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Politik

EU-Spitzen in Ankara: Wenig Inhalt und Sofakrise

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Die EU bietet der Türkei trotz vielkritisierter Entwicklungen eine engere Partnerschaft an. Währenddessen ist die Sitzordnung ein großes Thema.

Die EU lotet ungeachtet scharfer Kritik von Menschenrechtlern einen möglichen Ausbau der Beziehungen zur Türkei aus. Bei einem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Ankara diskutierten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel am Dienstag unter anderem über eine Stärkung der wirtschaftlichen Kooperation. Sie könnte nach Angaben von der Leyens eine Modernisierung der Zollunion und eine intensivere Zusammenarbeit bei Zukunftstechnologien im Bereich Umwelt und Digitales umfassen.

Es gehe um eine stärkere Kooperation, die für beide Seiten profitabel sei, sagte die deutsche CDU-Politikerin. Dazu zählten auch die Zusammenarbeit in der Flüchtlings- und Migrationspolitik sowie der Ausbau der Kooperation im Rahmen des EU-Forschungsprogrammes Horizont und des Austauschprogramms Erasmus. Es gebe weiter Uneinigkeiten, aber auch neue Chancen, sagte Michel. Der Sprecher des türkischen Präsidenten, Ibrahim Kalın, teilte am Abend laut der staatlichen Agentur Anadolu mit, Erdoğan habe ebenfalls die Bedeutung der Zusammenarbeit beim Thema Migration betont.

Übliche Sorge um Menschenrechte

Zugleich machte von der Leyen deutlich, dass die EU auch in Zukunft nicht zögern werde, negative Entwicklungen anzuprangern. Sie und Michel hätten deutlich gemacht, dass die Achtung der Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit für die EU von entscheidender Bedeutung sei und die Türkei die internationalen Menschenrechtsregeln einhalten müsse, sagte sie. Der Rückzug der Türkei aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen sei zutiefst besorgniserregend und das „falsche Signal“. Man dränge die Türkei darauf, die Entscheidung rückgängig zu machen. Anadolu zitierte Kalın hierzu mit dem Satz, Gewalt gegen Frauen sei ein globales Problem, das man weiter bekämpfe – und gegen das man auch mit bereits bestehenden Gesetzen Erfolge erzielen könne.

Hintergrund der Gespräche mit Erdoğan waren Beschlüsse des EU-Gipfels vor eineinhalb Wochen. Bei ihm hatten sich die Staats- und Regierungschefs darauf verständigt, die Beziehungen zur Türkei schrittweise wieder auszubauen. Mit dem Beschluss will die EU die Eskalation weiterer Konflikte abwenden.

Flüchtlingsdeal

In der Migrationspolitik und besonders im Rahmen des 2016 abgeschlossenen Migrationsdeals mit Ankara zählt die EU unter anderem auf die Türkei als Partnerin, um Geflüchtete an der Weiterreise in Richtung Europa zu hindern. Im vergangenen Jahr hatte sich zudem der Streit zwischen Griechenland und der Türkei wegen umstrittener Erdgasforschung Ankaras im östlichen Mittelmeer gefährlich zugespitzt. Die EU hatte der Türkei im Dezember scharfe Sanktionen angedroht. Ankara beendete später die umstrittenen Erdgaserkundungen und signalisierte Gesprächsbereitschaft.

EU zahnlos?

Vor dem Hintergrund des Austritts aus der Istanbul-Konvention und einem möglichen Verbot der HDP wurde der Besuch von vielen Seiten kritisch gesehen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kommentierte: „Je dreister der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan wird, desto ruhiger wird die Europäische Union.“ Diese sollte ihren Ansatz dringend überprüfen und sichtbare Fortschritte in Sachen Menschenrechte an die Aufnahme von Gesprächen über eine Zollunion knüpfen. Eine „positive Agenda“, die gegen EU-Werte verstoße, sei nicht positiv.

Von der Leyen und Michel betonten hingegen, dass die „positive Agenda“ aus ihrer Sicht einen harten Kurs in anderen Fragen nicht ausschließe. Menschenrechtsfragen seien „nicht verhandelbar“, sagte von der Leyen mit Blick auf den in der Türkei inhaftieren Kulturmäzen Osman Kavala und den ehemaligen pro-kurdischen Oppositionsführer Selahattin Demirtaş. Die Türkei müsse Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte umsetzen.

Kavala sitzt seit November 2017 in Untersuchungshaft, Demirtaş ist seit November 2016 im Gefängnis. In beiden Fällen hatte die Türkei Urteile des EGMR zur Freilassung nicht umgesetzt, obwohl sie als Mitglied des Europarats eigentlich an die Urteile gebunden ist.

Kein Sitzplatz neben Erdoğan

Die Sitzordnung bei dem Treffen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und den EU-Spitzen in Ankara hat in sozialen Medien derweil für Irritationen und Kritik gesorgt. Während für EU-Ratspräsident Charles Michel ein großer Stuhl neben dem türkischen Staatschef reserviert war, bekam EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen Platz auf einem Sofa in einiger Entfernung von Erdoğan und Michel zugewiesen. Dort saß sie dem türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu gegenüber, der ebenfalls an dem Gespräch teilnahm.

Unter anderem auf Twitter wurde danach daran erinnert, dass der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei Treffen mit Erdoğan auf Augenhöhe sitzen durfte. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir kommentierte: „Solche Zeichen setzen autoritäre Unterdrücker & Machos wie #Putin, #Erdogan & Co bewusst. (…) Kann man sich gefallen lassen, muss man nicht. Respekt bekommt man so jedenfalls nicht bei den Herren!“

In der EU-Kommission wurde unterdessen darauf verwiesen, dass von der Leyen das Treffen mit Erdoğan genutzt habe, um mit ihm eine lange und sehr offene Diskussion über Frauenrechte und den Rückzug der Türkei aus der Istanbul-Konvention zu führen. Offene Kritik an der Sitzordnung gab es zunächst allerdings nicht. Als ein Grund gilt, dass Michel als Präsident des Europäischen Rates in der protokollarischen Rangordnung über der EU-Kommissionspräsidentin steht.

dpa/dtj

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