Connect with us

Politik

Umtriebiger Erdoğan sucht einen Zwangsverwalter für seine AKP

Published

on

Spread the love

Obwohl die moderne Türkei eine relativ junge Republik ist, hat sie viele Phasen des Ausnahmezustands und tiefe Krisen hinter sich, welche die politischen Verhältnisse grundlegend umgewälzt haben. Ob der Putsch von 1980, die Zersplitterung der politischen Parteien in den 1990er Jahren oder die große Wirtschaftskrise von 2001 – entweder hatten sie zur Folge, dass politische Akteure von der Bildfläche verschwanden oder neue starke Figuren die Bühne betraten.

Die Mächtigen sehen sich in Krisenzeiten nicht an Recht und Gesetz gebunden. Sie handeln in rechtsfreiem Raum, da sie die alte Ordnung abgeschafft, eine neue aber noch nicht aufgebaut haben. Dementsprechend brutal sind ihre Methoden. Sie setzen Sondergerichte ein, verurteilen Menschen zu unrecht zu Tode oder stellen ihnen nicht genehme Einrichtungen unter Zwangsverwaltung. Der Putschgeneral von 1980, Kenan Evren, brüstete sich später damit, wie gerecht er sich in der Behandlung von politischen Gruppen verhalten habe. Zu seiner Praxis unter der Militärdiktatur sagte der mächtige General, der später auch sieben Jahren lang Staatspräsident war: „Ich habe keinesfalls einen Unterschied zwischen Rechten und Linken gemacht. Es ging soweit, dass ich darauf geachtet habe, in welcher Reihenfolge die Hinrichtungen von den Verurteilten stattfanden. Falls einer von den Linken hingerichtet worden war, kam ein Rechter als nächstes. Einer von links, einer von rechts“.

Krisenzeiten haben eben ihre eigene Logik und eigenen (Un)gesetzmäßigkeiten

Seit der Wirtschaftskrise von 2001 ist es die AKP, die unter der Führung des charismatischen Politstars Recep Tayyip Erdoğan das politische Geschehen in Ankara bestimmt. Das besondere an der AKP und seinem Führer ist, dass sie mit Namen und als Person sowohl für Normalität als auch für Ausnahmezustand stehen. Lange Jahre war Erdoğan über Partei- und Landesgrenzen hinaus Hoffnungsträger für mehr Rechtsstaatlichkeit, die Bekämpfung von Korruption, die Lösung des sogenannten Kurdenkonflikts und für eine neue demokratische Verfassung.

Erdoğan, der von 2003 bis 2014 Ministerpräsident war und seit zwei Jahren als mächtiger Staatspräsident die Zügel in den Händen hält, hat sich zu einem zivilen General verwandelt. Im Gegensatz zu Kenan Evren lässt er zwar hinrichten, hat dafür aber eigene Methoden entwickelt. Er fordert von seinen Anhängern und Mitstreitern bedingungslosen Gehorsam. Wer aus seiner Sicht zu seinem religiös-konservativen Lager zählt, hat unmündig zu sein und ihm ohne Wenn und Aber zu folgen. Wer das nicht tut, der wird entweder wie Abdullah Gül oder Bülent Arınç mit hinterlistigen Methoden, bei der die sogenannten Pool-Medien und der Nationale Geheimdienst MİT eine wichtige Rolle spielen, systematisch fertig gemacht.

In diesen Tagen ist Ahmet Davutoğlu das Opfer der Allmachtsgier Erdoğans geworden. Als langjähriger Parteifreund und Mitstreiter für die große gemeinsame Sache kann er sich noch glücklich schätzen, dass er so abtreten durfte wie gestern geschehen. Andere Gegner und Kritiker schaltet Erdoğan mit der Justiz oder der Zwangsverwalter-Methode ab. So geschehen bei den Koza İpek-Medien und der einst auflagenstärksten Zeitung der Türkei, „Zaman“. Die Medien von Koza İpek wie die Tageszeitungen „Bugün“ und „Millet“ gibt es heute längst nicht mehr. Wie lange es noch „Zaman“ geben wird, steht in den Sternen. Die Auflage ist innerhalb weniger Wochen von 650 000 auf etwa 5 000 geschrumpft. Gerüchten, wonach auch „Zaman“ ganz eingestellt werden soll, dementierten die Zwangsverwalter.

Das dubiose System der Zwangsverwaltung

Diese beiden Medienhäuser sind nicht die einzigen Opfer dieses dubiosen Systems. Dutzende Schulen, Unternehmen, Nachhilfereinrichtungen und die Bank Asya, die allesamt aus der Hizmet-Bewegung hervorgingen, stehen mittlerweile unter Zwangsverwaltung. Tausende Angehörige der Bewegung sehen sich Vorwurf der „Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation“ ausgesetzt. Mehr als 600 von ihnen sitzen im Gefängnis. Erdoğan macht keinen Hehl daraus, offen auszusprechen, was der eigentliche Grund ist. „Alle diejenigen, die weiterhin in der Gülen-Gemeinde verbleiben wollen, müssen sich mit den Konsequenzen abfinden“, ließ er die Öffentlichkeit unlängst in einer Rede wissen.

Die sehr gut bezahlten Zwangsverwalter setzen eins zu eins das um, was Erdoğan vorgibt – jener Erdoğan, der im Präsidentenpalast Ak Saray ein eigenes Machtzentrum, das aus populären Beratern und Karrierebürokraten besteht, aufgebaut hat.

Genau dieses Modell ist es nun auch, das Erdoğan für seine Partei, die unter Davutoğlu wagte, sich in kleinen Schritten von ihm zu lösen, sucht: Einen Zwangsverwalter, ohne politisches Profil und ohne eigene Agenda.