Gesellschaft
Gülens hohe Wertschätzung in der islamischen Welt
Den Meinungen namhafter Persönlichkeiten der islamischen Welt zufolge erweisen sich die Behauptungen, der Gelehrte Fethullah Gülen sei ein „falscher Prophet“, nicht mehr als eine mediale Inszenierung und politische Propaganda. (Foto: zaman)
HINTERGRUND Fethullah Gülen studierte in jungem Alter kurze Zeit im klassischen Madrasa-System und setzte sein Studium autodidaktisch fort. Seinen Werken ist zu entnehmen, dass er sich Arbeiten östlicher und westlicher Denker, Philosophen und Wissenschaftler im Selbststudium angeeignet hat. Er ist stets bemüht, unter anderem neue naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse zu verfolgen. Die klassischen Werke aus Orient und Okzident sind ihm nicht fremd, er ist sehr belesen. In mehr als 50 Jahren Lehrtätigkeit hat Gülen neben den klassischen Lehrwerken weitere klassische und moderne Bücher mit einer eigenen Methode unterrichtet.
Derzeit liest Gülen zusammen mit seinen Studenten die monumentale Koranauslegung des 1942 verstorbenen Hamdi Yazır. Die Auslegungen der aktuell thematisierten Koranverse werden von den Studenten aus zurzeit zwanzig weiteren Werken zusammengefasst vorgestellt und von Gülen gegebenenfalls kommentiert. Ziel ist es, hundert Koranauslegungen gleichzeitig zu studieren und zu diskutieren.
Schüler, die in diesen Lernkreisen studieren, können sich eine kritische Auseinandersetzung mit dem traditionellen Islamverständnis und der Moderne zugleich aneignen. Sie können die längst in Vergessenheit geratene Ambiguitätstoleranz der klassischen Gelehrten des Islam bei Gülen wiederentdecken. Schüler aus diesen Kreisen verstehen ihren Lehrer als Alim (Gelehrter), Arif (Kenner bzw. Meister) und Mutafakkir (Denker); Bezeichnungen wie Prophet, Messias oder Mahdi sind jedoch nicht bekannt. Dr. Ergün Çapan, ein Schüler Gülens, versteht seinen Lehrer als einen Gelehrten, der mit seiner Treue zu der klassischen Methodenlehre des Islam stets offen für neue Auslegungen ist.
Die Meinungen namhafter Persönlichkeiten der islamischen Welt
Faruk Beşer, Professor für islamische Normenlehre an der Marmara Universität in Istanbul, hat sich intensiv mit Gülens Beiträgen für sein Forschungsgebiet beschäftigt. Ihm zufolge sei Gülen ein Alim (Gelehrter) und ein Mudschtahid (Gelehrter, der fähig zur selbständigen Normenbildung ist).
Vor einiger Zeit wurde Gülen gebeten, ein Vorwort für das Buch „Mewlana Dschelaleddin Rumi: Leben, Wirken und Gedankenwelt aus Mevelevi-Sufiperspektive“ des berühmten türkischen Mystiker Şefik Can (gest. 2005) zu schreiben. Can sagte vor seinem Tod, er habe eine derartig innige Beschreibung Rumis bis zu jenem Tage nicht gelesen. Gülen sei ein besonderer Rumi-Kenner.
Sulayman Ashrati, Professor für Koranwissenschaften und Literaturkritik an der Wahran-Universität in Oran (Algerien), betrachtet die Sufismus-Reihe Gülens als ein Tagebuch des Autors. Abdulhamid Madkur, Professor für islamische Philosophie an der Fakultät Dar al-Ulum der Universität Kairo, sagt über dieses Werk: „Nur derjenige, der es gekostet hat, kann es wissen“. Diese Wissenschaftler weisen darauf hin, dass die spirituelle Dimension des Islam und der tiefe und aufrichtige Glauben Gülens an Gott sich in diesem Werk widerspiegeln. Zudem versteht Madkur die Werke Gülens als einen verborgenen Schatz für die arabische Welt. Ibrahim al-Bayyumi Ganim, ein islamischer Denker und Politikwissenschaftler an der Universität Kairo, beschreibt die Sufismus-Reihe als eine Wiedervereinigung, einen Friedensschluss zwischen dem äußeren (zahir) und inneren (batin) Textsinn des Koran.
Ammar Jaydal, Professor an der Universität Batna in Algerien, spricht von der Notwendigkeit, alle Werke Gülens ins Arabische zu übersetzen.
Dr. Muhammad Babaammi, ein algerischer Wissenschaftler, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Gülens Werke zu studieren und zu analysieren. Folgender Satz des jungen Wissenschaftlers sagt viel über seine Forschungsmotivation aus: „Für mich ist meine Entdeckung der Hizmet-Bewegung viel bedeutender als Amerikas Entdeckung durch Christoph Kolumbus.“
„Gülens Bücher helfen, unseren Propheten wieder zu verstehen“
Fathi Hijazi, Professor an der Azhar-Universität in Ägypten, hat Gülens Prophetenbiographie als Lehrbuch in der Azhar-Moschee unterrichtet. Obwohl Hijazi Fethullah Gülen nicht persönlich kennenlernen konnte, meint er den türkischen Gelehrten über seine Bücher sehr gut zu kennen. Er sagt: “In diesen Büchern habe ich gesehen, dass Gülen ein Freund Gottes (Wali Allah), ein Gelehrter (Alim), ein islamischer Mystiker (Sufi) und ein Mann ist, der das moderne Zeitalter erfasst hat. Gülen ist ein Mensch, der eine gute Zukunft für die ganze Menschheit anstrebt. Anstatt das Leben des Gesandten Gottes wie üblich durch Überlieferungen zu erzählen, schreibt er in einem von ihm selbst entwickelten Erzählstil. So schafft er es, dem Leser das Gefühl zu vermitteln, mit dem Gesandten zusammen zu sein. Die Menschen haben mit seinen Büchern angefangen, unseren Propheten wieder zu verstehen.“
Es ist festzuhalten, dass Gülen weder selbst in Anspruch nimmt, ein Prophet zu sein, noch von seinen Schülern oder von der islamischen Gelehrtenschaft dementsprechend wahrgenommen wird. Die Behauptung, seine Schüler oder Anhänger würden ihn als Propheten verehren, entbehrt also jeglicher Grundlage. Durch Expertenmeinungen und dem Studieren von Gülens Werken werden auch die Aussagen, er sei ein heuchlerischer Freund Gottes und ein oberflächlicher Gelehrte, haltlos.
Gülen wird eher als ein islamischer Universalgelehrte, Denker, Intellektueller und Mystiker verstanden.
Autoreninfo: Kadir Sancı, M.A., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Potsdam. Zugleich leitet und organisiert er den interreligiösen Dialog im Forum für Interkulturellen Dialog in Berlin. Der Autor ist Gründungs- und Vorstandsmitglied des Bet- und Lehrhauses am Petriplatz in Berlin. In diesem Projekt, in dem je eine jüdische, christliche und islamische Gebetsstätte unter einem Dach vereint sind, vertritt er die muslimische Seite. Er studierte an der Goethe-Universität in Frankfurt a.M. Islamische und Jüdisch-Christliche Religionswissenschaften und Pädagogik.
Hier geht’s zu Teil I: „Keine Propheten mehr nach Muhammad“
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