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Politik

Ergenekon: Götterdämmerung der antidemokratischen Eliten

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Was im Juni 2007 mit einem mysteriösen Waffenfund begann, sollte zum politischen und moralischen Offenbarungseid der kemalistischen Eliten und lange Zeit unantastbaren Armee werden. Doch wie traten ihre kriminellen Machenschaften zu Tage? (Foto: rtr)

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Ergenekon: Götterdämmerung der antidemokratischen Eliten
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Teil 1

Die Vorgeschichte von Ergenekon – Eine politische Wende

Als die erst am 14. August 2001 gegründete Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) auf Anhieb die Parlamentswahlen im Jahre 2002 für sich entscheiden konnte, war ihre Position noch verhältnismäßig labil. Ein Eingreifen der Militärs, die erst fünf Jahre zuvor mit ihrem Memorandumsputsch gegen die Regierung Erbakan ihre Macht demonstriert hatten, schwebte beständig wie ein Damoklesschwert über jeder Entscheidung der neuen Regierungspartei.

Die diplomatischen Verwicklungen im Umfeld des Irakkrieges 2003 sowie die so genannte „Sack-Affäre“ rund um die kurzzeitige Gefangennahme türkischer Soldaten im Nordirak verschafften der AKP etwas Luft. Immerhin hatten die Ereignisse nicht nur in der türkischen Öffentlichkeit eine Solidarisierung mit der Regierung zur Folge, sondern bewirkten auch zumindest nach außen hin ein Zusammenrücken zwischen der Armeeführung und dem mittlerweile amtierenden Ministerpräsidenten Erdoğan.

Die auf Grund dieser Vorfälle angespannten Beziehungen zu den USA nutzte Erdoğan, um durch eine Annäherung an die Europäische Union das Prestigeprojekt „Beitrittsverhandlungen“ zu forcieren. Die positiven Signale aus Brüssel verschafften der AKP-Regierung Rückendeckung für weitreichende politische Reformen. Dies gab Erdoğan die nötige Sicherheit, um noch im Laufe des Jahres 2003 Gesetze auf den Weg zu bringen, die auch die Macht der Armee beschnitten. So wurden bereits vor Juli 2003 die Militärgerichtsbarkeit auf militärische Angelegenheiten begrenzt und die Staatssicherheitsgerichte ausschließlich mit zivilen Richtern besetzt. Im Juli 2003 wurde – und das galt als geradezu revolutionär – der Nationale Sicherheitsrat zu einem Gremium mit „lediglich“ beratender Funktion herangestuft und die Wirkungsmöglichkeiten ziviler Personen darin erweitert. Die Präsenz von Mitgliedern des NSR im Kontrollrat für Kinowesen, Video und Musik wurde abgeschafft.

Die Spekulation der Militärs, der Höhenflug der AKP würde im Rahmen der Kommunalwahlen 2004 ein Ende finden, erwies sich als Schlag ins Wasser. Die Regierungspartei konnte auch in den Gemeinden ihre Position massiv ausbauen. Auf diese Weise politisch gestärkt, beseitigte sie im Juni 2004 schließlich die Militärpräsenz im Hochschulrat (YÖK) und ließ den Militäretat unter parlamentarische Kontrolle stellen.

Die Fortschritte im Hinblick auf den Beitrittsprozess ließen es dennoch als taktisch ungünstig für die Militärs erscheinen, den offenen Machtkampf zu suchen: Am 17. Dezember 2004 entschieden die Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel, dass ab dem 03. Oktober 2005 Verhandlungen mit der Türkei über den EU-Beitritt aufgenommen werden würden. Dadurch gewann die AKP-Regierung noch mehr Zeit, um durch mutige Reformen die alten Eliten zu schwächen und die Zivilgesellschaft zu stärken.

Wie sich später herausstellen sollte, war die Zurückhaltung der Armee in jener Zeit trügerisch. Im Verborgenen sollten indessen Kräfte mobilisiert werden, von denen bis dahin weder die Regierung noch die Öffentlichkeit eine Vorstellung hatten.

2005 bis 2007 – Die „Strategie der Spannung“ nimmt Fahrt auf

Nachdem außenpolitische Erfolge und der Sieg bei der Kommunalwahl die Regierung Erdoğan stabilisiert hatten, rückte die innenpolitische Lage wieder stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Die Lage in den Kurdengebieten hatte sich im Vergleich zu den 90er-Jahren beruhigt. Die Todesstrafe war im Begriff, vollständig abgeschafft zu werden, die über Abdullah Öcalan verhängte wurde in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt.

Die PKK verkündete einseitige Waffenstillstände, um diese dann wenig später wieder zu brechen und danach doch wieder neue einseitige Waffenstillstände zu verkünden. Im Frühjahr 2005 trat jedoch erstmals eine bis dahin unbekannte militante Gruppe namens „Kurdische Freiheitsfalken“ (Teyrêbazên Azadîya Kurdistan, TAK) auf den Plan, die begann, blutige Bombenanschläge in Großstädten, aber auch Touristenzentren zu verüben. Diese faktisch aus dem Nichts kommende neue Militanz erschwerte es der Regierung Erdoğan, ihre auf der Ausgleichspolitik Turgut Özals aufbauende moderate Herangehensweise in der Kurdenpolitik aufrechtzuerhalten.

Im Jahre 2006 erschütterten aber nicht nur Terroranschläge, zu denen sich die dubiosen TAK bekannten, das Land.

Am 5. Februar wurde der katholische Priester Andrea Santoro in Trabzon von dem 16-jährigen Gymnasiasten Oğuzhan Akdin erschossen, der während der Tat „Allahu akbar“ geschrien haben und sich in Verhören auf den Karikaturenstreit von 2005 und christenfeindliche Beiträge in türkischen Zeitungen bezogen haben soll.

In der Zeit zwischen dem 5. und 11. Mai wurden drei Mal – nach Aussage von Zeugen unter dem Skandieren islamistischer Parolen – Handgranatenanschläge auf das Verlagsgebäude der linksetatistischen Zeitung „Cumhuriyet“ in Istanbul verübt. Am 17. Mai wurde unter ähnlichen Begleitumständen Schüsse auf die Mitglieder des Zweiten Kassationssenats des Obersten Verwaltungsgerichts in Ankara abgegeben, wobei ein Richter starb und vier weitere schwer verletzt wurden. Als Tatverdächtiger wurde der 29-jährige Anwalt Alparslan Arslan festgenommen.

In den Medien schien der Zusammenhang klar zu sein: Der Senat, dessen Richter zum Ziel des Attentats wurden, hatte im Februar 2006 das aus kemalistischen Zeiten stammende Kopftuchverbot in öffentlichen Einrichtungen bestätigt und zum Teil sogar verschärft. Der Attentäter habe aus islamistischen Beweggründen heraus gehandelt. In den Wochen nach der Tat kam es zu „spontanen“ Massendemonstrationen, in denen versucht wurde, der Regierung Erdoğan, die das Urteil des Kassationsgerichts zum Kopftuchverbot kritisiert hatte, in die Nähe des mutmaßlichen Attentäters zu rücken und auf diese Weise gegen sie und die von ihr angeblich betriebene „Islamisierung“ Stimmung zu machen.

Die Ereignisse des Jahres 2006 hatten jedenfalls den alten Eliten erstmals nach Jahren wieder Rückenwind ihren Bemühungen verschafft, flankiert durch entsprechende Darstellungen in der türkischen und internationalen Presse das alte Lied von der notwendigen „Verteidigung des Laizismus gegen die islamistische Bedrohung“ wieder zu intonieren und in diesem Zusammenhang auf Konfrontationskurs zur regierenden AKP zu gehen.

2007 sollten sie die Entscheidung suchen. In diesem Jahr sollten sowohl der Staatspräsident als auch das Parlament neu gewählt werden. Man wähnte Erdoğan und die AKP in der Defensive. Das Jahr begann auch mit zwei Schockerlebnissen, die dem internationalen Ansehen der Türkei massiv schaden sollte: In Istanbul wurde am 19. Januar der bekannte Chefredakteur der türkisch-armenischen Wochenzeitung „Agos“, Hrant Dink, vor den Verlagsräumlichkeiten erschossen. Am 18. April wurden in Malatya drei Mitarbeiter eines christlichen Verlagshauses brutal ermordet.

Gleichzeitig scheiterte die Wahl eines neuen Staatspräsidenten, weil AKP-Kandidat Abdullah Gül nicht die erforderliche Mehrheit fand und das Militär drohte mit einem Putsch, sollte sich das Verfassungsgericht nicht seiner Rechtsmeinung anschließen.

Die alten Eliten wollten nun Nägel mit Köpfen machen. Medien und Vereinigungen wie der „Verband für das Gedankengut Atatürks“, die aus dem gesamten Land Demonstranten herankarrten, versuchten die Regierung mittels Massenkundgebungen „gegen eine islamistische Türkei“ in die Knie zu zwingen. Am 3. Mai beschloss das Parlament, die ursprünglich für Oktober vorgesehenen Parlamentswahlen auf den 22. Juli vorzuziehen.

Die AKP-Gegner waren, nachdem sie so eindrucksvoll die Straße mobilisiert hatten und den Großteil der Medien hinter sich wussten, sicher, sie würden der Regierung Erdoğan bei den Wahlen den entscheidenden Schlag versetzen können. Die AKP selbst baute auf ihre Beliebtheit in der Fläche und war sich sicher, dass ihre Wählerschaft zwar nicht dazu geneigt sei, sich an Demonstrationen, wohl aber, sich an Wahlen zu beteiligen.

Entsprechend widersprüchlich waren die Umfragen: Während SONAR die Regierungspartei im Mai 2007 nur bei 29% sah, sprachen VERSO und A&G von um die 40%. Am Ende sollte die AKP mit 46,6% und einem Plus von 12,2% einen Erdrutschsieg verbuchen können. Gleichzeitig war der Anfang vom Ende der Schattenregierung durch die Generäle gekommen. Ausgelöst wurde dies durch einen Zufallsfund kurz vor den Wahlen, der in weiterer Folge eine Lawine auslösen und keinen Stein mehr auf dem anderen lassen sollte.

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Teil 2
Teil 3
Teil 4