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Bildung & Forschung

EU denkt über „Erasmus“-Aus für die Türkei nach

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Erst nach den Kommunalwahlen will die EU entscheiden, ob sie das „Erasmus“-Studentenaustauschprogramm mit der Türkei stoppt. Hintergrund sind angebliche Unregelmäßigkeiten im Umgang mit Fondsgeldern im türkischen EU-Ministerium. (Foto: zaman)

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Die Europäische Kommission hat Anfang März Ermittlungen gegen die türkische „Nationalagentur für das Erasmus-Programm“ in Ankara aufgenommen.
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Die Europäische Kommission hat Anfang März Ermittlungen gegen die türkische „Nationalagentur für das Erasmus-Programm“ in Ankara aufgenommen – und an deren Ende könnte ein Erasmus-Stopp stehen. Dies berichtet die „Zeit“ auf ihrer Internetseite. Die Folge wäre, dass es weder für türkische Studenten, die in einem EU-Land studieren wollen, noch für Studenten aus EU-Ländern, die zum Zweck des Besuchs einer Universität in die Türkei kommen wollen, Stipendien aus dem Programm geben wird.

Die Türkei stellt unter den 33 Nationen, die am Erasmus-Programm teilnehmen, die sechstmeisten Austauschstudenten. Allein 2012 sollen rund 12 000 türkische Studenten zu Studienzwecken in EU-Staaten gegangen sein.

Die EU müsse in der Türkei „Unregelmäßigkeiten“ nachgehen, die durch „fehlende Transparenz bei der Einstellung von Personal und Verstöße gegen EU-Regeln für Beschaffungsvereinbarungen“ entstanden seien, begründet Kommissionssprecher Dennis Abbott die Vorgehensweise. Er wollte aber angesichts der laufenden Ermittlungen nicht näher in Details gehen.

Wie bereits Anfang des Monats in der „Taraf“ zur Sprache gekommen war, wurde eine Untersuchung im Zusammenhang mit Behauptungen über die unsachgemäße Verwendung von EU-Mitteln eingeleitet. Es war von einem Mangel an Transparenz bei der Einstellung von Beamten und von „schwerwiegenden Vorwürfen“ hinsichtlich einer Verletzung innerstaatlichen und europäischen Rechts bei Ausschreibungen in der betroffenen Institution die Rede.

Bağış‘ Ministerium soll Gelder zweckentfremdet haben

Die „Zeit“ behauptet unter Berufung auf türkische Quellen, der ehemalige türkische Minister für EU-Angelegenheiten, Egemen Bağış, habe Erasmus-Fondsgelder für Ministeriumsagenden missbraucht und das Geld damit nicht den Studenten zugutekommen lassen. Allein im Jahr 2013 habe die türkische Nationalagentur für die EU-Bildungsprogramme Lifelong Learning und Youth in Action 116 Millionen Euro an EU-Fördergeldern erhalten. Auf das Erasmus-Programm, das ein Teil des Lifelong Learning-Programmes ist, sollen dabei rund 40 Prozent der Gelder entfallen, so Abbott.

Bağış‘ Ministerium soll durch massiven Druck auf die nationale Erasmus-Agentur Druck ausgeübt haben, um Personalentscheidungen und Lieferverträge zu beeinflussen. In diesem Zusammenhang kam auch eine E-Mail ans Tageslicht, welche schwerwiegende Anschuldigungen über Egemen Bağış beinhaltet, dessen Name auch im Zusammenhang mit den Korruptionsuntersuchungen gefallen ist und welcher in weiterer Folge auch von seinem Amt als EU-Minister zurückgetreten war.

Musa Ceylan, der diese E-Mail während seiner Amtszeit als Präsident der Nationalen Agentur am 9. März 2013 an Egemen Bağış geschickt haben soll, wies in dieser darauf hin, dass Bağış Anweisungen gegeben habe, die auf „Unmäßigkeit bei der Einstellung von Personal und bei Ausschreibungen“ hindeuteten.

Bağış hat im Dezember im Zusammenhang mit den Korruptionsermittlungen sein Amt verloren. Sein Nachfolger hat einen transparenten Umgang mit dem Fall zugesichert. Nähere Angaben wollte man aber auf Anfrage der „Zeit“ nicht machen.

Nun drohen unter anderem Rückforderungen von Bildungsgeldern, aber möglicherweise auch die Aussetzung des Programmes für 2014 und sogar darüber hinaus. Am Erasmus-Programm der Europäischen Union können alle 28 Mitgliedstaaten teilnehmen, sowie europäische Staaten mit besonderen partnerschaftlichen Beziehungen zur EU – beispielsweise Norwegen, Island oder eben die Türkei. Seit 1987 sind knapp drei Millionen junge Menschen mit Erasmus ins Ausland gegangen.

Vergrault die EU eine ihr gegenüber loyale Bevölkerungsgruppe?

Aussetzungen des Erasmus-Programms hatte es bislang bereits gegenüber Rumänien, Zypern und Malta gegeben – jeweils im Zusammenhang mit Vorwürfen der Intransparenz – und kürzlich gegenüber der Schweiz, nachdem diese in einer Volksabstimmung ein restriktiveres Einwanderungsgesetz beschlossen hatte.

428 Euro im Monat bekommen türkische Studenten im Schnitt als Erasmus-Stipendium. Zudem entfallen für Erasmus-Studenten in der Regel die hohen Studiengebühren in manchen EU-Mitgliedsstaaten, beispielsweise in Großbritannien. Ohne Erasmus wird befürchtet, dass nur Kinder reicher Eltern sich noch Studienaufenthalte in der EU leisten können.

Politisch könnte sich die EU mit einer Beendigung des Programms ein Eigentor schießen. Immerhin gilt die Studentenschaft als EU-freundlicher und einem Beitritt positiver gesinnt als der Durchschnitt der türkischen Bevölkerung. Mit einer Kappung des Programms würde Brüssel also möglicherweise eine weitere Bevölkerungsgruppe vor den Kopf stoßen.

Die EU-Kommission hatte zunächst angekündigt, ihre Entscheidung schon Ende März zu treffen – und damit just vor den Kommunalwahlen. In einer neuen Stellungnahme ist nun von einer ersten Untersuchungsbilanz am 7. April die Rede. Die endgültige Entscheidung soll im Mai fallen.