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Politik

Erdoğan führt „De-Facto-Präsidialsystem“ ein

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan möchte künftig offenbar vermehrt Kabinettssitzungen im Ak Saray leiten. Er widersprach der Darstellung des Premierministers, die Verfassung gewähre ihm dieses Recht nur in Notzeiten.

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Tayyip Erdogan
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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat mit einem Machtwort die Debatte um die Leitung von Kabinettssitzungen durch den Präsidenten beendet, die zum Ende des Jahres 2014 Spekulationen um einen möglichen Machtkampf zwischen ihm und dem Premierminister Ahmet Davutoğlu laut werden ließen.

Die Debatte hatte begonnen, als der frühere Transportminister und nunmehrige Izmir-Abgeordnete, Binali Yıldırım, in einem TV-Interview gesagt hatte, der Präsident werde Anfang des Jahres 2015 eine Sitzung des Kabinetts leiten. Diese soll am 19. Januar stattfinden, wie Erdoğan gestern bekanntgab. Medien waren erst davon ausgegangen, dass der Präsident bereits die Sitzung leiten sollte, die für den 5. Januar anberaumt ist, da Kabinettssitzungen in der Türkei regelmäßig an Montagen stattfinden.

Erdoğan erinnerte an seine Worte nach der Wahl, dass er kein gewöhnlicher Präsident sein werde. „Ich werde die Kompetenzen, die mir die Verfassung als Präsident einräumt, voll ausnutzen“, hatte er auch im Vorfeld der Wahl, die er am 10. August für sich entschied, immer wieder betont.

Die türkische Verfassung des Jahres 1982, die infolge des Militärputsches von 1980 verabschiedet wurde, hatte dem Präsidenten Vollmachten eingeräumt, wie sie für ein parlamentarisches System eher als unüblich erscheinen. Faktisch wird die Exekutivgewalt zwischen dem Präsidenten und dem Ministerrat geteilt.

Befürchtungen über Machtkonflikte schon vor erster Präsidentenwahl

Bis dato hat jedoch kein Präsident von dieser Vollmacht Gebrauch gemacht, zumal eine damit einhergehende Degradierung des Premierministers oder zumindest Rivalitäten an der Staatsspitze befürchtet wurden. Bereits vor der ersten Volkswahl des Präsidenten hatte Parlamentssprecher Cemil Çiçek davor gewarnt, dass die derzeitige Regelung ein Konfliktpotenzial innerhalb des Exekutivmechanismus schaffen könnte.

Erdoğan hatte seinerseits stets deutlich gemacht, dass er ein halbpräsidentielles System mit weniger Kontrollrechten und Gewaltentrennung gegenüber dem derzeitigen parlamentarischen bevorzugen würde.

Als es jedoch Yıldırım, und nicht Erdoğan oder Davutoğlu war, der ankündigte, der Präsident werde demnächst eine Kabinettssitzung leiten, hatte der Premierminister in einer TV-Sendung am 27. Dezember etwas überrascht reagiert. Er erklärte dort, der Präsident könne der Verfassung gemäß selbstverständlich im Falle außerordentlicher Verhältnisse, wie in Kriegszeiten oder im Fall von Naturkatastrophen Kabinettssitzungen leiten, aber es wäre kein derartiges Treffen für den 5. Januar geplant. Dies wurde als Zeichen der Irritation angesichts der Darstellung Yıldırıms interpretiert. Davutoğlu, so interpretierten Medien die Äußerung, soll auf diesem Wege Erdoğan davon abgeraten haben, bereits im Januar einen Ministerrat zu leiten, während er Yıldırım nicht vor den Kopf stoßen wollte.

Unklar, wie oft Erdoğan künftig Kabinettssitzungen leiten will

Am 29. Dezember trat Erdoğan selbst vor die Kamera und gab Reportern gegenüber selbst eine Erklärung zu dieser Frage ab.

Er sei von den Menschen zum Präsidenten gewählt worden, weil er versprochen habe, von seinen ihm von der Verfassung eingeräumten Befugnissen Gebrauch zu machen. Die Verfassung schränke seine Befugnis, Kabinettssitzungen zu leiten, auch nicht auf außergewöhnliche Umstände ein, sondern er könne dies tun, wann immer wolle. „Ich habe Yıldırım gefragt und er sagte, er habe kein Datum für ein solches Treffen genannt“, erklärte Erdoğan weiter. Er selbst habe kurz mit ihm über die Angelegenheit gesprochen. Auch mit Davutoğlu sei abgestimmt worden, dass am 19. Januar ein Kabinettstreffen unter dem Vorsitz des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan stattfinden werde, und zwar nicht im Amt des Premierministers, sondern im „Ak Saray“, dem neu errichteten Präsidentenpalast in Beştepe.

Für Premierminister Ahmet Davutoğlu scheint das kommende Jahr angesichts der Bemerkungen Erdoğans nicht leicht zu werden, zumal im Juni Parlamentswahlen in der Türkei stattfinden werden.