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Politik

Hizmet ist Vorwand, Bürgerrechte und Freiheiten werden eingeschränkt

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Nach einer Kampagne der AKP-Regierung gegen ihn und die Hizmet-Bewegung bricht Fethullah Gülen sein Schweigen. Im Interview mit „Zaman“ nimmt er Stellung zu Vorwürfen, die durch Regierung und regierungsnahe Medien verbreitet werden. (Foto: zaman)

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Fethullah Gülen
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Am Mittwoch hatte DTJ den zweiten Teil des großen Interviews gebracht, das der türkische Islamgelehrte Fethullah Gülen mit „Zaman“ führte und in dem er zu den Vorwürfen seitens der Regierung ihm und der Hizmet-Bewegung gegenüber Stellung nimmt. Heute veröffentlichen wir den dritten Teil. Darin ruft Gülen zu Besonnenheit  auf und beantwortet die Frage, ob es sich bei dem aktuellen Konflikt um einen Kampf zwischen der AKP-Regierung und der Hizmet-Bewegung handelt.

Von außen betrachtet scheint es so, als gäbe es einen Kampf zwischen der Regierung und der Hizmet-Bewegung. Es sind viele Artikel und Kommentare erschienen, in denen diese These diskutiert wird. Ein anderer Punkt ist die Aussage: „Wenn uns eine Partei nicht gefällt, können wir sie abwählen. Wie aber sollen wir eine ganze Bewegung ändern?“

Lassen Sie mich zunächst einmal klarstellen, dass es sich bei dem aktuellen Konflikt nicht um einen Kampf zwischen der AKP und der Bewegung handelt.

In den letzten Jahren ist eine Einschränkung der Grundrechte und Freiheiten zu beobachten. Die zerstörende und beleidigende Rhetorik der Politik hat jede einzelne Gruppe der Gesellschaft ausgegrenzt und eine Spaltung und Polarisierung verursacht. Während der Gezi-Proteste habe ich dem Ausdruck „Çapulcular-Plünderer“ (ein Begriff, den Premier Erdoğan in Bezug auf die Demonstranten gebraucht und geprägt hat) genau aus diesem Grund widersprochen.

Dasselbe gilt für die Aleviten. Um ihre grundlegenden Rechte zu garantieren, findet man keine demokratischen Lösungen. Vielleicht will man auch keine finden. Wir haben das Moschee-Cemevi-Projekt unterstützt und mussten uns dafür harsche Kritik von unerwarteter Seite gefallen lassen.

Die Hizmet-Bewegung ist keine politische Partei. Sie wird es auch niemals sein. Folglich steht sie auch zu keiner anderen Partei in Konkurrenz. Sie steht jeder Partei gleich nah. Nichtsdestotrotz teilen wir unsere Hoffnungen und Ängste, die wir in Bezug auf die Zukunft unseres Landes haben, der Öffentlichkeit mit. Ich verstehe nicht, wieso sich einige davon gestört fühlen. Warum sollte es nicht erlaubt sein, den Regierenden seine Ideen und Meinungen mitzuteilen? In etablierten Demokratien können Individuen und Nichtregierungsorganisationen problemlos ihre Ideen und Sorgen öffentlich kundtun, ohne dass sich davon jemand jemals gestört fühlt.

Jede Einrichtung, die der Hizmet-Bewegung nahesteht, ist gegenüber dem Staat transparent und hält sich an Recht und Gesetz. Durch manche Aussagen, die in den letzten Monaten als Lüge enttarnt wurden, konnte man sehen, wer in Wirklichkeit transparent ist und wer nicht. Hizmet basiert auf Freiwilligkeit. Menschen, die in ihrem Leben nicht mal einer Ameise geschadet haben, als Teil einer geheimen und gewalttätigen Organisation zu brandmarken, ist bedauernswert und gehört sich nicht. Für einen Staat kann jeder arbeiten, egal, welcher Überzeugung er ist. Ob links oder rechts, ob Alevit, Sunnit, Nichtmuslim, Kurde oder Türke, jeder Staatsbeamte hat die Aufgabe zu erfüllen, die ihm aufgetragen wird. Das eigentlich Wichtige ist, dass diese Personen, egal was sie tun, im Rahmen des Rechts und der Gesetze handeln. Es verstößt gegen Grundrechte, dass Menschen, egal welcher Gesinnung sie zuzuordnen sind, vom Staat ausspioniert und ohne Beweise beschuldigt werden. Wenn Sie, obwohl keine nachgewiesenen Straftaten vorliegen, von einer „Parallelstruktur“ sprechen, so kommen Sie in einen Teufelskreis und diese Paranoia lässt Sie dann an weitere andere „Parallelstrukturen“ glauben. In der Folge tyrannisieren Sie dann in Ihrem Irrglauben unschuldige Menschen.

Viele fragen sich, warum Sie sich gegen eine Partei stellen, die Sie doch in den letzten 12 Jahren unterstützt haben. Gab es ein Zweckbündnis, das jetzt zu Ende geht?

Wir sind mit niemandem auf der Grundlage von Eigennutz ein Bündnis eingegangen. Unser Verständnis von Islam erlaubt uns das nicht. Wir haben uns stets selbstlos verhalten. Ich kann keine Aussage über die Gefühle und Einstellungen von anderen treffen. Jedoch habe ich es stets als Verrat an unseren eigenen Werten angesehen, ein Amt oder eine Position anzustreben.

Weltliches anzustreben und die Anerkennung der Massen zu erlangen habe ich immer als etwas Gefährliches für mein Leben im Jenseits betrachtet. Das kann ich auch für meine Mitstreiter sagen. Nie haben wir öffentliche und politische Ämter wie z.B. Ministerposten gefordert. Ich kann mich zwar nicht an solch einen Fall erinnern, aber wenn es doch so jemanden gegeben haben sollte, der dies im Namen der Bewegung tat, so hat er nichts mit uns zu tun.

Wir haben die Stärkung von Demokratie, Grundrechten und Freiheiten aufrichtig unterstützt. Welche Partei auch immer das Ende antidemokratischer Phasen und den Aufbau einer pluralistischen Demokratiekultur anstrebt – sie hat unsere Unterstützung sicher. Demokratische Reformen zu unterstützen ist etwas anderes als blinder Parteifanatismus.

An unserer Haltung hat sich nichts geändert. Eine Partei, die noch vor einigen Jahren Maßnahmen zur Stärkung von Grundrechten und -freiheiten eingeleitet hatte, fasst heute ins Auge, das Internet zu verbieten und verabschiedet Gesetze, die den Staat in einen „Geheimdienststaat“ umwandeln sollen. Ist es denkbar, eine Politik zu unterstützen, die eine verletzende Rhetorik verwendet, das soziale Gleichgewicht gefährdet und demokratische Prozesse außer Kraft setzt?

Falls es nur die Bewegung beträfe, hätte man sich weiterhin in Geduld üben können. Jedoch müssen die Ereignisse aus einer breiteren Perspektive heraus bewertet werden. Die Türkei verliert leider den Anschluss an die Welt und um sie herum wird es immer einsamer. Eine in sich gekehrte und ihre demokratische Vielfalt verlierende Türkei schadet aber nicht nur ihren eigenen Bürgern, sondern auch all jenen, die sie sich zum Vorbild genommen und Hoffnung in sie gesetzt haben.

Die Hizmet-Bewegung wird beschuldigt, eine kriminelle Vereinigung zu sein. Es gibt Gerüchte dahingehend, dass die Regierung nach den Kommunalwahlen vom 30. März gegen sie vorgehen wird.

Bedauerlicherweise ist das Leitmotiv bei dem Ganzen Zorn. In den vergangenen Wochen wurde jede denkbare Beleidigung bereits ausgesprochen. Mittlerweile fallen völlig unberechtigte und abstruse Anschuldigungen. Nachdem man bei politische Auftritten und in regierungsnahen Medien mit Zuschreibungen wie „Terrororganisation“ oder „Mafia“ umhergeworfen hatte, versucht man nun, die Justiz zu beeinflussen. Es ist ziemlich sicher, dass man gerichtlich gegen uns vorgehen wird. Da man trotz intensiver Bemühungen nichts Belastendes gefunden hat, wird nun das Recht gebeugt. Ist das Gerechtigkeit?

Der Ansatz und die abstrakte Anschuldigung, es gäbe eine „Parallelstruktur“, kann auf fast alle Gesellschaftsbereiche angewendet werden. Beim Erfinden von haltlosen Vorwürfen gegenüber Beamten wegen ihrer Glaubensüberzeugung, Ideologie, sozialen oder politischen Identität gibt es keine Grenzen. Heute mag man dieser Bewegung, morgen einer anderen unterstellen, eine „Parallelstruktur“ oder „Mafia“ zu sein. Dieser Vorwurf kann gegen jeden Staatsbediensteten, der im Privatleben mit irgendeiner sozialen, religiösen oder politischen Bewegung sympathisiert, gerichtet werden. Das führt dazu, dass selbst diejenigen, die heute die Anschuldigungen von wegen „Parallelstaat“ in den Mund nehmen, morgen selbst diejenigen sein können, die sich einem solchen Vorwurf ausgesetzt sehen. Wer will garantieren, dass es nicht so kommt. Die Praktik, gegenüber bestimmten Menschen und Gruppen auf der Basis solcher grundloser Anschuldigungen einen Pauschalverdacht zu kreieren, zerstört jegliches Recht und jegliche Ordnung.

Wenn ein Beamter den Anweisungen seiner Vorgesetzten keine Folge leistet und seine Loyalitätspflicht verletzt, gibt es klare Regeln für Sanktionen. Eine Verletzung der Amtspflichten wird nach geltenden Gesetzen geahndet. Hier nicht den Rechtsweg einzuschlagen, stattdessen Menschen rechtswidrig zu verleumden, strafzuversetzen oder ihnen mit Schauprozessen Unrecht zu tun, ist sowohl eine historische Schuld als auch eine Sünde, die im Jenseits Folgen haben wird.

Die Justiz unter Druck zu setzen, um Anklagen gegen unschuldige Menschen einzuleiten, ist die höchste Form der Willkür und das öffentliche Gewissen wird dies nicht vergeben. Darüber hinaus haben Schauprozesse keine Aussicht auf Erfolg. Wenn sie nun gesetzestreuen Menschen dieses Landes als illegale Organisation abstempeln, dann wird man Sie fragen: Ihr habt 12 Jahre lang mit diesen Leuten zusammengearbeitet und es waren gute Leute in dieser Zeit, aber als die Korruptionsermittlungen bekannt wurden, seid Ihr plötzlich auf die Idee gekommen, sie wären auf einmal böse?

Seit langer Zeit wurden seitens regierungsnaher Quellen negative Entwicklungen im In- und Ausland immer wieder der Hizmet-Bewegung zugeschrieben und die positiven, demokratischen Entwicklungen als Verdienst der Regierung dargestellt. Jetzt geht man im Zusammenhang mit dem Ergenekon-Prozess mit einer ähnlichen Methode vor. Die Propaganda zeigt auch ihre Wirkung…

Mit diesen Verleumdungen versucht man, Teile der Gesellschaft zu täuschen. Zum Beispiel wurde Anklage gegen manche Mediengruppen erhoben und ihnen dann gesagt: „Nicht wir haben ein Problem mit euch, sondern die Hizmet-Bewegung“. Die öffentlich gewordenen Mitschnitten belegen jedoch das Gegenteil. Sie haben sich direkt in Ausschreibungen eingemischt, um jenen Geschäftsleuten den Rücken zu stärken, die zu Recht nicht berücksichtigt worden waren. Das Tragische daran ist, dass sie sich schwerer Fehlleistungen schuldig gemacht haben und die Schuld daran unschuldigen Menschen in die Schuhe schieben wollten. Sie haben Gerüchte gestreut, sind Menschen in den Rücken gefallen, haben Verleumdungen und üble Nachrede verbreitet. Man kann all das eigentlich nur bedauern.

Das Tragischste bei der ganzen Sache ist der Umgang mit Militärangehörigen. Hinter geschlossenen Türen prahlten sie, sie hätten „das Militär der Zivilregierung unterworfen“ und somit „die Vormundschaft des Militärs beendet“. Den Militärs selbst hingegen sagte man: „Wir würden das Problem ja gerne in Eurem Interesse lösen, doch Hizmet hindert uns daran.“ Unterdessen hat man für den Chef des Nationalen Geheimdienstes Hakan Fidan in wenigen Tagen ein Gesetz verabschiedet, nur um ihn aus der Schusslinie zu nehmen. Wenn sie aufrichtig und ehrlich gewesen wären, hätten sie auch für den Ex-Generalstabschef Ilker Başbuğ und andere über Nacht ein ähnliches Gesetz erlassen können.