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Politik

Erdoğan an Hollande: „Was für eine Art von Politik ist das?“

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Für Empörung in Ankara hatte die Aussage des französischen Staatspräsidenten gesorgt, mit einer der PKK-Terroristinnen in Kontakt gewesen zu sein. Die Hinweise auf einen Zusammenhang der Tat mit den Friedensverhandlungen verdichten sich. (Foto: aa)

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Die Ermordung dreier kurdischer Terroristinnen in Paris könnte sich zu einer neuen Belastung für die türkisch-französischen Beziehungen entwickeln. Zwischen den beiden Ländern herrscht bereits seit der Amtszeit des ehemaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy kein gutes politisches Verhältnis.

Die Morde werfen insbesondere einige unangenehme Fragen an die Adresse Frankreichs auf, das unter dem 2012 gewählten neuen Staatsoberhaupt François Hollande bislang versucht hatte, das angespannte Verhältnis zur Türkei wieder zu normalisieren. Hollande hatte sich selbst mit seinen Äußerungen in eine missliche Lage gebracht, als er einräumte, er hätte eines der Opfer, vermutlich Fidan Doğan, regelmäßig getroffen. Diese „regelmäßigen“ Treffen des französischen Präsidenten mit einem Mitglied einer in der Türkei verbotenen und von der EU als Terrororganisation eingestuften Organisation lässt Kritik an der laxen Haltung Frankreichs gegenüber der PKK laut werden.

Ein türkischer Diplomat sagte unter der Bedingung, dass er anonym bleiben würde: „Die Haltung der Türkei (bezüglich dieses Vorfalls) ist von dem Zeitpunkt abhängig, an dem François Hollande Kontakt mit ihr (Fidan Doğan) hatte: vor seiner Wahl zum Präsident, als er Parteiführer war oder danach.“

Der französische Fernsehsender France 24 und die Tageszeitung „Le Monde“ berichteten, die Türkei würde von Präsident Hollande gerne mehr über seine Verbindungen zur getöteten Kurdin erfahren. Ankara warf in der Vergangenheit Frankreich und einigen anderen europäischen Ländern mehrmals vor, im Kampf gegen die PKK nicht genügend zu kooperieren.

Türkei will auf keinen Fall die Friedensgespräche gefährden

Einige politische Analysten glauben jedoch, dass die Äußerungen Hollandes in Bezug auf die Ermordung der drei kurdischen Aktivistinnen sich nicht negativ auf das Verhältnis Frankreichs mit der Türkei auswirken würden. „Unter normalen Umständen hätten (diese Äußerungen) viel negativere Auswirkungen auf das bilaterale Verhältnis der beiden Länder. Jedoch wird die türkische Regierung die Angelegenheit nicht zu sehr an die große Glocke hängen, um die momentan laufenden Friedensverhandlungen zur Lösung der Kurdenfrage nicht zu gefährden“, sagte Sinan Ülgen, Vorsitzender des Istanbuler Zentrums für Wirtschaft und außenpolitische Studien (EDAM).

Die Morde geschahen während einer Zeit, in der türkische Offizielle mit Abdullah Öcalan, dem inhaftierten Anführer der PKK, über die Entwaffnung der PKK verhandelten. Mittlerweile werden die Morde als Versuch gedeutet, eben diese Verhandlungen der türkischen Regierung zu hintertreiben.

Die französische Polizei geht von einem Zusammenhang der Hinrichtungen der drei kurdischen Frauen mit dem Beginn der Friedensverhandlungen der türkischen Regierung aus. Die Tageszeitung „Le Figaro“ veröffentlichte am Sonntag eine Einschätzung, wonach die Morde mit Sicherheit politisch motiviert gewesen wären. „Der Zeitpunkt des Verbrechens ist alles andere als Zufall. Während die türkische Regierung Gespräche mit Öcalan führt, wird eine Person getötet, die Öcalan nahe stand“, bemerkte ein französischer Polizeioffizier der in Paris erscheinenden Zeitung.

Der türkische Ministerpräsident Erdoğan übte Kritik am französischen Präsidenten für seine Treffen mit Personen, die in Verbindung mit der PKK stehen. „Der französische Präsident sollte der türkischen, französischen und Weltöffentlichkeit unverzüglich erklären, aus welchem Grund er sich mit Angehörigen dieser Terrororganisation traf, was er mit ihnen besprach und bis wann er mit ihnen in Verbindung stand. Wie kann man sich regelmäßig mit Mitgliedern einer von der Europäischen Union als Terrorgruppe geführten Organisation treffen, die obendrein noch von Interpol gesucht werden? Was für eine Art von Politik ist das?“

Erdoğan brachte in Afrika Distanz zu Frankreich zum Ausdruck

Atilla Sandıklı, der Vorsitzende des in Istanbul beheimateten „Weisenrats für Strategische Studien“, meint, es wäre nicht zu erwarten, dass die bilateralen Beziehungen durch die Enthüllungen außerordentlichen Schaden erfahren würden, da es zum einen ein offenes Geheimnis wäre, dass die PKK in Frankreich ungehindert operieren könne und das Verhältnis zwischen Frankreich und der Türkei ohnehin schon angespannt sei.

Erdoğan besuchte kürzlich drei afrikanische Länder, die allesamt ehemalige französische Kolonien waren. Die Reden, die er dort hielt, hatten alle das Ziel, Frankreich in eine bestimmte Ecke zu stellen“, gibt Sandıklı zu bedenken. Er verweist in diesem Zusammenhang auf Erdoğans Ausführungen vor dem Parlament von Gabun, wo dieser sagte: „Die Geschichte wird, wenn die Zeit gekommen ist, diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die Afrikas Diamanten, Gold und Mineralien weggenommen haben.“

Morde innerhalb der PKK nicht unüblich

Der Premierminister wies Anschuldigungen durch kurdische Gruppen zurück, der türkische Staat könnte hinter den Morden stecken. Er verwies auf ähnliche frühere Verbrechen der PKK. Diese sei nicht zimperlich, wenn es darum gehe, Widersacher auch in den eigenen Reihen zu liquidieren. „Einige junge Menschen wurden erschossen. Ihre Mütter wurden nicht einmal darüber informiert, wo ihre Gräber liegen. Wir haben all diese Fälle dokumentiert. Der Verlobte von Sakine Cansız wurde von den Terroristen selbst hingerichtet.“

Cansız, die 2007 in Deutschland inhaftiert wurde, wurde trotz der entsprechenden Ansuchen, welche die Türkei gestellt hatte, nicht ausgeliefert. Die Türkei hatte auch im letzten Oktober eine Nachricht an Interpol übermittelt, dass die gesuchte Terroristin in Paris lebe. „Leider hat Frankreich nichts unternommen“, sagte Erdoğan und forderte Frankreichs Behörden auf, die Täter zu fassen und in diesem Zusammenhang gleich eine Erklärung zu dem Vorfall abzugeben.

Selahattin Demirtaş and Gülten Kışanak, die Parteisprecher der prokurdischen „Partei für Frieden und Demokratie” (BDP), sowie die unabhängige Abgeordnete für die Provinz Van, Aysel Tuğluk, waren am Wochenende nach Paris gereist, um sich vor Ort über die Morde zu informieren. Demirtaş gab Journalisten gegenüber auf dem Atatürk-Flughafen Istanbul an, dass er mit dem französischen Innenminister Manuel Valls gesprochen habe und die Delegation die Untersuchungen der französischen Behörden sehr genau verfolge.

Leichen werden in der Türkei beigesetzt

Die BDP-Abgeordneten sprachen auch mit den Juristen, die mit den Fällen betraut sind, sowie mit Angehörigen und Weggefährten der Opfer. Zu seinen Eindrücken befragt, schilderte Demirtaş: „Es gibt noch keine konkrete Information hinsichtlich des Verbrechens. Es scheint auf eine sehr professionelle Weise ausgeführt worden zu sein. Auch der französische Innenminister stellte dies fest.“ Demirtaş gab aber auch an, dass der Innenminister ihm zugesichert habe, am Ende der polizeilichen Untersuchung umfassende Transparenz hinsichtlich der Informationspolitik zu dem Fall sicherzustellen.

Tausende PKK-Anhänger aus ganz Europa versammelten sich indessen am Samstag in Paris, um gegen die Ermordungen zu protestieren. Demirtaş und weitere BDP-Abgeordnete nahmen ebenfalls an den Aufmärschen teil. „Erhebt weiter Eure Stimmen, bis die Mörder gefasst sind“, forderte die BDP-Abgeordnete Kışanak die Menge auf.

Der Bitte der Familien entsprechend wurden die sterblichen Überreste der drei getöteten Frauen zur Bestattung in ihre Heimat zurückgesandt. Sie sollen in den Provinzen Tunceli, Kahramanmaraş und Diyarbakır beigesetzt werden.