Connect with us

Politik

„In jeder Partei gibt es Kandidaten, die wählbar sind“

Spread the love

Auch mit Blick auf die wichtigen Kommunalwahlen am Sonntag bleibt der Islamgelehrte Fethullah Gülen bei seiner Praxis, keinerlei Wahlempfehlungen auszusprechen. Politische Präferenzen beträfen keine Glaubensgrundsätze des Islam. (Foto: zaman)

Published

on

Der Islamgelehrte Fethullah Güllen stand Zaman für ein Interview zur Verfügung.
Spread the love

Der letzte Teil des Interviews mit Fethullah Gülen (hier geht’s zu den Teilen eins, zwei, drei und vier) dreht sich um die Frage, welche Partei Hizmet in den kommenden Wahlen unterstützen wird.

Den Versuch, den Sinn des Lebens in Wahlurnen zu suchen, finde er als Muslim nicht angebracht, so Gülen. Festzuschreiben, wen die Leute zu wählen hätten, sei ein unberechtigter Eingriff in die freie Gewissensentscheidung der Menschen und würde außerdem zu einer Isolation von den anderen Wählerschaften führen. „Jeder wird sich umschauen und sich über die Kandidaten informieren müssen. Schließlich sind es Kommunalwahlen, in denen die Kandidaten wichtiger sind als die Parteien. In jeder Partei gibt es sicherlich geeignete Kandidaten, die in der Lage sind, wertvolle Arbeit zu leisten. Es ist keine Sünde, diese oder jene Partei zu wählen.“

So kurz vor den Kommunalwahlen wird darüber debattiert, an wen die Stimmen von Hizmet gehen werden.

Um ehrlich zu sein, kann ich es als Muslim nicht vertreten, tagaus, tagein nur über die Wahlen zu reden und den Sinn des Lebens in der Wahlurne zu sehen. Für die Zukunft des Landes sind die Kommunalwahlen gewiss von Bedeutung, aber alles auf die Entscheidung am Sonntag zu reduzieren, ist auch nicht der richtige Weg. Es stimmt einen traurig, wie in aller Seelenruhe Lügen und Verleumdungen verbreitet werden, nur um die Stimmen der Menschen zu bekommen.

Seit jeher sage ich, dass die Menschen nach ihrem Gewissen wählen sollen. Den Leuten vorzuschreiben, wen sie zu wählen haben, sehe ich als einen Eingriff auf die freie Gewissensentscheidung der Menschen. Sich auf eine Partei festzulegen, würde die Hizmet-Bewegung von den anderen Teilen der Gesellschaft isolieren. Unsere offene und klare Haltung während des Referendums 2010 galt nicht einer Partei, sondern den demokratischen Reformen des damaligen Verfassungspakets. Leider werden die Fortschritte der vergangen Jahre heute mit Füßen getreten.

Heute befindet sich auf der einen Seite ein Parteivorsitzender, der tagtäglich mit Beschimpfungen und Beleidigungen um sich wirft. Und leider bevorzugen es die vernünftigeren Menschen in dieser Partei, zu schweigen. Menschen, die solche Worte, wie sie gefallen sind, mit ihrem Gewissen vereinbaren können, werden diese Partei wählen. Jedoch scheint es mir so, als ob unsere Freunde tief betroffen wären von diesen Worten, die die Herzen eines jeden barmherzigen und gewissenhaften Menschen zu bedrücken vermögen. Jeder wird sich umschauen und sich über die Kandidaten informieren müssen. Schließlich sind es Kommunalwahlen, in denen die Kandidaten wichtiger sind als die Parteien. In jeder Partei gibt es sicherlich geeignete Kandidaten, die in der Lage sind, wertvolle Arbeit zu leisten. Man sündigt nicht, indem man diese oder jene Partei wählt.

Es wird über Ihren Aufenthalt in den USA und eine mögliche Rückkehr in die Türkei spekuliert.

An sich ist es schön zu hören, dass man meine Rückkehr fordert. Diese Forderung ist nicht neu. Auch früher gab es viele, die wollten, dass ich zurückkehre. Aber auch damals verstand ich deren wahre Absicht. Jedoch gab ich meine Höflichkeit und mein Wohlwollen gegenüber Muslimen nie auf. Lassen Sie es mich an dieser Stelle erneut klarstellen: Ich bin nur ein Muslim unter vielen. Ich habe stets versucht, bodenständig zu bleiben und dementsprechend zu leben. Kein Titel und kein Posten der Welt sind mir wichtiger und wertvoller als der eines Gottesdieners. Auf diese Weise möchte ich auch bis an mein Lebensende leben. Ich habe nichts mit irgendwelchen ausländischen Mächten zu tun. Es verfangen sich eher diejenigen im Netz ausländischer Mächte, die nach Macht, Herrschaft und anderen weltlichen Posten streben. Leider beginnen sie, nachdem sie an Macht gewinnen und immer despotischer regieren, solche Menschen, die nicht an Macht und Herrschaft, sondern an Gottes Wohlwollen und das Jenseits denken, als Gefahr zu sehen. Sie versuchen diese Menschen als Gefahr für den Staat darzustellen, doch in Wahrheit stellen diese Menschen nur eine Gefahr für ihre persönlichen Pläne dar.

Selbst in den unterentwickeltesten Gesellschaften werden Menschen nach dem gerichtet, was sie tun und sagen. Alles, was ich tue und sage, geschieht seit 50 Jahren vor den Augen des Volkes und des Staates. Könnte solch ein Mensch, schmiedete er geheime Pläne, diese 50 Jahre lang verbergen, ohne entlarvt zu werden?

Über meine Rückkehr entscheide ich nicht aufgrund der Meinungen von Menschen, die gestern das Eine und heute das Andere denken, sondern nachdem ich den Rat von Freunden gesucht habe, denen ich mehr vertraue als meinem eigenen Herzen.

Schwierige Zeiten kommen und (ver)gehen

Seit Längerem wurde keine Sohbets und Predigten von Ihnen im Internet mehr veröffentlicht, Sie haben eine Pause eingelegt. Ihre Anhänger fragen sich, wie es Ihnen nach all den Verleumdungen und Beleidigungen geht.

Auch nach all diesen Vorfällen müssen wir uns in Geduld üben und dürfen unsere höfliche Art nie und nimmer verlieren. In jeder Phase haben Menschen Schwierigkeiten erlebt. Auch ehrenwerte Menschen wie İmam Rabbani, Hasan Şazeli, Mevlana Bağdadi haben sehr schwierige Phasen durchlebt. Es ist allseits bekannt, welch schwierige Zeiten Said Nursi durchleben musste. Es gab wohl keine Qual, die ihm nicht zugefügt wurde.

Aber wenn wir uns vorgenommen haben, ihnen zu folgen, dann sollten wir uns auf jegliche Schwierigkeiten einstellen. Es wäre nicht richtig, in Streitigkeiten zu verfallen. Wir sollten tagaus, tagein Gott anflehen und beten „Wir sind zufrieden mit Allah als Herren, dem Islam als Religion und Muhammed als Gesandten Gottes.“ Wir sollten nicht mit unserem Schicksal hadern, sondern dem Leben wohlwollend entgegentreten. Schwierige Zeiten kommen und (ver)gehen, auch wenn sie wie ein Tsunami alles hinwegzufegen scheinen. Wenn unser Verhältnis zu Gott stabil ist, so haben wir hoffentlich unser Jenseits gesichert. Menschen, die sich dieser Sache hingegeben haben, ohne dabei weltliche Ziele zu verfolgen, werden im Jenseits ewige Reichtümer erhalten.

Jeder sollte an seinem/ihrem Ort verbleiben. Man sollte je nach Ort und Situation nicht auf einem einzigen Weg beharren, sondern alternative Wege suchen, um ans Ziel zu gelangen. Das Ziel sind universelle menschliche Werte. Genau wie die Menschen vor uns sollten auch wir nicht in Pessimismus verfallen und unsere Hoffnung stets beibehalten. Wie schon der Dichter Mehmet Akif Ersoy sagte: „Hoffnungslosigkeit ist ein Sumpf, in dem du ertrinkst, wenn du hineinfällst. Sei entschlossen und du wirst sehen, was du erreichst.“ Wir glauben fest daran, dass auch diese düstere Zeit vergehen wird, so Gott es will. Wir bewahren stets die Hoffnung.

Ich hatte meinen Militärdienst noch nicht abgeleistet, da erlebte ich den 27. Mai (1960) und erlitt Repressalien. Nicht sehr viel anders war es 1971 und 1980. Nach dem 12. September 1980 war ich gezwungen, sechs Jahre lang zu fliehen. Erst als der damalige Premierminister Turgut Özal die Lage beruhigt hatte und sich für mich einsetzte, ließen sie mich in Ruhe. Aber auch danach ging es weiter. Ich ging nach Mekka zur Pilgerfahrt und kam zurück. Und wieder wurden mir Steine in den Weg gelegt. Ich musste mehrere Male vor dem Staatssicherheitsgericht erscheinen. Nach dem 28. Februar 1997 lief jahrelang ein Prozess gegen mich. Verglichen mit den Repressalien, die mir in meiner eigenen Heimat widerfuhren, wurde ich vom Generalstaatsanwalt von New Jersey respektvoll behandelt. Er empfing mich an der Außentür, begleitete mich bis auf meinen Platz und brachte mir persönlich etwas zu trinken. Er kannte mich vorher nicht, wir hatten uns noch nie gesehen. Hier erlebte ich solch eine Menschlichkeit. Als Dank für diese ganze Höflichkeit und den respektvollen Umgang wollten wir ein Geschenk überreichen. Doch als wir ihm ein Geschenk überreichen wollten, sagte er: „Ich akzeptiere keine Geschenke von Menschen, an deren Prozess ich arbeite.“ Da wurde ich mir dessen bewusst, dass wohl dieses Rechtsverständnis und diese Rechtsphilosophie der zentrale Grund dafür sind, dass diese Menschen trotz vieler Rückschläge aufrecht stehen und in der Welt eine gewichtige Rolle einnehmen.

Eines möchte ich hinzufügen: Auch während meines Militärdienstes wurde ich verhaftet, weil ich gepredigt hatte. Ein Vorgesetzter hatte mir die Erlaubnis erteilt und kam sogar einige Male, um mir zuzuhören. Als er versetzt wurde, kam er in Tränen zu mir und sagte: „Nach mir werden sie Dich schlecht behandeln.“ So kam es dann auch. Ich kam ins Gefängnis. Ich erlebte zu jeder Zeit verschiedenste Formen von Druck und Repressalien, wurde beschimpft und bedroht. Doch im Vergleich zu dem, was ich momentan durchleben muss, ist das frühere vielleicht ein kleiner Bruchteil. Diese respektlosen Beschimpfungen und Aussagen. Aber im Grunde spiegelt sich in den Aussagen und im Verhalten eines Menschen sein Charakter wider. Daran kann auch ich nichts ändern.

Eine neue Verfassung ist unabdingbar

Die Türkei durchlebt eine schwierige Phase. Pessimismus macht sich zum Teil breit. Wie könnte es die Türkei Ihrer Meinung nach schaffen, sich aus dieser Situation zu befreien?

Zunächst einmal ist es insbesondere in solchen Situationen besonders wichtig, Zuflucht bei Allah zu suchen und um Beistand zu beten. Wenn jemand sich nicht selbst um sein Jenseits Sorgen macht, sollte man sich an seiner Statt um sein Jenseits sorgen. Wenn jemand sich selber stets in Sicherheit wägt und ständig den Glauben anderer bezweifelt, befindet er sich in der eigentlich gefährlichen Situation. Selbst der rechtschaffende Kalif Omar machte sich Sorgen um sein Jenseits. Wenn er seine Taten zu bewerten versuchte, sprach er: „Ich würde mich glücklich schätzen, falls meine Wohltaten meine Sünden ausgleichen könnten.“ Daher sollten wir uns erst recht Sorgen über unser Jenseits machen und um Rechtleitung beten. Ohne Allahs Rechtleitung sind wir verloren. Wir sollten Zuflucht in Allahs Gnade und Barmherzigkeit suchen. Dies gilt sowohl für Individuen als auch für Gesellschaften.

Dies ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist folgende: Damit unser Land die momentanen Leiden überwinden kann, braucht es eine geänderte Atmosphäre. Eine neue Verfassung, die den Menschen Grundrechte und Grundfreiheiten garantiert, ist unabdingbar. Der gesellschaftliche Druck auf die zuständigen Behörden und Personen müsste steigen, damit diese eine den universellen Rechtsnormen entsprechende Verfassung ausarbeiten. Leider werden momentan die Normen eines demokratischen Rechtsstaates arg verletzt. Eine Türkei, die sich von ihrer Bevölkerung und ihren eigenen Werten entfernt, isoliert sich auch in der Welt.

In der heutigen Zeit haben Individuen und Gesellschaften Vorrang vor dem Staat. Kein Projekt, welches den Menschen von oben aufgezwungen wird, kann nachhaltig funktionieren. Schon zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts sprach Said Nursi: „Der Sieg über Zivilisierte ist nicht mittels Zwang, sondern mittels Überzeugung zu erreichen.“ Daher kann die Unterdrückung einer Gesellschaft nicht von langer Dauer sein. Daher sollten wir den Geschehnissen mit Geduld, Wachsamkeit und Weitblick entgegnen. Wenn ihr euch der Sache mit Ernsthaftigkeit, Geduld und Hingabe zu Allah nähert, dann wird früher oder später die Vernunft siegen. An jenem Tag werden diejenigen, die heute schlecht über euch reden und euch verleumden, ihr Handeln bereuen. Dann solltet ihr diesen Menschen verzeihen und sie nicht ihrer Taten wegen bloßstellen.

Wenn sich die einen von euch entfernen und ihr euch aus Trotz in die entgegengesetzte Richtung bewegt, dann verdoppelt sich die Entfernung zwischen euch und erst an Tagen, an denen ihr Einheit und Zusammenhalt benötigt, seht ihr euren Fehler ein. Doch dann wird es zu spät sein. „Auch dies wird vergehen“, müsst ihr sagen und euren Dienst an den Menschen fortsetzen; mit größerem Elan und ohne an etwas anderes zu denken. Das ist meine Meinung.

„Positives Handeln“ bedeutet nicht, dass man gegenüber Ungerechtigkeiten schweigt

Einige behaupten, dass das aktuelle Verhalten von Hizmet nicht vereinbar sei mit dem Konzept des Positiven Handels von Said Nursi.

Said Nursi beschreibt in seinen Werken die Voraussetzungen dieser Idee wie folgt: „Im Einklang mit dem Wohlwollen Allahs handeln, dem Glauben dienen, niemanden bei der Ausübung seiner Religion stören, die öffentliche Sicherheit gewährleisten, in Geduld und Dankbarkeit leben.“ Positives Handeln bedeutet nicht, dass man gegenüber Ungerechtigkeiten schweigen soll. Said Nursi schwieg niemals zu Ungerechtigkeiten und Despotie, nur weil diese von staatlichen Obrigkeiten begangen wurden. Gegenüber Verleumdungen wehrte er sich stundenlang vor Gericht.

Was haben Hizmet-Anhänger bisher getan, außer sich gegen die Angriffe zu wehren, die Verleumdungen zu beantworten und den Rechtsstaat sowie die Unabhängigkeit der Gerichte zu verteidigen? Die Hizmet-nahen Medien haben lediglich über die gerichtlich verfolgten und in der Bevölkerung diskutierten Korruptionsvorwürfe berichtet und die Bevölkerung darüber informiert. Anstatt den Korruptionsvorwürfen zu entgegnen und Antworten zu liefern, wird es seit Monaten bevorzugt, unschuldige Menschen ohne jegliche Beweise herzlos zu beleidigen und zu verleumden.

Scheinbar haben sie Hizmet nicht verstanden

Personen, die seit 40 Jahren mit Ihnen gelebt haben wollen, sprechen im Zusammenhang mit Ihnen von Messias, Mahdi, „redet mit Gott“ oder „Imam des Universums“.

Mahdi und Messias sind Themen, die Muslime seit jeher auf die eine oder andere Weise beschäftigen. Das sind leider auch Themen, die immer wieder missbraucht wurden. Einige Zeit lang behaupteten gewisse Personen auch, dass Said Nursi von sich behauptet habe, er sei der Mahdi oder Messias.

Ich hatte zu jeder Zeit zahlreiche Schüler. Sie können bezeugen, dass ich solche Behauptungen als eine Beleidigung empfinde. „Jeder kennt meinen Vater und meine Mutter. Genau wie jeder andere bin auch ich ein ganz normaler Gläubiger. Wieso sollte mir das nicht ausreichen?“ Ich habe noch nie jemanden getroffen, der bei gesundem Menschenverstand gewesen wäre und sich selbst solche Attribute zugeschrieben hätte.

An dieser Stelle kann ich nur ein weiteres Mal Rumi zitieren: „Weder Mehdi noch Messias noch irgendeine andere Zuschreibung, ich bin nur ein normaler Diener Gottes. Solange ich lebe, bin ich ein Sklave des Koran, nur ein Staubkorn am Fuß des verehrten Propheten Muhammed. Wenn mir jemand etwas anderes zuschreibt, beschwere ich mich über ihn sowie sein Wort.“

Bezüglich der anderen Vorwürfe: Wie können sie so einfach solche Verleumdungen in den Mund nehmen? Diese Menschen wissen eigentlich, wie empfindsam ich bin. Im Koran steht ganz offen: „Und es steht keinem menschlichen Wesen zu, dass Allah zu ihm spricht, außer durch Offenbarung oder hinter einem Vorhang, oder indem Er einen Gesandten entsendet, dem Er offenbart, was Er vermag. Gewiss, Allah ist der Erhabene und Allweise“ (Shura 42/51). Selbst einfachstes Wissen über den Glauben sollte jedem Menschen eine gewisse Anstandsgrenze gegenüber Allah verleihen. Wir kommen aus einer kulturellen Umgebung, in der allein der Name Allahs ausreicht, um dahin zu schmelzen und vor Ehrfurcht zu erstarren. Ich zumindest bin in solch einer Umgebung aufgewachsen.

Behauptungen bezüglich „Imam des Universums“ sind es nicht wert, ernst genommen zu werden. Sie erfinden fiktive und unechte Hierarchiestrukturen, die ich in meinem 60-jährigen Hizmet-Leben weder gesehen noch selbst angewendet habe. Was ist das für eine mentale und geistige Verschmutzung? Sie erfinden Vorwürfe, die beleidigend sind für Millionen von Menschen, die sich in Hizmet engagieren.

Diejenigen, die von solchen hierarchischen Strukturen oder Eigenzuschreibungen sprechen, haben Hizmet entweder nicht verstanden oder hegen einen Groll gegen diese Menschen. Wie Said Nursi bereits schrieb: „Der Kern unserer Arbeit ist Brüderlichkeit. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn oder Scheich und Gefolgschaft ist für uns kein Mittel. Unsere Mittel sind die der wahren Brüderlichkeit. Wenn überhaupt, gibt es höchstens einen Lehrer.“ Wer mich kennt, weiß, dass ich meine Schüler stets als Diskussionspartner gesehen habe und selbst den Status eines Lehrers nicht akzeptiert habe.

Glaubens- und Verhaltensvorschriften sind zu unterscheiden

Es wird behauptet, dass Sie, indem Sie das Kopftuch als fürûat bezeichneten, dessen Bedeutung herabgestuft hätten.

Im Islam werden die Vorschriften nach dem Glauben und den Taten in „usûl“ und „fürû” kategorisiert. „Usûl“ beinhaltet die Vorschriften bezüglich des Glaubens und als „fürû“ werden die Vorschriften bezeichnet, die das Verhalten und die Taten der Menschen betreffen. Der Glauben hat stets Vorrang vor den Taten, denn diese bauen auf dem Glauben auf. Das Kopftuch ist eine Verhaltensvorschrift, also eine fürûat. Das ist die herrschende Meinung unter den islamischen Gelehrten. Journalisten mögen vielleicht solche Details nicht in ihrer Berichterstattung berücksichtigen. Jedoch müssten sich Theologen und Gelehrte damit auskennen. Schließlich erhält niemand, der diese Kategorisierung nicht beherrscht, das Diplom. Das ist aber auch kein Wissen auf fortgeschrittenem Niveau, sondern trivial und aus Sicht der islamischen Literatur ist es auf einem Grundschulniveau. Daher bin ich mir absolut sicher, dass die Menschen, die über meine Aussagen in missbräuchlicher Weise diskutieren, selbst wissen, dass das Kopftuch als fürûat zu kategorisieren ist. Das ist ein weiteres Beispiel der Verleumdungskampagne gegen mich. Darüber hinaus sagte ich „fürûat“, doch in gewissen Medien wurde meine Aussage als „teferruat“, also „nebensächlich“, wiedergegeben. Die beiden Begriffe mögen technisch eine ähnliche Bedeutung haben, in unserer türkischen Sprache bedeutet „teferruat“ jedoch belanglos, nebensächlich und Teil eines Details.

Hier soll noch mal eines verdeutlicht werden. Dass das Kopftuch fürûat ist, bedeutet nicht, dass es kein farz, also keine Pflicht ist. Das Kopftuch ist farz, also eine Pflicht. Es gibt zahlreiche Gebote des Handelns, also fürûats, die farz sind. Würde ich – wie behauptet – das Kopftuchproblem in der Türkei nicht ernst nehmen, so hätte ich 2006 dem Premierminister in einem Brief nicht persönlich darum gebeten, diese Sache umgehend zu lösen. Wer es wünscht, kann diesen Brief aus den Archiven heraussuchen und lesen.

Nicht wir sorgen für Aufruhr

Einige Theologen werfen Hizmet vor, gegen die staatliche Ordnung zu verstoßen und gegen eine legitime Regierung zu rebellieren.

Der staatlichen Obrigkeit zu folgen bedeutet nicht, dass man gegenüber Fehlern der Regierenden stumm zu sein hat und seine Rechte nicht einfordern darf. „Das Gute zu befehlen und vom Schlechten abzuhalten“ ist nicht nur ein Gebot gegenüber dem Bürger auf der Straße, sondern allen gegenüber.

Politik fällt in den Bereich des Idschtihad und betrifft weder die Glaubensgebote noch die Glaubensgrundsätze des Islam. In Themen des Idschtihad ist es nur allzu natürlich, dass man unterschiedliche Meinungen vertritt. Nicht jede Gruppe, nicht einmal die einzelnen Individuen innerhalb einer Gruppe müssen geschlossen handeln. Wenn Sie in einer demokratischen Grundordnung nicht das Recht dazu haben, eine unterschiedliche Meinung zu äußern, dann sind dort nicht einmal die niedrigsten Anforderungen an die Demokratie erfüllt. Den Menschen über eine religiöse Argumentation ein Regime aufzudrücken, kann schwerwiegende politische und rechtliche Folgen haben.

Sie versuchen einem immer autoritärer werdenden Politikstil einen religiösen Deckmantel zu verleihen, um es auf diese Weise zu legitimieren. Es wird den Menschen etwas aufgezwungen und es wird ein Druck auf ihr Gewissen ausgeübt. Leider wurden Themen, in denen es lediglich um eine Debatte über Machtmissbrauch und andere Ansichten ging, in völlig absurde Richtungen gezerrt – als gäbe es eine religiöse Kriegserklärung und eine Mobilmachung. Sie haben daraus eine Zerstörungsbewegung und eine Kampagne gegen den Glauben gemacht.

Sollten diejenigen, die sagen, „Sorgt nicht für Aufruhr“, dasselbe nicht an Regierungsmitglieder und Wahlkampfredner richten? Das sind Menschen, die die Regierung weder kritisieren noch korrigieren noch ihr irgendwelche Empfehlungen geben wollen, können oder dürfen. Solange ihre Empfehlungen einseitig bleiben, haben sie in meinen Augen lediglich die Absicht, Hizmet zu attackieren und zu schädigen – das ist ja ist letzter Zeit auch zur einfachsten Art geworden, sich zu profilieren.