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Kolumnen

Es weihnachtet – auch in unserem Haus

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Es ist schon seit Jahren Tradition, dass unsere zwei Nachbarn uns selbstgebackene Plätzchen und Stollen zu Weihnachten schenken. Seit Geburt meiner Tochter gibt es noch zusätzlich ein Spielzeug dazu, schön weihnachtlich eingepackt. (Foto: dpa)

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Es weihnachtet - auch in unserem Haus
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„Feiern Sie heute auch Weihnachten?“ fragt mich unsere Nachbarin, die wie jedes Jahr zu Weihnachten an unserer Tür klingelt und unsere Weihnachtsgeschenke überreicht. Ich bin sehr gerührt und etwas errötet bei der Entgegennahme der vielen Geschenke. „Na ja, wir feiern heute den Geburtstag meiner Mutter. Ob Weihnachten oder Geburtstag, es ist schön mit besonderen Menschen zusammen zu kommen“, erwidere ich. Ich wünsche ihr frohe Weihnachten. „Mit meiner Tochter werden wir auch noch bei Ihnen an der Tür klingeln. Sie ist gerade nicht zu Hause“, schiebe ich noch hinterher.

Ein Tag vor Heiligabend singt meine Tochter im Auto „Dingle bell dingel bell, dingel lalala“. Ich singe ihr die richtige Version vor „Jingle bells, jingle bells, jingle all the way. O, what fun it is to ride in a one-horse open sleigh.“

In der 13. Klasse war ich im Chor unserer Schule. Zu Weihnachten sangen wir damals Winter- und Weihnachtslieder. Ich freue mich, dass ich den Text vom „Jingle bells“-Lied nicht vergessen habe. Wie denn auch, jedes Jahr zu Weihnachten summe ich es vor mir her. Weihnachtszeit steckt doch alle an. Lichterketten an Fenstern, geschmückte Weihnachtsbäume in Geschäften, Weihnachtsschokoladen in unendlichen Versionen, lange Einkaufsschlangen, Weihnachtsmärkte, soweit das Auge sehen kann.

Meine Tochter, mein Mann und ich als Vorsängerin singen zusammen „Jingle bells“. Eine vorweihnachtliche Zeit macht sich bemerkbar. Auch wegen des Umstands, dass ich seit Tagen insgesamt ca. 500 Weihnachtskarten per Hand schreibe. Auch mein Ehemann verschickt seinen Kunden traditionell Weihnachtsgrüße. „Mit der Hand geschriebene Karten sind persönlicher. Die Menschen freuen sich. Und ich mich umso mehr“, sagt er.

Es ist bei uns in der Familie ein Muss, an Weihnachten ein Familientreffen zu organisieren. „Ihr seid schon erwachsen und habt eine Familie. Heutzutage ist es schwer, zusammen zu kommen und gemeinsam Zeit zu verbringen“, regt meine Mutter zu dem Treffen an. Rechtfertigungsgründe für ein Nichterscheinen überzeugen sie nicht. Geschenke werden nicht gekauft, aber leckere Kuchen und Erinnerungsfotos sind garantiert.

Meine Eltern sind an Heiligabend zu mir eingeladen. Nach dem Abendessen kommen die Plätzchen und der Stollen meiner Nachbarn auf den Tisch. Ich schmücke den Tisch noch mit Weihnachtsblumen. Mein Vater hat sie mitgebracht. Es ist auch eine Tradition meines Vaters, alle zwei Wochen Schnittblumen zu kaufen und sie meiner Mutter oder mir zu schenken. Diesmal bin ich an der Reihe, mich über Blumen freuen zu dürfen. Ich bin mir sicher, er weiß nicht, dass es sich um „Weihnachtsblumen“ handelt. Er weiß jedoch, dass sie vornehmlich im Winter auf den Markt kommen. Das bekannte Weihnachtslied „Süßer die Glocken nie klingen“ könnten glatt die Geschäftsinhaber singen, meint mein Bruder. Die Weihnachtszeit wird heutzutage mit Konsumententerror, Geschenkewahn und Stress in Verbindung gebracht. Mein Bruder meint, dass ein Markenunternehmen mit Werbung zu Weihnachten den Weihnachtsmann in der Welt populär gemacht habe. Wie viel Wahrheit dahinter steckt, wissen wir alle nicht.

Nachdem meine Tochter und meine Nichte heute den ganzen Tag unterwegs waren und nun am Abend zu Hause ankommen, schenke ich uns allen Tee ein. Meine Tochter entdeckt ihre Geschenke, die sie von unseren Nachbarn bekommen hat, und packt sie mit freudiger Miene aus. Sie will nun natürlichen wissen, warum sie von den Nachbarn Geschenke bekommen hat. Ich muss lange überlegen, weil die Antwort „Die Deutschen feiern Weihnachten“ falsch wäre. Denn auch Menschen anderer Nationen feiern Weihnachten. „Christen feiern Weihnachten“ wäre auch nicht passend. Auch Nichtgläubige oder Andersgläubige feiern Weihnachten.

Wir sind mittlerweile alle im Gespräch. „Meint ihr wir feiern gerade auch Weihnachten?“ frage ich in die Runde. Es herrscht Stille, mit dieser Frage rechnete niemand. „Wir haben Weihnachtsgebäck, Weihnachtsblumen und drei Weihnachtsbäume sowie ein familiäres Treffen“. „Weihnachtsbäume?“, fragt meine Mutter überrascht. „Na die Weihnachtsbäume, die ihr vor drei Jahren im Garten verpflanzt habt“. Mein Vater lächelt. „Ja stimmt“ sagt er. Meine Mutter ist überzeugt, dass wir ihren Geburtstag feiern, mein Ehemann hingegen stimmt mir zu: „Ja, wir feiern gerade Weihnachten“. Schließlich fasst mein Bruder zusammen: „Wir feiern Geburtstag UND Weihnachten“. „Es fehlt aber die Weihnachtsgans“ stelle ich fest. „Es reicht auch ein traditionelles Gericht wie die türkischen Hackbällchen, die du zubereitet hast“, tröstet mich meine Nichte. „Dann ist ja gut“, gebe ich mich zufrieden. Wir müssen alle lachen. Mein Mann schenkt uns weiteren Tee ein.

„Ich würde sagen, wir sind hier in Deutschland integriert mit Stollen, Weihnachtskarten und Weihnachtsgeschenken.“ Die Blicke meiner Mutter verraten mir viel. Denn sie schaut mich an und würde fast meinen wollen, „Wie kommst du denn jetzt auf das Thema Integration zu sprechen? Warum Handlungen an Gründe knüpfen?“

Ich möchte meiner Familie nicht offenbaren, dass das Thema Integration mich seit ein paar Tagen wieder stark beschäftigt. Denn der Internationale Tag der Migranten letzte Woche wurde konsequenterweise unter dem Gesichtspunkt der Zuwanderung und Integration diskutiert. Also stelle ich mir seit Tagen die Frage, ob ich als Tochter einer Migrantenfamilie integriert bin. Was ist der Maßstab einer erfolgreichen Integration? Meiner Familie stelle ich heute Abend die Fragen nicht. Heute ist der Geburtstag meiner Mutter, heute ist Weihnachten.

Ob wegen Weihnachten, Geburtstag oder Familientreffen, entscheidend ist, dass wir alle zusammen sitzen, plaudern und glücklich sind.

Weihnachten ist das Fest der Liebe; der Tag, an dem die Christen die Geburt Jesu feiern.

Eins steht für mich heute Abend aber fest. Nächstes Jahr backe ich meinen deutschen Nachbarn auch Plätzchen, vielleicht auch einen Stollen.