gerade erst geborenen Sohn aussetzte, um dem vom Orakel von Delphi prophezeiten Los – dem Tod durch die Hand des Ödipus – zu entkommen. Oder soll man sich ihm stellen? Die Antwort darauf muss jeder für sich selbst finden.

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