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Kolumnen

Es ist zusammengewachsen, was nicht zusammen gehört

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Nach dem gestrigen Anschlag in Ankara wurden die Urheber sehr schnell identifiziert. Auch nach dem Anschlag auf dem Sultanahmet-Platz in Istanbul waren die Täter schnell ausfindig gemacht. Die Identifizierung von politisch Verantwortlichen gestaltet sich jedoch ungleich schwieriger.

In der Türkei passierten in den letzten fünf Jahren 15 Terroranschläge. Dabei haben 266 Menschen ihr Leben verloren. Erinnern wir uns nur an die letzten: In Suruç sind im Juli vergangenen Jahres 34 Menschen getötet worden; in Ankara im Oktober 103, zuletzt starben im Januar in Istanbul 11 Menschen.

Hat jemand gesehen, dass irgendein Politiker seinen Hut nahm? Dass irgendein Amtsträger im Sicherheitsapparat meinte, er habe versagt, und zurücktrat?

Nein. Auch künftig wird das nicht der Fall sein. Das hat seine Gründe.

Für einen Rücktritt braucht es nämlich eine Öffentlichkeit, die Druck macht; Politiker, die Verantwortung zeigen; Amtsträger, die sauber geblieben sind, sich nichts vorzuwerfen haben. Diese gibt es derzeit in der Türkei nicht.

Die Medien sind weitestgehend gleichgeschaltet. Kürzlich kursierte in den sozialen Medien ein Bild mit einem Zitat des bekannten türkischen Historikers İlber Ortaylı: „Wenn ich aus dem Fenster schaue, erinnert mich das an Syrien; wenn ich fernsehe, an die Schweiz“, wurde Ortaylı da zitiert. Aber auch ein großer Teil der Türken zeigt sich durch die Entwicklung nicht besonders gestört. Solange die AKP Nudelpackungen oder Kohlesäcke verteilen kann, wird sich da wohl nicht viel ändern.

Das zweite Kriterium, Verantwortungsgefühl, scheint auch nicht vorhanden zu sein. Die AKP fühlt sich zwar für ihre Erfolge verantwortlich, aber nicht für ihre Misserfolge. Misserfolge gibt es entweder gar nicht, da sind sie besonders kreativ; auch nach erfolgten Anschlägen finden sie etwas, was sie als Erfolg vorbringen können. Oder aber andere werden für die Misserfolge verantwortlich gemacht. Das können mal die Kurden sein, mal die Juden, mal der Westen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Und schließlich das dritte Kriterium, Unbescholtenheit. Wenn ein Präsident offen zugibt, die Verfassung zu verletzen und staatliche Amtsträger ermuntert, es mit der Einhaltung der Gesetze nicht zu übertreiben, wenn sie die Justiz dazu missbrauchen, missliebige Stimmen zum Schweigen zu bringen, dann können sie nicht zurücktreten oder Schwäche zeigen.

Nein, es wird keiner zurücktreten, selbst wenn gestern in Ankara nicht 28, sondern 28.000 ihr Leben verloren hätten. Sie kleben an ihren Stühlen. Da ist zusammengewachsen, was getrennt gehört.

Eher tritt ein Papst zurück.