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Politik

Özdemir fordert „Ende der Ramschpreise“: Wie teuer sollten Lebensmittel sein?

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Die Lebensmittelpreise sind in diesem Jahr kräftig gestiegen. Dennoch kritisiert die Bundesregierung Ramschpreise und die Bauern wollen mehr Geld. Wie teuer ist teuer genug?

Beim Einkaufen ist es nicht zu übersehen: Die Preise für Lebensmitteln steigen derzeit stark. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lagen sie im November um satte 4,5 Prozent über dem Vorjahresniveau. Nicht zuletzt Fleisch und Molkereiprodukte verteuerten sich kräftig.

„Es darf keine Ramschpreise für Lebensmittel mehr geben, sie treiben Bauernhöfe in den Ruin, verhindern mehr Tierwohl, befördern das Artensterben und belasten das Klima. Das will ich ändern“, sagte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) der „Bild am Sonntag“. Er wolle, dass die Menschen in Deutschland ihre Lebensmittel genauso wertschätzten wie ihre Autos.

„Motoröl wichtiger statt Salatöl“?

„Manchmal habe ich das Gefühl, ein gutes Motoröl ist uns wichtiger als ein gutes Salatöl“, kritisierte der Minister. Lebensmittel dürften zwar kein Luxusgut werden. „Doch der Preis muss die ökologische Wahrheit stärker ausdrücken“, sagte Özdemir. Wie teuer sollten Lebensmittel eigentlich sein?

Fest steht: Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke sind in einigen europäischen Ländern deutlich teurer als in Deutschland. In der Schweiz müssen die Menschen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes für Lebensmittel fast 60 Prozent mehr zahlen, in Norwegen 45 Prozent und in Irland 14 Prozent mehr.

Einkauf in anderen Ländern billiger

In anderen Ländern wie Frankreich (4 Prozent), Österreich (3 Prozent) oder Italien (1 Prozent) bewegen sich die Preise dagegen auf einem ähnlichen Niveau wie in der Bundesrepublik. Und in Großbritannien, den Niederlanden, Spanien und vor allem in vielen Länder Osteuropas ist der Einkauf sogar deutlich billiger.

Bei der Suche nach dem „richtigen“ Preis hilft das allerdings kaum weiter. Bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern in Deutschland ist die Bereitschaft, für gutes Essen etwas mehr auszugeben, zuletzt gestiegen. „In der Corona-Zeit waren die Menschen bereit, höhere Preise für Nahrungsmittel zu zahlen und haben höhere Qualität nachgefragt“, sagte der Handelsexperte Robert Kecskes vom Marktforschungsunternehmen GfK.

Mehr Geld in der Kasse

Ein Grund dafür sei sicher, dass durch Corona-bedingt ausgefallene Gastronomie-, Kino- und Konzertbesuche mehr Geld in der Kasse gewesen sei. Ob der Trend nach der Pandemie anhalte, müsse sich noch erweisen.

Zuletzt wurde Kecskes zufolge in Deutschland auf jeden Fall weniger, aber dafür höherwertiges Fleisch gekauft. Allerdings schränkte der Branchenkenner auch ein: „Damit sind wir noch lange nicht bei Preisen die adäquat sind, weil die Menschen jahrzehntelang auf supergünstige Fleischpreise sozialisiert worden sind.“

Dem würde Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied wohl uneingeschränkt zustimmen. Er sagte der „Bild“-Zeitung (Dienstag): „Unsere hochwertigen Lebensmittel haben einen höheren Preis verdient.“ Hierzu müssten alle beitragen, von der verarbeitenden Industrie über den Handel bis zu den Verbrauchern.

Die Realität an der Kasse

Der Handelsverband Deutschland (HDE) warnte unterdessen vor Mindestpreisen. Ein solcher Eingriff in die Freiheit des Handels sei unverhältnismäßig und „wahrscheinlich auch verfassungswidrig“. Allerdings ist auf den guten Willen der Verbraucher allein nicht unbedingt Verlass.

„Dass sich das Problem allein durch die Einsicht der Verbraucher lösen lässt, ist kaum zu erwarten“, meint der Marketing-Experte Ulrich Enneking von der Hochschule Osnabrück. Der Professor verweist auf einen Feldversuch, in dem er vor Ausbruch der Pandemie die Ausgabenbereitschaft der Kunden in der Realität testete.

Billigangebote bevorzugt

In 18 Supermärkten und Discountläden hatten Verbraucher dabei zwei Monate lang bei Bratwurst, Minutensteak und Gulasch aus Schweinefleisch die Wahl zwischen einer Billig-Variante ohne Tierwohl-Anspruch, teurem Bio-Fleisch und einem Tierwohl-Produkt im mittleren Preissegment.

Das Ergebnis: Fast drei Viertel der Kunden bevorzugten das Billigangebot. Daran änderten auch große Hinweisschilder, die auf das Tierwohlangebot hinwiesen, nichts. Für Enneking steht deshalb fest: „Es geht nicht ohne politische Maßnahmen – ob das ökonomische Anreize sind oder einfach Verbote.“

Die wahren Kosten der Lebensmittel

Eigentlich müssten Fleisch, Milch und Käse nach einer Studie des Wirtschaftsinformatikers Tobias Gaugler viel mehr kosten, als heute üblicherweise verlangt wird. „Umweltschäden finden aktuell keinen Eingang in den Lebensmittelpreis. Stattdessen fallen sie der Allgemeinheit und künftigen Generationen zur Last“, bemängelte der am Lehrstuhl für Nachhaltigkeitswissenschaft der Universität Greifswald tätige Wissenschaftler.

Würden in den Preisen die Folgen der bei der Produktion entstehenden Treibhausgase, die Folgen der Überdüngung, der Energiebedarf und andere Effekte berücksichtigt, müsste der Studie zufolge Hackfleisch fast drei Mal so teuer seien; Milch und Gouda müssten fast doppelt so viel kosten.

Bei den Preisen umzusteuern sei eine große Herausforderung, sagte Gaugler am Dienstag. Natürlich könne man versuchen, an einzelnen Stellschrauben zu drehen: etwa den Verkauf von Lebensmitteln zu Dumpingpreisen verbieten oder die Mehrwertsteuer für Bioprodukte senken. Doch eigentlich müsse es darum gehen, einen großen Wurf zu wagen.

Vorbild Kohleausstieg

Dazu müsse man zuerst klären, wo man als Gesellschaft hinwolle: beim Tierwohl, bei dem Erhalt der Umwelt, bei den Produktionsbedingungen in den Herkunftsländern von Kaffee oder Bananen, aber auch wie man mit den sozialen Aspekten einer Verteuerung der Lebensmitteln in Deutschland umgehe.

Eine wichtige Frage sei auch, ob die Auswirkungen der Nahrungsmittel auf die Gesundheit wie beim Tabak in die Preisgestaltung einfließen sollten. Letztlich sei wohl eine Ernährungs- und Agrarwende nötig, die aber ohne plötzliche Brüche erfolgen müsse, meinte Gaugler. Machbar wäre das in seinen Augen. Vorbild könne vielleicht der Kohleausstieg sein.

dpa/dtj

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