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Kolumnen

Flüchtlingsdebatte: Smartphone und Vorurteil

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Frau mit Kind vor Flüchtlingsunterkunft
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„Denen kann es ja gar nicht so schlecht gehen,“ hört man nicht selten, wenn Fotos von Geflüchteten mit Smartphones in den Medien auftauchen. Was für viele hier als Luxusartikel und „Nice to have“ gilt, ist für andere ein wichtiges Arbeitsgerät oder eines, mit dem man sein Leben organisieren kann. Die Medienwissenschaft geht davon aus, dass viele afrikanische Länder bestimmte Stufen der Medienentwicklung, wie wir sie kennen, überspringen. Festnetztelefonie wird es niemals in dem flächendeckenden Ausmaß geben, wie es in Europa üblich geworden war. Man überspringt diese Stufe einfach und steigt gleich in den mobilen Markt ein – die Anbieter setzen darauf und bieten nicht nur das entsprechende Mobilfunknetz, sondern auch günstige Geräte an. Die sind teilweise etwas einfacher gestrickt, als die für den europäischen, US-amerikanischen und asiatischen Markt, aber sie erfüllen Grundbedürfnisse des Alltags und sind aus demselben nicht mehr wegzudenken.

Man hört Radio – eines der wichtigsten Medien auf dem afrikanischen Kontinent – und kann ins Internet, über Skype und Viber lassen sich kostenlose Gespräche mit den entfernten Lieben führen, wenn W-LAN vorhanden ist. Ansonsten meidet man die Nutzung bzw. reduziert sie auf das Notwendigste. Erstmals sind Bankgeschäfte, sprich Überweisungen – auch ohne Konto – für viele Afrikaner möglich, ohne dafür eine entsprechende Institution oder ein Internetcafé aufsuchen zu müssen. In arabischen Ländern sieht die Situation oft etwas anders aus, aber auch hier spielen Mobiltelefone eine viel zentralere Rolle als die eines Luxusguts. Sie sind zudem im Herkunftsland der Migranten durchweg billiger als etwa in Deutschland. Dennoch ist der Anteil der Kosten dafür im Vergleich zur Geldmenge, die man insgesamt zur Verfügung hat, vergleichsweise hoch. Das belegt den sehr hohen Stellenwert, der jenseits eines Freizeitgeräts rein fürs Vergnügen liegt.

Für sog. Flüchtlinge sind Handys und Smartphones oft der wichtigste Gegenstand, den sie bei sich haben. Neben dem überlebenswichtigen Kontakt zu Familie und Freunden in den Herkunftsländern, sowie Verwandten und Freunden hier in Europa, können neue Kontakte geknüpft und zunächst einmal die Reise hierher organisiert werden. Schließlich sind die Aufbrüche an den Mittelmeerküsten oftmals sehr plötzlich und dafür muss man ständig erreichbar sein.

Die Übertragung der eigenen Vorstellungen hiesiger Medienbetrachter auf die ganz andere Lebensrealität der ankommenden Menschen, liefert ein anschauliches Beispiel eines interkulturellen Missverständnisses – unter anderem darum, weil die Gesamtsituation hinter den Medienbildern ohne weiteres Wissen nicht wahrgenommen werden kann. Alle Fakten verändern in einer anderen Situation ihre Bedeutung, so auch hier. Ein Symbol für Wohlstand kann auch eines für Not oder Notwendigkeit sein.