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Politik

Merk: Beziehungen zur Türkei jenseits von EU-Beitritt ausbauen

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Für einen EU-Beitritt der Türkei fehlt es nach Meinung der bayerischen Europaministerin Dr. Beate Merk derzeit an den Voraussetzungen. Es soll aber unabhängig davon in wichtigen Fragen stärker kooperiert werden.

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Dr. Beate Merk (CSU) reist heute in die Türkei.
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Dr. Beate Merk (CSU), die bayerische Ministerin für Europaangelegenheiten, fliegt heute in die Türkei. Ihr wichtigstes Thema ist die Zusammenarbeit mit dem Land am Bosporus in der Flüchtlingsfrage. Sie sieht das Land der innenpolitischen Entwicklungen in den letzten Jahren wegen weiter von einem EU-Beitritt entfernt und plädiert für eine Vertiefung der Beziehungen „jenseits der Frage eines EU-Beitritts“.

Über die aktuelle Debatte, in der es um eine erdoğankritische Karikatur in deutschen Schulbüchern geht, sagt sie: „Wir haben Medien- und Pressefreiheit. Karikaturen haben gerade den Sinn, zu provozieren. Da wird bei uns nicht vor Politikern, auch nicht vor der Kirche, Halt gemacht.“

Frau Ministerin, Sie reisen morgen in die Türkei. Aus welchem Anlass?

Es gibt zwei Gründe, weshalb ich in die Türkei fliege. Der eine ist: Wie kommen wir miteinander zurecht, das heißt wie ist das Verhältnis zwischen der Türkei und Bayern? Das wollen wir verbessern, das wollen wir auch intensivieren. Zum Zweiten geht es natürlich um die aktuelle Situation mit den Flüchtlingen: Wie geht die Türkei mit der Flüchtlingsproblematik um und wie ist die Situation vor Ort? Wir müssen den Flüchtlingsansturm bewältigen. Dabei müssen wir uns auch darüber im Klaren sein, dass dieser Ansturm so schnell nicht aufhören wird.

Was muss gemacht werden?

Wir brauchen eine ganz gezielte europäische Entwicklungspolitik, die auch die Türkei einbezieht. Wir müssen dafür sorgen, dass Flüchtlinge ein menschenwürdiges Leben haben. Wir müssen aber auch die Fluchtursachen in den Herkunftsländern bekämpfen und engagiert miteinander dafür sorgen, dass solche Flüchtlingsströme erst gar nicht entstehen. Wir haben jetzt auch die ganz schwierige Situation, dass wir vor dem Winter stehen. Es gibt oft nur kleine Zeltbauten in den Flüchtlingslagern. Da kann man keine Wärme garantieren, da kriecht die feuchte Kälte in die Zelte. Wir haben viele Kinder, die dort sind und besonders unter dieser Situation leiden. Wir müssen auch Sofortmaßnahmen auf den Weg bringen. Aber ich möchte auch sagen: Was die Türkei hier bereits jetzt tut, das ist mit großer Hochachtung anzuschauen.

Wie hat sich die Beziehung zur Türkei in den vergangenen Jahren gewandelt?

Unsere Beziehungen mit der Türkei sind vielfältig. Dadurch, dass sehr viele türkische Mitbürger bei uns leben, haben wir ein sehr enges, gutes Verhältnis. Die türkischen Mitbürger sind auch sehr aktiv, zum Beispiel haben wir ein Internat in der Nähe von Günzburg für türkische Kinder, das ich schon besucht habe. Das ist ein sehr offenes Internat, was ich auch sehr schön finde, weil Transparenz auch zum gegenseitigen Verständnis dazugehört. Da die Türkei mit uns in der NATO ist, haben wir auch eine sehr enge und vertrauensvolle strategische Partnerschaft, eine Bündnispartnerschaft. Wir sind also Seite an Seite, auch wenn es um solche Fragen wie die Flüchtlingsproblematik geht. Das ist eine gemeinsame Herausforderung für uns. Deswegen halte ich es für wichtig, dass wir hier zusammenarbeiten.

Warum ist die Flüchtlingsfrage eine gemeinsame Herausforderung?

Wir alle stehen vor der Situation, dass es in Ländern wie Syrien, aber auch in anderen Ländern im arabischen oder auch afrikanischen Raum, zurzeit große Flüchtlingsbewegungen gibt. Der Bürgerkrieg in Syrien ist noch mal eine ganz besondere Herausforderung. Ich möchte ganz klar sagen: Wir stehen vor einer solchen Flut von Flüchtlingen, wie wir sie vor kurzem nicht für möglich gehalten hätten. Damit müssen wir jetzt klarkommen und alles tun, um diesen Menschen auch ein menschenwürdiges Leben bieten zu können. Wir müssen uns auch darüber klar sein, dass viele dieser Flüchtlinge nicht vorhaben, ihr Land dauerhaft zu verlassen. Viele können sich das auch nicht leisten. Sie sind geflohen, um ihre Familien zu retten, um ihre Kinder zu retten, um sich selbst zu retten und warten jetzt darauf, dass dieser unselige Krieg ein Ende hat und sie zurückgehen können. Es stehen alle in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die Flüchtlinge menschenwürdig untergebracht werden. Wir müssen eine humanitäre Katastrophe und neue Flüchtlingsströme verhindern.

Die Türkei sieht sich in der Flüchtlingsfrage alleingelassen. Was kann der Beitrag von Bayern sein?

Zu allererst müssen wir miteinander sprechen und überlegen, was können wir tun, damit der Krieg zu Ende geht. Das wäre das erste Thema. Nach einem Sieg über den IS müssen wir dafür sorgen, dass die Flüchtlinge wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Das wäre das Beste. Auch geht es darum, was wir tun können, um Hilfeleistungen in die Länder noch besser zu unterstützen. So habe ich zum Beispiel mit Mitarbeitern der NGOs gesprochen.

Was sagen die NGOs dazu?

Sie bitten um Unterstützung der Türkei und z.B. darum, Kranken- und Feuerwehrfahrzeuge und Medikamente ohne unnötige bürokratische Hindernisse nach Syrien oder Libanon zu bringen. Das, denke ich, sind ganz wichtige Themen.

Sie sprechen von einem Sieg über dem IS. Wie realistisch ist das?

Das kann im Moment keiner beantworten. Wir müssen jetzt diejenigen unterstützen, die zum Beispiel an der Seite der nordirakischen und syrischen Menschen gegen den IS kämpfen. Wir müssen uns fragen: Wie können wir da Unterstützung leisten, wie kann man diejenigen unterstützen, die sich auch militärisch beteiligen und Hilfe geben? Ob und wann es zu einem Ende der Terrorakte des IS kommt, das vermag niemand zu beurteilen.

Die IS wirbt junge Menschen aus Deutschland ab, um sie mit in den Krieg zu ziehen.

Das ist eine ganz dramatische Situation, wenn man sich überlegt, dass in unseren Ländern tatsächlich junge Leute sind, die sich so beeinflussen lassen. Das geht vor allem mit Menschen, die in einer persönlich labilen Situation sind. Dann ist man für solche Fanatiker eher anfällig. Fachleute sagen auch, dass man hier sehr frühzeitig auch eingreifen und die jungen Leute wieder von diesen Menschen wegreißen muss. Später schafft man es so gut wie nie, so fanatisierte junge Menschen auf einen vernünftigen Weg zurückzubringen. Das ist eine ganz schwierige Frage, weil das auch für die innere Sicherheit in unseren Ländern eine große Gefahr bedeutet.

Wie wichtig ist die Türkei für Deutschland und für die Europäische Union?

Die Türkei ist für uns ein sehr wichtiger Partner. Sie ist vor allem auch geografisch gesehen die Brücke in den Nahen Osten. Sie ist damit auch ein Verbindungselement in Regionen, in denen wir Verständnis und Toleranz zwischen den Menschen aus dem Westen und aus dem Nahen und Mittleren Osten bis nach Asien noch stärken müssen. Wir haben zudem rund 2,8 Millionen türkische Mitbürger in Deutschland. Das ist eine sehr große Gruppe. Und auch die wirtschaftlichen Beziehungen sind wichtig.

Sie interessieren sich seit langem für die Türkei. Welche Fragen werden Ihnen gestellt?

Als ich vor Jahren angefangen habe, mich für die Türkei zu interessieren, haben mich einige gefragt, wie weit Istanbul im Vergleich zu uns und unseren Metropolen fortgeschritten ist. Die Unterschiede waren da in bestimmten Bereichen gar nicht so groß.

Welche Bereiche meinen Sie?

Was Frauen in Führungspositionen in den Betrieben angeht, zum Beispiel. Zusammenfassend will ich sagen: Was wir wollen, ist eine enge und tiefe Partnerschaft mit der Türkei, wir wollen gegenseitiges Verständnis stärken und wir wollen sehr deutlich machen, dass wir gemeinsam Seite an Seite stehen. Vor allem auch, wenn es darum geht, sich gegen internationale Konfliktherde zu wehren, allen voran gegen die Bedrohung durch den IS.

Zwischen der EU und der Türkei dauern die Beitrittsverhandlungen bereits seit langem an und sind in den letzten Jahren fast zum Stillstand gekommen sind. Woran liegt das?

Die Verhandlungen sind nicht gestoppt, sie kommen aber nicht weiter. Die Türkei hat eine ganz andere kulturelle und religiöse Basis als wir. Das muss man sich deutlich machen. Die Politik in der Türkei, zumindest in der jüngeren Zeit, hat zudem nicht unbedingt das Ziel gehabt, sich den Beitrittskriterien der Europäischen Union (EU) weiter anzunähern. Der jüngste Fortschrittsbericht der Kommission listet daher auch bestimmte Defizite auf. So hinsichtlich der Unabhängigkeit der Richter, der Pressefreiheit und vielem mehr.

Und die Größe des Landes…

…kommt noch hinzu. Sie ist sicherlich eine Riesenherausforderung im Falle eines Beitritts. All das bedeutet aber nicht, dass unsere Partnerschaft in irgendeiner Weise in Frage gestellt wird – auch dann nicht, wenn wir über kritische Dinge offen reden. Ich bin mir im Übrigen auch nicht sicher, ob in der türkischen Bevölkerung tatsächlich so große Unterstützung für einen EU-Beitritt der Türkei da ist. Für mich ist es wichtig zu sagen: Wir haben in vielen Punkten, nicht nur durch die Partnerschaft in der NATO, gemeinsame Interessen. Unsere Partnerschaft wollen wir intensivieren und stärken. Ich glaube, da gehen wir einen guten und zukunftssicheren Weg.

Wird die Türkei irgendwann EU-Mitglied?

Aus der jetzigen Sicht kann ich mir das in absehbarer Zeit nicht vorstellen. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die enge Partnerschaft in der NATO Vorbild auch zu einer engeren Freundschaft in anderen Bereichen wird. Unsere Bevölkerungen schätzen einander und mögen sich, weil wir uns inzwischen kennen und enge Freundschaften in allen Bereichen der Gesellschaft haben.

Und was halten Sie von der Visafreiheit für Türken?

Gerade die Frage der Visafreiheit zeigt doch, dass wir unsere Beziehungen jenseits der Frage eines EU-Beitritts positiv ausbauen können. Die Visafreiheit war noch vor einigen Jahren kaum denkbar. Mit der Unterzeichnung des EU-Rückübernahmeabkommens durch die Türkei im Dezember 2013 ist hier dann doch deutlich Bewegung hineingekommen. Ich begrüße diesen Prozess ausdrücklich. Aber: Bei der Visafreiheit sind elementare und sensible sicherheitspolitische Aspekte betroffen. Hier stehen Fragen ungesteuerter und illegaler Zuwanderung im Raum, die es zu verhindern gilt. Alle diese Punkte werden jetzt im Visadialog mit der Türkei behandelt. Wenn es sicherheitspolitisch verantwortbar ist, ist eine Visafreiheit für die Türkei am Ende dieses Prozesses gut möglich.