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Politik

Falsche Reiseführer, falscher Kompass

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Der türkische EU-Minister Egemen Bağış kritisiert mit scharfen Worten „die einseitige und unverkennbar von der Propaganda zweifelhafter Randgruppen beeinflusste Bestandsaufnahme“ im diesjährigen EU-Bericht zur Lage der Beitrittskandidaten. (Foto: aa)

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Falsche Reiseführer, falscher Kompass
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Auf einer Pressekonferenz kurz nach Veröffentlichung des jährlichen Berichts der Europäischen Union zu den Beitrittsaspiranten erklärte Bağış, es wäre offensichtlich, dass die EU, die sich in Mitten einer ökonomischen und politischen Krise befinde, unter verschiedensten Vorwänden versuchen würde, eine Vollmitgliedschaft der Türkei zu verzögern.

Die intensive Lobbyarbeit des griechischen Teils Zyperns, der zurzeit den Ratsvorsitz innehat, habe dazu beigetragen, dass enttäuschende Aspekte, die bereits zuvor im Report enthalten waren, in einer noch weiter verschärften Formulierung angesprochen wurden.

„Durch diesen pessimistischen Ansatz wirft die EU bedauernswerterweise einen dunklen Schatten auf die positive Agenda, die sie noch im Mai zur Sprache gebracht hatte“, so Bağış zu Reportern.

Der Minister unterstrich, dass der Bericht immerhin den beachtlichen Fortschritt anerkenne, den die Türkei gemacht habe, wenn es darum geht, ihre Menschenrechtsstandards und ihre Gesetzgebung an die EU-Vorgaben anzupassen. „Die Europäische Kommission bemerkte, dass die Türkei in insgesamt 32 der angesprochenen Bereiche Fortschritte gemacht hat. Das ist Fakt“, so Bağış. Dennoch beklagte er, dass die EU in wesentlichen Teilen des Berichts unsubstanziierte und unrichtige Behauptungen wiederholen würde, die er bislang nur aus den Reihen ideologiegetriebener Fringe-Gruppen aus der Türkei und Europa vernommen habe. „Das ist ein ziemlicher Widerspruch zu den eigenen Erkenntnissen der EU“, sagte er.

Der türkische Minister beschrieb den Bericht 2012 als ein Filmdrehbuch, das kein objektives Bild der Türkei präsentiere und von dem keiner wüsste, wie man nach so etwas überhaupt je spielen könnte. Bağış übte scharfe Kritik, indem er betonte, der Bericht nütze jenen Leuten, die an einem Wohlergehen der Türkei nicht interessiert wären mehr als jenen, die sich eine stärkere Demokratisierung des Landes wünschten.

Er beschuldigte die EU, sich offen selbst zum Teilnehmer der laufenden innertürkischen Debatte machen zu wollen und den Boden der Objektivität und Gerechtigkeit zu verlassen. „Die EU macht in diesem Bericht den Eindruck, sich zum Sprachrohr derjenigen zu machen, die den Gedanken an Demokratie in der Türkei nicht verinnerlicht haben“, erklärte der Minister.

„Wir müssen zu unserem Entsetzen entdecken, dass die EU sich Argumente zu Eigen gemacht hat, die von ideologisierten Gruppen und Oppositionsmedien in der Türkei aufgebracht worden waren, ohne diese in irgendeiner Weise zu filtern und kritisch zu hinterfragen. Bei der Erstellung dieses Berichts hat die EU die falschen Reiseführer und den falschen Kompass herausgesucht“, so Bağış. Der EU-Minister wirft der EU vor, individuelle und isolierte Fälle innerhalb der Türkei in die Breite zu generalisieren.

Trotz der heftigen Kritik an dem Bericht versprach der türkische Minister, den EU-Beitrittsprozess nicht zu bremsen. „Wir werden damit fortfahren, uns auf die kommende irische Ratspräsidentschaft vorzubereiten“, erklärte er. Bağış unterstrich, dass die Vollmitgliedschaft für die Türkei ein Schlüsselziel bleibe und dass seine Regierung den Beitrittsprozess mit dem gleichen Nachdruck vorantreiben werde wie es 2005 der Fall war, als die Beitrittsgespräche offiziell begonnen hatten.
Christian Rogler