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Kultur/Religion

Fastenbrechen in Stuttgart: „Allah kabul etsin“

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Der Ramadan ist nicht nur eine Zeit des persönlichen Verzichts, sondern auch des sozialen Engagements und des gesellschaftlichen Dialogs. Das dachte sich wohl die Landesregierung Baden-Württembergs und lud zum gemeinsamen Fastenbrechen ein.

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Fastenbrechen in Stuttgart: „Allah kabul etsin“
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Bunt gemischt waren die Tische am gestrigen Mittwochabend im Speisesaal des Stuttgarter Neuen Schlosses. Winfried Kretschmann (B‘90/Die Grünen), Ministerpräsident und Kirchenbeauftragter des Landes Baden-Württemberg, hatte zum ersten Mal junge Menschen mit muslimischem Hintergrund anlässlich des Iftar im Ramadan zum Empfang eingeladen. Da Kretschmann persönlich verhindert war, wurde die Landesregierung durch Nils Schmid, Landesminister für Finanzen und Wirtschaft und stellv. Ministerpräsident, und Bilkay Öney, Landesministerin für Integration (beide SPD), repräsentiert. Auch Erdinç Altuntaş, Vorsitzender von DITIB-Württemberg, und der türkische Generalkonsul in Stuttgart, Mustafa Türker Arı, waren anwesend.

Lob an junge Muslime

Schmid sprach in seiner Begrüßungsrede Probleme auf der Welt an, die durch Intoleranz und das Ausschließen bestimmter Gruppen entstehen. „Wenn wir vermeiden wollen, dass sich diese Fehler in einer globalisierten Welt wiederholen, müssen sich Christen, Muslime, Juden und Menschen anderer und keiner Religionszugehörigkeiten gleichermaßen mit diesen Fragen auseinandersetzen. Nicht zufällig dient im Islam gerade auch der Ramadan dem Nachdenken und der guten Tat, als Verantwortung für die Schwächeren. Fastende sollen den Wert des Speisen und Wasser entdecken, und mit denjenigen mitfühlen, die über das ganze Jahr hungern müssen. Ich freue mich, dass heute so viele so junge Musliminnen und Muslime hier sind. Sie übernehmen in jungen Jahren die Verantwortung, und das auch noch ehrenamtlich, für sich und für andere.“

Angesprochen fühlen durften sich vor allem junge muslimische Gläubige aus der Jugend- bzw. Dialogarbeit, die der Einladung gefolgt waren. „Heute möchten wir dieses Engagement anerkennen und uns auch Ihren Fragen und Wünschen stellen. Heute möchten wir ihnen zeigen, Sie gehören als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger voll und ganz zu unserem Land, wir sehen und wir schätzen, was Sie leisten. Heute wollen wir deutlich machen, ohne die Vielfalt, ohne das Engagement, gerade vor allem auch der jungen Generation, wäre das Land Baden-Württemberg in jeder Hinsicht ärmer“, sagte Schmid.

Auf Schmids Worte folgte eine Podiumsdiskussion. Auf dem Podium diskutierten Schmid und Öney mit jungen muslimischen Vertretern der Jungen Islam Konferenz, der Ahmadiyya Muslimgemeinde und dem Landesjugendverband DITIB.

Aufruf zu sozialem und politischem Einsatz

Vize-Regierungschef Schmid betonte in der Diskussion, dass sowohl in der Schul- als auch in der Hochschulbildung das soziale Engagement nicht zu kurz kommen dürfe. Mahada Wayah von der Jungen Islam Konferenz war der Meinung, dass die aktuelle Hochschulbildung – egal in welcher Form – es ermögliche, sich für eine gut gelungene Gesellschaft einzusetzen. Ein besonderes Problem sei der Rassismus, den es zu bekämpfen gelte, und wünschte sich mehr Engagement von muslimischen Jugendlichen.

„Das Problem liegt darin, dass die Minister nicht wissen, wie sie auf Menschen mit Migrationshinter- und –vordergrund zugehen sollen, und Bürgerinnen und Bürger wissen nicht, wie sie den Zugang zum Engagement finden sollen“, erklärte Integrationsministerin Bilkay Öney.

Auch Schmid wünscht sich vor allem mehr Einsatz in der Politik. Öney bekräftigt: „Politik muss die Rahmenbedingungen setzen, damit die Teilhabe am politischen Leben von jungen Muslimen in Deutschland möglich ist. Diesen Rahmen setzen wir auch als Integrationsministerium. Wir haben zum Beispiel mit dem DAK-Verband ein Projekt ins Leben gerufen, mit dem wir versuchen, die Migranten auch für das Ehrenamt zu gewinnen.“

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Die Bezeichnung „Migrant“ stieß nicht bei allen auf sonderliche Gegenliebe. „Es kann doch nicht sein, dass wir deutsche Bürgerinnen und Bürger immer noch als Migrant bezeichnet werden“, meldete sich ein Teilnehmer zu Wort. Dennoch waren sich alle Beteiligten einig, dass mehr Engagement in allen Bereichen vonnöten sei, um Vorurteile in der Gesellschaft abzubauen.

Nach dem Gebetsruf zum Abendgebt, dem Adhan, der in voller Länge vorgetragen wurde, erklärte Schmid das Büffet mit den Worten „Allah orucunuzu kabul etsin!“(Möge Gott Ihnen das Fasten anerkennen) für eröffnet. Muslime dürfen im Ramadan erst nach Sonnenuntergang wieder essen und trinken.

Kopftuch-Debatte nach dem Fastenbrechen

„Das Iftar-Essen in Stuttgart gab uns, auch wenn es kurz war, die Möglichkeit, Angelegenheiten, die uns auf dem Herzen liegen, anzusprechen“, sagt ein Vorstandsmitglied der Muslimischen Studierendengruppe Heidelberg. Die MSG-Heidelberg war an diesem Abend mit drei Lehramts- und zwei Jura-Studentinnen vertreten. „Unser Hauptanliegen war es, an diesem Abend die Kopftuch-Debatte an Schulen anzusprechen. Wie es sein könne, dass wir als junge Musliminnen, die auf Lehramt studieren, auf eines der Grundrechte verzichten müssen: Zum einen gibt es das Grundrecht, seinen Wohnort frei auszuwählen. Zum anderen die freie Religionsausübung, und genauso haben wir deutschen Bürgerinnen und Bürger auch das Grundrecht, seinen Beruf frei auszuwählen. Aber im Falle des Kopftuchs muss man auf eines dieser Grundrechte verzichten, was uns natürlich schwer fällt. Entweder die eigene religiöse Überzeugung leidet darunter, oder es wird der Wohnort oder der Beruf gewechselt.“ Darauf antwortete Schmid, dass die Regierung nicht plane, in diesem Falle etwas zu ändern, und abgewogen werde, was nun wichtiger sei – die positive oder die negative Religionsfreiheit.

Schülerinnen und Schüler hätten das Recht auf eine neutrale Erziehung an der Schule und die Landesregierung sei überzeugt, dass dieses Recht der Schülerinnen und Schüler im Falle eines Kopftucherlaubnisses eingeschränkt sein würde. Bedauerlicherweise stellte die MSG Heidelberg erneut fest, dass es im Gegensatz zu anderen Bundesländern Deutschlands in Baden-Württemberg nur – wenn überhaupt – an Privatschulen möglich sei, mit Kopftuch zu unterrichten.

Die jungen Gäste empfanden das gemeinsame Fastenbrechen als wichtige Geste und deutliches Zeichen in der Integrationspolitik der Landesregierung und freuten sich schon auf das Iftar-Essen im kommenden Jahr, das in der Kurpfalz in Schwetzingen stattfinden wird.