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Politik

Erdoğan-Gegner bald staatenlos?

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Der türkische Präsident fordert, dass „Unterstützern von Terrororganisationen“ die Staatsbürgerschaft aberkannt wird. Seiner Definition zufolge könnten damit 51% der Einwohner gemeint sein.

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Pasaport
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Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan sorgt erneut mit einer provokanten Forderung für Debatten. Anlässlich des „Tages der Anwälte“ verlangte er am Dienstag, dass „Unterstützern von Terrororganisationen“ die türkische Staatsbürgerschaft aberkannt werden solle. Mit martialischer Rhetorik widmete er sich in einer Rede im Ak Saray dem Kampf gegen die PKK: „Wir mögen vielleicht einer nach dem anderen sterben, aber vorher werden wir (für jeden von uns) 10, 20, 30 von denen töten.“ Daraufhin forderte er: „Gegen die Unterstützer von Terrororganisationen müssen alle Maßnahmen ergriffen werden, inklusive des Entzugs der Staatsbürgerschaft. Diese Leute können keine Landsleute von uns sein.“

Wen er mit „Unterstützer von Terrororganisationen“ meint, hat Erdoğan vor kurzem bereits unmissverständlich klargemacht: Es bestehe für ihn kein Unterschied zwischen Terroristen, die Waffen und Bomben tragen, und Abgeordneten, Akademikern, Autoren, Journalisten oder Funktionären von Nichtregierungsorganisationen, die „den Terroristen ihre Position, ihren Stift oder ihren Titel zur Verfügung stellen. Entweder werdet ihr auf unserer Seite sein oder auf der der Terroristen. Einen Mittelweg gibt es nicht“, so Erdoğan. Eine klare Kampfansage an so ziemlich alle Kritiker der Regierung.

Justizminister signalisiert sofort Gehorsam

Dass die gestrigen Einlassungen des Staatspräsidenten nicht nur martialisches Gehabe waren, sondern eine ernstzunehmende Initiative sind, zeigt der unmittelbare Gehorsam von Justizminister Bekir Bozdağ. Er kündigte heute an, Schritte einzuleiten, um die Forderung Erdoğans umzusetzen. In einer Erklärung stellte er heraus, dass es im türkischen Recht bereits Paragraphen gibt, die die Ausbürgerung regeln. So kann man unter anderem auf eigenen Antrag aus der Staatsbürgerschaft entlassen werden (wie es beispielsweise die deutsch-türkische Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ateş getan hat) oder eine bereits erfolgte Einbürgerung von Ausländern kann aufgrund falsch gemachter Angaben wieder aufgehoben werden.

„Die derzeitige Durchführung (der Ausbürgerung) geschieht im Rahmen dieser Regelungen. Doch die gestrige Erklärung unseres Staatspräsidenten sieht neue Vorgehensweisen außerhalb dieser Regelungen vor. Natürlich werden nun auf diese Erklärung hin die notwendigen Schritte zu deren Umsetzung eingeleitet werden“, so Bozdağ. Zur Erinnerung: Die türkische Verfassung sieht für den Staatspräsidenten rein repräsentative Aufgaben vor. Er ist zur Unparteilichkeit verpflichtet und darf sich nicht in politische Prozesse wie Gesetzesinitiativen einmischen. Als Premierminister Ahmet Davutoğlu vor seinem Abflug zu einem Staatsbesuch von Journalisten zur Initiative des Präsidenten und des Justizministers gefragt wurde, sagte er, es gäbe solche Vorbereitungen noch nicht.

„Erdoğan in der Tradition der Putschgeneräle von 1980“

Während regierungsnahe Medien erwartungsgemäß positiv über das Vorhaben berichten, kritisiert die Opposition Staatspräsident und Justizminister. Der HDP-Politiker Altan Tan signalisierte, dass er die markigen Worte des Präsidenten nicht ernst nimmt: „Egal, wie schuldig ein Mensch ist, Strafrecht und Staatsbürgerschaftsrecht sind zwei verschiedene Dinge. Ich bewerte das lediglich als Gerede, das an die Massen gerichtet ist, eine andere Erklärung dafür gibt es nicht.“

Weitaus heftigere Kritik kommt aus Deutschland. Der innenpolitischen Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag Ulla Jelpke zufolge „steht der türkische Präsident Erdoğan in der Tradition der faschistischen Putschgeneräle von 1980. Auch diese entzogen zahlreichen ins Ausland geflohenen Oppositionellen die Staatsbürgerschaft.“ Tatsächlich wurden nach dem Putsch vom 12. September 1980 vor allem zahlreiche linke Dissidenten ausgebürgert, darunter auch berühmte Künstler wie der Schauspieler und Regisseur Yılmaz Güney und der Sänger Cem Karaca.

Jelpke, die sich aktiv für eine Aufhebung des PKK-Verbots in Deutschland einsetzt, warnte davor, dass diesmal jedoch angesichts der politischen Situation nicht nur einige hundert im Ausland lebende Türken Opfer der Zwangsausbürgerung werden könnten, „sondern hunderttausende wenn nicht Millionen Menschen in der Türkei“. Sie verlange deshalb von der Bundesregierung, „dass sie schärfsten Protest gegen solche Maßnahmen erhebt, die internationales Recht mit Füßen treten.“