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Politik

Die eigentlich Leidtragende ist die Religion, der Islam

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Nach einer Kampagne der AKP-Regierung gegen ihn und die Hizmet-Bewegung bricht Fethullah Gülen sein Schweigen. Im Interview mit „Zaman“ nimmt er Stellung zu Vorwürfen, die durch Regierung und regierungsnahe Medien verbreitet werden. (Foto: zaman)

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Der türkische Islamgelehrte Fethullah Gülen
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Am Montag hatte DTJ den ersten Teil des großen Interviews gebracht, das der türkische Islamgelehrte Fethullah Gülen mit „Zaman“ führte und in dem er zu den Vorwürfen seitens der Regierung ihm und der Hizmet-Bewegung gegenüber Stellung nimmt. Heute veröffentlichen wir den zweiten Teil.

Besonders in regierungsnahen Medien wird behauptet, dass hinter den Korruptions- und Bestechungsermittlungen die Hizmet-Bewegung stünde. Wie beurteilen Sie die Ereignisse und die Entwicklung aus heutiger Sicht?

Obwohl wir mehrmals die Anschuldigungen wiederlegt, dementiert und richtiggestellt haben, werden diese mit Beharrlichkeit weiterverbreitet. Es sieht ganz danach aus, als ob die ermittelnden Staatsanwälte und die ihnen unterstellten Behörden wohl nicht wussten, dass gegen Verdächtige zu ermitteln selbst ein Verbrechen darstellt, obwohl sie nach Recht und Gesetz handelten.

Sie haben nicht voraussehen können, für pflichtbewusstes und rechtmäßiges Handeln belangt zu werden. Ein Kolumnist, ich glaube, es war Yavuz Semerci, schrieb dazu: „Eines Tages wird man diese Menschen mit Medaillen auszeichnen”. Jedoch wurden nach dem 17. Dezember die Ermittler und auch tausende Polizisten und Staatsanwälte, die mit den Ermittlungen nichts zu tun hatten, strafversetzt.

Die Rechte dieser unschuldigen Menschen und ihrer Familien wurden mit Füßen getreten. Man beschuldigt die Hizmet-Bewegung, als ob nichts geschehen sei, und verbreitete und verbreitet immer noch Lügen über Lügen.

Die Korruptions- und Bestechungsermittlungen sind nicht neu. Der Nationale Geheimdienst MIT hatte in einem Bericht bereits etwa acht Monate vor dem 17. Dezember festgehalten, dass Minister, deren Kinder und sogar das gesamte Kabinett möglicherweise unter Einfluss iranischer Agenten stehen könnten. Diese Warnungen des MIT wurden anscheinend ignoriert. In Medien, auch in regierungsnahen, sind vor dem 17. Dezember zig Artikel über Korruptionsvorwürfe erschienen. Auch diesen wurde keine Beachtung geschenkt. Man hat gar nicht in Erwägung gezogen, gegen Korruption vorzugehen. Als die Ermittlungen dann an die Öffentlichkeit gelangten, versuchte man, einen Sündenbock zu finden, um vom eigenen Verschulden abzulenken.

Ich gab auch vorher zum Ausdruck, dass ich zu keinem der Ermittler jemals Kontakt gehabt habe. Mehrere Male sagte ich: „Nicht mal ein Tausendstel von ihnen kenne ich“, trotzdem wurde ich weiterhin mit den Ermittlungen in Verbindung gebracht.

Özal hatte Korruptionsvorwürfe stets aufklären lassen

Am meisten jedoch war ich über manch einen Politiker enttäuscht, den ich bisher als ehrenhaft und aufrichtig gekannt hatte. Da ich ihnen traute und davon überzeugt war, dass sie ihrer Aufrichtigkeit und ihrem Gewissen nicht zuwiderhandeln würden, hatte ich von ihnen gedacht, dass sie hinsichtlich der Korruptions- und Bestechungsbeziehungen nicht schweigen würden. Die gleiche Reaktion, die der verstorbene Turgut Özal (1993 mutmaßlich ermordeter ehemaliger Premierminister und Staatspräsident der Türkei, Anm. d. Red.) schmutzigen Geschäften gegenüber zeigte, hätte ich auch von ihnen erwartet. Dem war aber nicht so. Und da sie sich dazu entschieden, zu schweigen, potenzierten bestimmte Kreise ihre Anschuldigungen auf das Tausendfache. Sie griffen auf Mittel zurück, die es im Laufe der Geschichte der Republik noch nie gegeben hat. Statt den Korruptionsvorwürfen nachzugehen, nahmen sie die ermittelnden Behörden und Beamten ins Visier.

Im Islam gibt es hier klar definierte Regeln: Korruption jeglicher Art kann und darf in keiner Hinsicht geduldet werden. In einigen Fällen sind auch Strafen und Sanktionen vorgesehen. Jede Sünde und jeder Fehler bleibt individuell, und solange diese sich nicht auf das Gemeinwesen auswirken, soll den Menschen, die sündigen, vergeben werden. Der Islam gebietet die Erhaltung ihrer Menschenwürde und Ehre. Diese beiden unterschiedlichen Dinge dürfen aber nicht miteinander verwechselt werden. Sobald es um das Recht Dritter geht, die Rechte anderer beeinträchtigt werden, reagiert der Islam empfindlich und sieht die Duldung von solchen Taten als nicht vertretbar an. Es gibt unzählige Beispiele aus der (früh-)islamischen Geschichte, die hier angeführt werden könnten.

Falls nun Bestechungsgelder, Erpressungen, Vetternwirtschaft, Schiebungen im Zusammenhang mit Ausschreibungen vertuscht werden, wird Gott diejenigen, die an solchen illegalen Machenschaften beteiligt sind, im Jenseits zur Rechenschaft ziehen. Falls an den Ermittlungen auch Hizmet-Sympathisanten beteiligt waren, hätte ich etwa Einfluss auf sie ausüben und sagen sollen, dass die Korruptionsvorwürfe unter den Teppich gekehrt werden müssten? Offensichtlich haben das einige von mir erwartet. Wie könnte ich nur so etwas sagen, da es ja mein Leben im Jenseits ruinieren würde.

Ich wiederhole mich, wenn ich Folgendes ausführe: Falls diese Personen, die nun bezichtigt werden, einen „Parallelstaat“ geschaffen zu haben, gegen das Gesetz verstießen und Seilschaften gegen die Regierung bildeten, hätte die Regierung nicht dann schon vor dem 17. Dezember gegen sie vorgehen müssen? Dies ist nicht geschehen, wieso nicht? Man spricht von fast 10 000 Entlassungen und Versetzungen, aber nie hat man was über Amtsmissbrauch oder widerrechtliches Handeln gehört.

Ethisches Fehlverhalten schadet unserem Land

Seit fast 60 Jahren predige ich ein und dasselbe. Es soll mein Vermächtnis an jene sein, die mich und meine Worte wertschätzen, obwohl ich dessen nicht würdig bin. Sie sollen weder sich selbst daran beteiligen, noch sollen sie solche Amtsmissbräuche ignorieren. Sie sollen das machen, was im Namen des Rechts und des Gesetzes nötig ist. Aus dem Eigentum Dritter Eigennutz zu ziehen, unberechtigt Gebrauch zu machen, öffentliches Eigentum zu entwenden bzw. veruntreuen, all das ist auch aus islamischer Sicht illegitim.

Der eigentlich Leidtragende ist die Religion, der Islam. Wenn viele von uns in ihrem privaten Leben die vom Islam geforderte Gewissenhaftigkeit und Geradlinigkeit nicht bewahren, schaden sie unbewusst religiösen Werten. Zugleich verursacht man damit Risse im Denken und in der Geisteshaltung anderer.

Aufgrund der Tatsache, dass Ämter in Politik und in Staat hohe Provisionen und Nebenverdienstmöglichkeiten bieten und mit ihnen wichtigen Privilegien verbunden sind, steigt das Streben und der Ehrgeiz, diese Positionen zu erlangen. Unternehmen, die auf diesem Weg an staatliche Ausschreibungen gelangen, versuchen diese Zusatzkosten über den Staat zu refinanzieren. Das Recht der Allgemeinheit ist jedoch gleichzeitig das Recht Gottes. Sowohl das islamische Recht als auch das moderne zeigen in dieser Hinsicht keine Nachsicht. Weder Demagogie noch die Mecelle (Zivilgesetzbuch des Osmanischen Reiches), aus dem manche Gelehrte dieses Recht abzuleiten meinen, können den Diebstahl öffentlichen Eigentums legitimieren. Auch wenn man mit seinen Kadern im Namen islamischer Werte wie Wahrhaftigkeit und Anständigkeit sich auf den Weg gemacht hat, kann man in einer Sackgasse landen. Somit enttäuschen sie Menschen, die Hoffnung in sie gesetzt hatten.

Erlauben Sie mir bitte noch Folgendes zu erwähnen: Man sollte sich gegenüber Menschen gnädig zeigen. Der Prophet sagte: „Ob Tyrann oder Opfer: Helfe deinen Geschwistern.“ Als er gefragt wurde: „Du Gesandter Gottes, den Opfern zu helfen, ist selbstverständlich. Wie aber sollen wir dem Tyrannen behilflich sein?“, antwortete er: „Indem ihr seiner Tyrannei entgegentretet“.

Dieses Hadith empfiehlt uns, sich gegen jegliche Art von Unterdrückung, Grausamkeit und Unrecht zu wehren. Diese Handlungen werden als schlecht dargestellt, damit die Menschen davon Abstand nehmen. Wenn man dieses Hadith befolgt, sorgt man für Einigkeit und Brüderlichkeit, nicht für Streit und Zwiespalt.

Teile der Medien haben Ihr Bittgebet als einen an die Regierung gerichteten Fluch dargestellt. Bei Veranstaltungen wurden Massen diesbezüglich in die Irre geführt. Haben Sie tatsächlich einen Fluch ausgesprochen?

Man hat mit Sturheit an dieser falschen Deutung des Bittgebetes festgehalten und sie verbreitet. Wenn jemand Sie der Lüge bezichtigt und Boshaftigkeit unterstellt, gelangt man irgendwann an die Grenzen seiner Geduld und sagt: „Wenn ich so bin, wie du es behauptest, soll Gott mich verfluchen, aber wenn das nicht zutrifft, soll er die Verleumder und Lügner verfluchen“. Das war mein Bittgebet an jenem Tag. Ich habe dabei weder Namen von Personen, noch Parteien oder Gruppen erwähnt. Ich habe lediglich einige Eigenschaften und Handlungen aufgezählt. Wenn jedoch die von mir aufgezählten Eigenschaften nicht auf sie zutreffen, sie nicht wie beschrieben gehandelt haben, warum haben sie sich dann angegriffen gefühlt? Ich hätte von denen, die ihre Verschwörungstheorien auf bloße Annahmen stützen, erwartet, dass sie dem Bittgebet beipflichten. Sie haben es jedoch nicht getan. Im Gegenteil, sie haben es missbraucht. An meinem Standpunkt hat sich nichts geändert: Falls wir eine illegale Organisation, eine Bande oder ein Parallelstaat sind, möge Gott uns verfluchen. Falls das aber nicht zutrifft und man diese Dinge einer unschuldigen und harmlosen Gemeinde (Hizmet) unterstellt, dann möge Gottes Fluch die Verleumder ereilen!

Man hätte wenigstens die anderen Nachhilfeschulen verschonen können

Bülent Arınç, der türkische Vizepremier und Regierungssprecher, hat in der Debatte um die Dershanes (private Nachhilfezentren und Vorbereitungsschulen auf die Universität) gesagt, dass der Premierminister mit den Worten „Entweder Sie weichen von diesem Vorhaben ab, oder wir werden Sie stürzen” bedroht worden sei. Er soll erwidert haben: „Tut alles in eurer Macht stehende, legt eure Karten offen, ich werde meinen Worten treu bleiben.”

Wer auch immer das behauptet und in die Öffentlichkeit trägt, ist verpflichtet, Beweise vorzulegen und die Justiz einzuschalten. Die Öffentlichkeit hat das Recht zu erfahren, welche Personen den Premier bedroht haben. Die Regierung zu erpressen ist eine schwere Straftat. Solange diese Verdächtigungen nicht über bloße und unbelegte Aussagen hinausgehen, sehe ich keine Notwendigkeit, darauf einzugehen.

Wie Sie wissen, ist die Schließung der Dershanes kein Thema der letzten zwei, drei Monate. Man hat in jenen Tagen ja schließlich die Namen der früheren Bildungsminister aufgezählt und gesagt, dass der amtierende Bildungsminister (Nabi Avcı, Anm. d. Red.) die Pläne zur Schließung der Dershanes umsetzen solle. Anscheinend ist das von langer Hand in Absprache mit bestimmten Kreisen geplant gewesen. Vielleicht war das auch eine Zusage, die die Regierung in gewissen Verhandlungen gemacht hat.

Die Diskussion um die Schließung der Dershanes hat aber verdeutlicht, dass die Ursache der Misere im türkischen Bildungssystem nicht die Dershanes sind. Es wurde offensichtlich, dass es auch nicht um die Verbesserung der Bildungsqualität geht. Man erkennt darin die klare Absicht, die Bildungsaktivitäten der Hizmet-Bewegung verhindern zu wollen. Dies wird ja bei Wahlveranstaltungen auch offen ausgesprochen, es wird gesagt, „Schickt Eure Kinder nicht in die Nachhilfeschulen und die Schulen der Hizmet-Bewegung“. Die Schließung der Nachhilfeschulen bildet hier also nur den Anfang, dem anscheinend auch die Schließung der Schulen im In- und Ausland folgen sollte.

Die Erklärung der Journalistin Nazlı Ilıcak erscheint mir in diesem Zusammenhang plausibel. Sie hatte gesagt, dass die Regierung von den Korruptionsermittlungen im Vorfeld erfahren haben könnte und mit der Annahme, die Bewegung könnte die Ermittlungen verhindern, die Schließung der Dershanes als ein Druckmittel gegen sie, als ein Instrument der psychologischen Operation und als Ablenkungsmanöver auf die Tagesordnung gesetzt.

Hätten sie uns doch von Anfang an klipp und klar gesagt: „Gründet und verwaltet keine Dershanes”. Dann hätte ich meine Freunde gebeten, im Rahmen eines Zeitplanes diese zu schließen. Von den insgesamt 3800 betroffenen Nachhilfeschulen sollen etwa 3000 nichts mit der Hizmet-Bewegung zu tun haben. Hätten sie doch wenigstens diese in Ruhe gelassen. Man bedauert die prekäre Situation der kleinen Leute, die ihre wenigen Ersparnisse dafür eingesetzt haben, Dershanes zu gründen.

Abgesehen davon gibt es viel wichtigere Themen, denen sich das Bildungsministerium bzw. die Regierung zuwenden sollten. Wir leben in einer Zeit, in der Individuen wie auch Familien unter Werteerosion und sozialen Krisen leiden. In den letzten zwölf Jahren ist die Selbstmordrate um 36 Prozent gestiegen. Unter den Gymnasiasten herrscht eine bedrohliche Drogen- bzw. Medikamentenflut. 32 Prozent der Jugendlichen konsumieren Alkohol. Auch habe ich von einer Psychiaterin erfahren, dass die Zahl der behandelten Drogenabhängigen in den letzten zehn Jahren um das 17-fache gestiegen ist.

Dies sind erschreckende Zahlen, die die Werte der Gesellschaft ernsthaft bedrohen. Wie will man angesichts dieser erschreckenden Tatsachen, die die Zukunft des Landes gefährden, glaubhaft machen, mittels der Schließung der Dershanes die Bildungsmisere zu beheben? Nach meiner Kenntnis sind es gerade Einrichtungen der Hizmet-Bewegung, die sich neben der Bildung auch dieser Probleme annehmen. Allein der Gedanke ist schon beängstigend, welch eine Lücke durch die Schließung der Dershanes und Schulen im Südosten der Türkei entstehen wird. Ich tue mich schwer, zu verstehen, wie manche Politiker für ihre kleinlichen Rechnungen die Zukunft der Türkei aufs Spiel setzen können.

In den letzten Wochen und Monaten tauchten eine ganze Reihe an Telefonmitschnitten auf, für die ebenfalls die Hizmet-Bewegung verantwortlich gemacht wird…

Seit jeher werden ähnliche Vorwürfe erhoben, ohne jeglichen Beweis. Angesichts dessen, dass diese unbelegten Vorwürfe immer und immer wieder erhoben werden, geht es also nicht darum, Wahrheiten ans Tageslicht zu bringen, sondern dieses Pseudo-Argument für andere Zwecke einzusetzen.

Es gibt sowohl gerichtlich angeordnete Abhörmaßnahmen, als auch illegale Mitschnitte. Wie dem auch sei: Jeder, der Grenzen des Rechts überschreitet und abhört, muss gefunden und vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden, unabhängig davon, wer er ist und zu wem er Sympathien pflegt. Auch ich und meine Freunde sind illegalen Abhörungen im doppelten Sinne zum Opfer gefallen. Wir werden sowohl abgehört, als auch öffentlich in den Medien angeprangert, hinter Abhörmaßnahmen zu stehen. Der einzige Weg ist der des Rechts.

Jeder, der illegal abgehört oder die Grenzen seiner Befugnisse überschritten hat, muss vor Gericht. Auch diejenigen, die ohne jeglichen Beweis mit dem Finger auf andere zeigen und behaupten, „Sie haben abgehört”, müssen vor dem Gesetz zur Rechenschaft gezogen werden.

Es ist unmöglich, Gesetzlosigkeit mit dem gleichen Mittel zu beheben. Es ist weder moralisch noch rechtens, auf der einen Seite über illegale Mitschnitte zu klagen und auf der anderen Seite sie selbst rücksichtslos für eigene Zwecke zu nutzen.