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Politik

Bosnien: Frieden von 1995 in Gefahr

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Der Friede von Dayton beendete zwar einen blutigen Bürgerkrieg. Die aus ihm hervorgehende Verfassung ermöglichte hingegen eine korrupte und handlungsunfähige Verwaltung. Gegen diese erheben sich nun Massenproteste. (Foto: reuters)

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Die Flagge von Bosnien.
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Nach den schweren Gewaltausbrüchen in Bosnien-Herzegowina sind auch am Wochenende wieder Tausende Menschen auf die Straße gegangen. In Sarajevo und Bihac forderten die Demonstranten eine „politische Revolution“ sowie die Rücktritte von korrupten Politikern, die aus ihrer Sicht an der Misere schuld sind. Andere Überlegungen zur Lösung der schweren innenpolitischen Krise reichen von Neuwahlen bis hin zur Entsendung von EU-Truppen in das Balkanland.

Bei den Protesten waren zuvor mehr als 200 Menschen verletzt worden. Zahlreiche Rathäuser und Parteizentralen gingen ebenso in Flammen auf wie Regierungsgebäude und Polizeifahrzeuge. Die Schäden gehen nach ersten Schätzungen in die Millionenhöhe.

Die Demonstranten erzielten mit ihren Forderungen bereits erste Erfolge: Drei der elf regionalen Regierungschefs traten zurück, ein vierter setzte sich ins benachbarte Kroatien ab. Am Sonntag forderten die Protestierer auf Transparenten die Abschaffung der teuren, korrupten und schwerfälligen Bürokratie in den elf Kantonen und den Rücktritt weiterer Politiker.

Eine Landeshälfte mit 150(!) Ministern

Der internationale Bosnien-Beauftragte, der österreichische Diplomat Valentin Inzko, unterstützte diese Forderung indirekt mit dem Hinweis, allein in der von Muslimen und Kroaten kontrollierten Landeshälfte gebe es 150 Minister. Auch der frühere kroatische Präsident Stjepan Mesic nannte den Friedensvertrag von 1995 als einen Hauptgrund für die bosnische Misere, weil damit praktisch eine lebensunfähige Verwaltungsstruktur geschaffen worden sei.

Eine weitere zentrale Forderung ist die Angleichung der Politiker-Einkommen an die äußerst niedrigen Durchschnittslöhne, die nach offiziellen Angaben umgerechnet 423 Euro betragen. Doppelt so viel wäre für das Existenzminimum notwendig, teilte der Verband der Konsumentenschützer mit.

Das muslimische Mitglied im dreiköpfigen Staatspräsidium, Bakir Izetbegovic, schloss sich diesem Anliegen an, obwohl er sich „persönlich überhaupt nicht verantwortlich“ fühle. Der Spitzenpolitiker gilt allerdings als besonders umstritten.

„Der Staat steckt in vollständigem Chaos, das System zerfällt“, beschrieb der Kommentator Enver Kazaz in der größten Zeitung „Dnevni Avaz“ die Lage. Er schlug daher den Rücktritt aller regionalen elf Kantonsregierungen und vorgezogene Wahlen vor. Der EU-Beauftragte Inzko ging gegenüber der Wiener Zeitung „Kurier“ noch einen Schritt weiter: „Österreich wird seine Truppen in Bosnien aufstocken. Wenn die Lage eskaliert, werden wir eventuell an EU-Truppen denken müssen“.

Hohe Arbeitslosigkeit, negatives Wachstum

Bosnien-Herzegowina ist ein junger Staat im Südosten Europas – mit blutiger Geschichte. Nach der Unabhängigkeitserklärung am 3. März 1992 begann der Bürgerkrieg mit über 100 000 Toten. 1995 legte das Abkommen von Dayton (USA) die Grundlagen für den heutigen multi-ethnischen Staat. Er besteht aus zwei fast selbstständigen Landesteilen. Die eine Hälfte wird von Serben, die andere von Bosniaken und Kroaten kontrolliert. Beide Landeshälften blockieren einander seit Jahren gegenseitig.

Dazu kommen die Konflikte der drei verfeindeten Völker. Es herrscht hohe Arbeitslosigkeit (2013: rund 27 Prozent). Das Wachstum brach ein: von 1,3 Prozent 2011 auf minus 0,7 Prozent 2012. Mit einer Fläche von 51 197 Quadratkilometern ist Bosnien und Herzegowina etwas größer als Niedersachsen. Laut Volkszählung vom Oktober 2013 hat das Land rund 3,8 Millionen Einwohner.

48,4% davon sind muslimische Bosniaken, die orthodoxen Serben stellen 32,7%, die katholischen Kroaten 14,6%. Das Bruttoinlandsprodukt liegt geschätzt bei 18,9 Milliarden US-Dollar; pro Einwohner rund 4865 US-Dollar. Die Inflationsrate liegt geschätzt bei 1,8 Prozent (2013). Der Außenhandel weist ein Gesamtvolumen von 15,2 Milliarden US-Dollar auf, davon sind 10 Milliarden Einfuhren. Haupthandelspartner sind Kroatien, Deutschland und Italien. (dpa)