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Politik

„Es muss mehr direkte Demokratie geben“

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Julia Bonk (Die Linke) mischte sich schon als Schulsprecherin in die Bildungspolitik ein. Mit 18 wechselte sie 2004 direkt von der Schulbank in den Sächsischen Landtag und galt als die „jüngste Landtagsabgeordnete Deutschlands“. (Foto: reuters)

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Von İsmail Çevik*

Wie fing Ihr politisches Abenteuer an?

Am Anfang war es gar nicht mein Ziel, in die Politik zu gehen. Ich habe einfach angefangen, mich politisch zu engagieren, als ich 13-14 war. In der Schülervertretung wurde ich zur Schülersprecherin gewählt. In späteren Zeiten übte ich meine Tätigkeiten als Stadtschülersprecherin und Landesschülersprecherin weiter aus. Weil wir uns in diesem Rahmen gegen konkrete Missstände gewehrt hatten, sind mehrere Mitschüler und ich auch politisch geworden, aber nicht im Sinne von Parteipolitik. Wir wollten einfach bessere Bildung.

Sie hatten Ihre Tätigkeit als Schülersprecherin nicht auf Aktionen in der Schule begrenzt, sondern gingen auch an die Öffentlichkeit.

Ja, wir haben Demonstrationen und Podiumsdiskussionen organisiert. Mit dem Kultusministerium Gespräche geführt. Das war ein öffentlicher Auftritt, der von der Schule ausging. Wir haben damals die Politik nicht aus parteipolitischer Perspektive kritisiert, sondern im Interesse der Schülerschaft. Ich habe das alles während meiner Schulzeit gemacht, aber nicht geplant, in die Politik zu gehen. Nachdem ich im Jahr 2004 mein Abitur abgeschlossen hatte, kamen einige Anfragen von Parteien, die auch Parteilose als Kandidaten aufstellen wollten. Ich habe dann 2004 für den Landtag als Parteilose auf der Liste der PDS (die sich 2005 in die Partei „Die Linke“ umwandeln sollte) kandidiert.

Schon mit 13-14 Jahren haben Sie sich mit politischen Themen beschäftigt. Wieso?

Wir haben uns damals sehr aufgeregt darüber, dass junge Leute nicht selbst bei der Gestaltung ihres Lebensumfeldes mitsprechen konnten. Wir wollten die Schule mitgestalten dürfen. Das waren Demokratisierungsimpulse. Wir wollten, dass die Schule anders wird und dem Einfluss junger Menschen Raum gibt. Wir haben auch einiges erreicht. Bei der höchsten Versammlung der Schule, der Schulkonferenz, haben wir unser Anliegen durchgesetzt, dass zwischen Lehrern, Eltern und Schülern Gleichberechtigung hergestellt würde. Wir haben auch gegen die Landespolitik protestiert.

Was genau wollten Sie eigentlich ändern?

Wir wollten, dass die Schule demokratischer gestaltet wird, dass im Unterricht mehr auf die Schüler eingegangen wird, statt allgemeine Leistungen abzufordern ohne Berücksichtigung der Persönlichkeit. Wir wollten innere Differenzierung. Mehr Lehrer/innen und keinen Unterrichts-Ausfall. Dass an Bildung nicht nur gespart und dass eine andere Bildungspolitik gemacht wird.

Mit 18 waren Sie dann Landtagsabgeordnete. Wie waren Ihre ersten Tage im Landtag?

Ich kannte das Haus, ich hatte zusammen mit den Kollegen als Landesschülersprecherin bereits mehrmals dort Konferenzen organisiert. Deswegen war es für mich nicht ganz neu. Natürlich war es auch ein bisschen aufregend. Aber es ging für mich sehr schnell um praktische Fragen: Wie werden die Büros organisiert? Welche Schwerpunkte wollen wir setzen? Am Tag der ersten Sitzung fand ich, dass es ein Statement gegen die neu eingezogenen Nazis geben müsste. Darum habe ich aus Protest ein T-Shirt getragen, auf dem ich das zum Ausdruck brachte.

Wie haben die anderen erfahrenen Abgeordneten reagiert?

Die hatten mir vorher gesagt, dass ich das mit dem T- Shirt lieber nicht machen sollte, weil das gegen die Geschäftsordnung wäre. (schmunzelt)

Gibt es ein Erlebnis aus den ersten Zeiten, das Sie bis heute nicht vergessen können?

Ich hatte am Anfang gedacht, die Politik wäre eine direkte, eine selbstorganisierte Interessenvertretung, so wie wir sie früher gemacht hatten. Bei den vielen Sitzungen bleiben die Politiker ziemlich unter sich. Das finde ich falsch. Es muss mehr direkte Beteiligung und direkte Demokratie geben.

War es für Sie nicht schwierig mit 18 Jahren, sich mit erfahrenen Politikern auseinanderzusetzen?

Nein, ich habe es nicht als schwierig empfunden. Ich habe die Meinung vertreten, dass sich junge Menschen als Teil des Wahlkörpers legitimer Weise selbst vertreten sollten. Das Wahlrecht beginnt mit 18 Jahren. Wenn man junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren aussperrt und sie von älteren Politikern vertreten werden müssen, so ist das ein Verlust für die Demokratie. Nicht alle Jugendliche können und sollten von Älteren vertreten werden. In manchen Fragen ist die Perspektive anders.

Haben Sie irgendwann mal gedacht, dass Sie wegen Ihrer politischen Verpflichtungen Ihre Jugend nicht richtig genießen konnten?

Ich hatte natürlich viel zu tun, viele Verpflichtungen und nicht so, wie es bei anderen der Fall ist, die nur studieren. Ich habe aber immer darauf geachtet, dass ich auch studiere und mich mit Freunden treffe.

Ist es empfehlenswert, schon mit 18 ein politisches Mandat zu übernehmen?
Meiner Meinung nach ja, es machen heute mehr Leute mit und interessieren sich sehr früh für gesellschaftliche Fragen. Junge Leute bringen sich heute viel stärker ein. Sie sollten nicht von politischen Entscheidungen ausgeschlossen werden und sich auch nicht selbst ausschließen. Ich bin auch für die weitere Senkung des Wahlrechts. Das kann auch dafür sorgen, dass sich Regierungen stärker an den Interessen junger Wähler/innen ausrichten.

Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich aktuell im Landtag?

Meine primären Themen sind Netzpolitik und Verbraucherpolitik. Es geht um Datenschutz, neue Medien und Demokratisierung. Dabei geht es mir immer um die grundlegenden Veränderungen der Gesellschaft, die man an praktischen Fragen festmachen kann.

Haben Sie politische Ziele auch schon umgesetzt?

Wir sind immer in der Opposition, deswegen können wir unsere eigenen Vorschläge nicht realisieren. Aber wir haben in Bezug auf die Demokratisierung von Schulen etwas erreicht. Jetzt setze ich mich für mehr Vielfalt im Stadtteil ein und dafür, dass über das Internet mehr direkte Beteiligung von Bürger/innen möglich gemacht wird. Da bewegt sich was.

Haben die anderen Politiker Sie denn mit Ihren Anliegen ernst genommen?

Das war von Partei zu Partei anders. Die CDU hatte größere Probleme damit gehabt, zu akzeptieren, dass es eine 18-jährige Abgeordnete gibt. Bei den Grünen, der SPD und bei meiner Partei gab es keine Probleme. In der ersten Legislaturperiode hatte ich im Rahmen einer Ausschussreise nach Litauen die Aufgabe des Delegationsleiters inne. Einige CDU-Abgeordnete wollten nur aus diesem Grund nicht mitreisen. Aber sie haben sich später bei mir entschuldigt.

Wie ist Ihre Beziehung heute zu Jugendlichen?

Ich gehe genauso Tanzen oder ins Kino wie andere Jugendliche. Ich habe auch in einer WG gewohnt. Leute, die mich nicht kennen, können mich über facebook immer erreichen. Ich bin auch sehr viel unterwegs, sie können mich immer ansprechen. Wo immer Jugendliche protestieren und Unterstützung suchen, versuche ich, dabei zu sein.

Worüber beschweren sich die Jugendlichen?

Sie denken nicht, dass die Politik in der Lage ist, ihre Probleme zu lösen. Das ist nicht hinnehmbar und kann nur mit mehr direkter Beteiligung und glaubwürdigen Prozessen in der Politik sowie mit mehr Transparenz gelöst werden.

Wie hat Ihr politisches Engagement die Beziehung zu Ihren Eltern und Freunden beeinflusst?

Für einige in meinem Bekanntenkreis war es eine Überraschung, aber die haben mich unterstützt. Meine Eltern sind zwar politisch nicht aktiv, aber sie standen immer hinter mir.

Haben Sie Ihr Studium fortgesetzt?

Ich habe mein Studium begonnen und abgeschlossen. Ich habe Politikwissenschaften und Geschichte studiert. Die politische Arbeit hat viel Zeit in Anspruch genommen, aber ich habe mir für mein Studium feste Ziele gesetzt und diese auch erreicht.

Was sind jetzt Ihre aktuellen Ziele?

Aus meiner Sicht gibt es zwei große Probleme: Die kapitalistische Wirtschaftsweise stößt an ihre Grenzen. Sie kann gesellschaftliche Fragen nicht mehr in einer für eine Mehrheit zufriedenstellenden Weise beantworten. Es bedarf also einer Umverteilung und einer grundlegend neuen Ausrichtung. Zudem muss dem Vertrauensverlust, den die gängigen politischen Entscheidungsprozesse erlitten haben, gegengesteuert werden: Es ist wichtig, dass sich wieder mehr Menschen beteiligen. Mit meiner politischen Arbeit will ich an der Klärung dieser Fragen mitwirken.

*İsmail Çevik lebt in Berlin und ist Hauptstadtkorrespondent der Tageszeitung „Zaman“