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Gesellschaft

Erstmals bietet ein Bundesland muslimischen Häftlingen Seelsorge an

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Im Bereich der Gefangenenseelsorge haben das Land Niedersachsen und die muslimischen Verbände bereits eine Übereinkunft erzielen können. Sie soll ein erster Schritt hin zu einem umfassenden Staatsvertrag nach Hamburger Vorbild sein. (Foto: dpa)

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Erstmals bietet ein Bundesland muslimischen Häftlingen Seelsorge an
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Hannover – Das Niedersächsische Justizministerium hat am Dienstag eine Vereinbarung mit dem Landesverband der Muslime in Niedersachsen e.V., Schura Niedersachsen und dem DITIB Landesverband der Islamischen Religionsgemeinschaften Niedersachsen und Bremen e.V. zur Seelsorge im Justizvollzug in Niedersachsen geschlossen. Die Vereinbarung regelt die künftige Zusammenarbeit zwischen den am Vertragsschluss beteiligten muslimischen Landesverbänden und dem Justizministerium innerhalb seines Geschäftsbereiches und enthält Empfehlungen zur Ausgestaltung der Zusammenarbeit vor Ort.

Es handelt sich nach Angaben des Ministeriums um die erste Vereinbarung eines Landes mit muslimischen Verbänden im Bereich der Seelsorge im Justizvollzug. Nach Auskunft der DITIB gibt es derzeit noch vergleichbare Verhandlungen insbesondere in Berlin, die kurz vor dem Abschluss stünden.

„Seelsorge ist ein wichtiger Bestandteil des Justizvollzuges. Sie unterstützt und ergänzt die Bemühungen des Vollzuges und kann eine Brücke zur erfolgreichen Wiedereingliederung von Gefangenen in die Gesellschaft bilden. Es ist deshalb in unserem Interesse, Gefangenen aller Religionsgemeinschaften eine bedarfsgerechte religiöse Betreuung durch Seelsorgerinnen und Seelsorger ihrer Religionsgemeinschaft zu ermöglichen”, sagte der niedersächsische Justizminister Bernd Busemann (m.) bei der Unterzeichnung der Vereinbarung.

Avni Altıner (l.) von der Schura Niedersachsen begrüßte die Vereinbarung. Im Gespräch mit dem DTJ sagte Altıner, dass es nicht allein um die Seelsorge gehe, sondern darum, muslimischen Insassen bei Interesse die Möglichkeit zu bieten, ihre Religion praktizieren zu können. „Die Menschen, die im Gefängnis sind, haben in ihrem Leben Fehler begangen. Unser Ziel ist es, sie zu erreichen und ihnen eine Basis zu bieten, um nach ihrer Entlassung in der Gesellschaft wieder Fuß fassen zu können.” Daher beschränke sich das Angebot nicht nur auf Muslime, sondern könne von jedem Insassen, ganz gleich, welche Religion er angehöre, wahrgenommen werden.

Seelsorge bis dato in Niedersachsen noch nicht flächendeckend

Inzwischen sei auch ein Bedürfnis der Gefangenen muslimischen Glaubens nach Seelsorge durch Seelsorgerinnen und Seelsorger ihrer Religionszugehörigkeit feststellbar. Diese werde in Niedersachsen noch nicht flächendeckend angeboten. Es läge deshalb im Interesse aller Beteiligten, die bisherige Zusammenarbeit zu intensivieren.

Die Idee zum Abschluss einer Vereinbarung zur Seelsorge im Justizvollzug sei gemeinsam mit den muslimischen Verbänden entwickelt worden, so Pressesprecher Jörn Westermann vom Niedersächsischen Justizministerium gegenüber dem DTJ. Die Idee sei im Rahmen einer Arbeitsgruppe entstanden, die unter der Federführung des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration und den muslimischen Landesverbänden DITIB und Schura, der Staatskanzlei und mehreren Landesministerien prüfe, in welchen Lebensbereichen muslimisches Leben besser in Niedersachsen integriert werden könne. Die Seelsorge im Justizvollzug ist ein Baustein in dieser Arbeitsgruppe, für den das Justizministerium verantwortlich zeichnet.
Die Vereinbarung enthalte Regelungen, mit denen es Gefangenen erleichtert werden soll, Kontakt zu muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorgern aufzunehmen. Die muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorger sollen deshalb auch einer Justizvollzugsanstalt fest zugeordnet werden und über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen. Auswahl, Qualifikation und Fortbildung regeln die am Vertragsschluss beteiligten muslimischen Landesverbände in eigener Verantwortung. Für ihre Tätigkeit im Justizvollzug erhalten sie eine finanzielle Entschädigung und erforderlichenfalls Ersatz für Verdienstausfall.

Die Vereinbarung verpflichtet den Justizvollzug, bei Bedarf Räumlichkeiten für die muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorger in den Justizvollzugsanstalten zur Verfügung zu stellen und beschreibt, welche religiösen Gegenstände Gefangene regelmäßig in ihrem Besitz haben dürfen.

Daneben sollen zur Förderung des gegenseitigen Verständnisses gemeinsame Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen entwickelt werden. Die muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorger sollen insbesondere bei ihren Bemühungen unterstützt werden, sich mit den Besonderheiten des Vollzuges vertraut zu machen. Zugleich soll den Justizvollzugsbediensteten Einblick in die Besonderheiten der muslimischen Seelsorge gewährt werden.

Wie groß ist der Bedarf tatsächlich?

„Zur Fortentwicklung und Evaluation der Zusammenarbeit soll eine ständige Arbeitsgruppe unter Beteiligung der muslimischen Landesverbände und des Justizministeriums sowie der niedersächsischen Justizvollzugsanstalten und der dort tätigen muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorger eingerichtet werden. So stellen wir sicher, dass in Zukunft eine bedarfsgerechte und flächendeckende Seelsorge all jenen angeboten werden kann, die sie wünschen. Damit zeigt sich das Land Niedersachsen einmal mehr als verlässlicher Partner aller Religionsgemeinschaften und Bevölkerungsgruppen”, so Busemann weiter.

Bezüglich des Bedarfes lassen sich nach Auffassung des Ministeriums keine verlässlichen Angaben machen. Kein Gefangener ist verpflichtet, zu seiner Religionszugehörigkeit Angaben zu machen. Soweit Gefangene solche Angaben freiwillig gemacht haben, sei aus einer Erhebung im Jahre 2009 bekannt, dass zumindest 8% der Gefangenen seinerzeit angaben, muslimischen Glaubens zu sein, teilt ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage des DTJ mit. Von 47% der Gefangenen lagen aber seinerzeit überhaupt keine Angaben zu ihrer Religionszugehörigkeit vor, so dass sich der Anteil der Gefangenen muslimischen Glaubens erhöhen dürfte. Es könne deshalb davon ausgegangenen werden, dass es derzeit zumindest etwa 500 Gefangene muslimischen Glaubens in Niedersachsen gäbe. Diese seien auch bisher schon durch Imame betreut worden, die die Anstalten regelmäßig einige Stunden im Monat aufsuchen würden, um insbesondere das Freitagsgebet abzuhalten oder andere religiöse Feste mit den Gefangenen zu feiern. Der Umfang dieser Tätigkeit sei aber bislang sehr begrenzt. Mit der nunmehr geschlossenen Vereinbarung verbinden die muslimischen Verbände und das Justizministerium die Hoffnung, dass sich die Betreuung der Gefangenen durch muslimische Seelsorger weiter verbessern wird.

Die Vereinbarung ist unabhängiger Teil der in Aussicht genommenen Gesamtvereinbarung des Landes Niedersachsen mit den am Vertragsschluss beteiligten muslimischen Landesverbänden. Dieser Teil der Vereinbarung ist bereits mit dessen Unterzeichnung in Kraft getreten.