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Politik

Erdoğans Krieg im Nahen Westen

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Der Focus berichtete jüngst über türkische Agententätigkeit in Deutschland, allerdings nicht ohne handwerkliche Fehler. Die sind zum Teil gravierend.

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hakan fidan
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Focus berichtet in einem Artikel in Ausgabe 27 dieses Jahres über Erdoğans Agenten in Deutschland. In dem Artikel mit der Überschrift „Erdoğans Schattenkrieger: So ungeniert spioniert Erdoğan seine Gegner aus – mitten in Deutschland“, der durch mehrere handwerkliche Fehler auffällt, geht es vorrangig um drei Spione, die wegen unerlaubter Spionage in Deutschland verhaftet wurden und ihnen nun der Prozess gemacht wird.

Was den Vorfall interessant macht: Taha Gergerlioğlu, der als Anführer des Spionagerings vorgestellt wird, soll zum engen Beraterstab von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan gehören. Zusammen mit ihm angeklagt ist ebenfalls ein gewisser Duran Y., Reisekaufmann aus Wuppertal, sowie der arbeitslose Göksel G. aus Bad Dürkheim.

Sie sollen in Deutschland lebende Aktivisten der verbotenen Arbeiterpartei PKK sowie Angehörige der Minderheit der Jesiden und Mitglieder der marxistisch-leninistischen Untergrundorganisation DHKP-C ausspioniert haben. Seit 2013 befanden sich offenbar auch führende Mitglieder der Hizmet-Bewegung im Visier der Agenten.

Mit schmutzigen Tricks Gülen ausschalten?

Im Falle der Hizmet-Bewegung gingen die Aktivitäten der Agenten scheinbar über Überwachungstätigkeiten hinaus. Sie sollen sich um eine Dokumentenfälschung bemüht haben, um eben diese Gruppe zu belasten. Zitat: „Mit Hilfe eines Fälschers sollte ein Dokument erstellt werden, aus dem hervorgehen sollte, dass sich Gülen im Korankurs sexuell an Jungen vergangen habe. Diese belastende Nachricht, so die Ermittlungen, war eigens für den „Oberchef“ bestimmt – gemeint ist Recep Erdoğan.“

Das alles sollen Staatsschützer des Hessischen Landeskriminalamts (LKA) in einem abgehörten Telefonat notiert haben.

Focus berichtet auch, dass die amerikanische NSA die Türkei abgehört habe. So habe der US-Geheimdienst NSA vor knapp zwei Jahren protokolliert, wie der Chef des türkischen Geheimdienstes MİT (Milli İstihbarat Teşkilatı) in einem Telefonat mit einem hohen Offizier den Plan erörterte, in einer verdeckten Operation von syrischer Seite aus das Grabmal eines berühmten türkischen Religionslehrers beschießen und zerstören zu lassen. Focus dazu: „Nach Fidans Konzept hätte dies der Anlass sein können, mit türkischen Truppen in Syrien einzumarschieren.“

Focus berichtet ferner, türkische Spione befänden sich in Deutschland nicht nur in Botschaften und Konsulaten, was in der Welt so üblich und normal ist, sondern auch als Undercover-Agenten in Reisebüros, Redaktionen, Banken und Gebetshäusern. Besonders die DITIB-Zentrale in Köln wird als Hort von Agenten erwähnt und Imame unter Spionage-Generalverdacht gestellt. „Die Vorbeter werden angeblich angewiesen, Informationen über Erdoğans Kritiker sowie Personenfotos über vermeintliche Landesverräter zu liefern“, schreibt Focus.

Handwerkliche Fehler von Focus

So informativ und interessant der Artikel von Focus sein mag, so wirft er auch Fragen auf, da er handwerkliche Fehler enthält. Es wird schwierig, zwischen harten Fakten, Vermutungen und Verschwörungsphantasien des Focus-Redakteurs zu unterschieden.

Focus behauptet beispielsweise, der 59-jährige Taha Gergerlioğlu würde „seit Studentenzeiten ein fleißiger Unterstützer Erdoğans islamisch-konservativer Partei AKP“ sein. Da aber die AKP erst seit 2001 besteht, müsste Gergerlioğlu noch in seinen 50ern Student gewesen sein, was für die Türkei eindeutig zu alt ist. Dort sind Absolventen der Universität um die 20 Jahre alt.

Auch das Telefonat des türkischen Geheimdienstchefs mit einem hohen Offizier war in Wahrheit kein Telefonat. Es ging damals um ein Gespräch in einem Raum im Außenministerium in Ankara, in der vier Personen saßen. Der sogenannte türkische Religionslehrer, dessen Grabstätte bombardiert werden sollte, war ebenfalls kein Religionslehrer, sondern Süleyman Şah, der Großvater von Osman, dem Begründer des Osmanischen Reiches.

Dass sich „Schläger der nationalistischen Grauen Wölfe“ sich für die Bestrafung der Erdoğan-Gegner zur Verfügung stellen sollen, scheint der Phantasie des Autors zu entspringen, da sich deren Mutterpartei eigentlich als ausgesprochene Erdoğan-Kritikerin hervorgetan hat.

Focus schreibt weiter, dass sich die Militärzeit von in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Türken verkürze, wenn sie aus patriotischen Gründen dem Geheimdienst MİT helfen. Das ist mehr als fragwürdig. Zum einen leisten die jungen Türken gegen die Zahlung einer Summe (6000 Euro) überhaupt keinen Wehrdienst mehr, zum anderen kam eine Verkürzung des Wehrdienstes auch früher nicht in Frage, da er nur einen Monat dauerte und mehr einen Urlaubscharakter hatte.

Dass Focus zum Schluss auch junge Türken unter Generalverdacht stellt, ist mehr als kritikwürdig. „Zurück in Deutschland, arbeiten die zweisprachigen jungen Türken in Stadtverwaltungen, Hotels und Banken. Somit haben sie Zugang zu Daten, die den Agentenboss Hakan Fidan interessieren könnten. „Hakans Arm“, so ein LKA-Mann, ist verdammt lang.“

Aber auch die Phantasie des Focus-Redakteurs scheint verdammt bunt zu sein. Stellt sie doch junge Türken unter Generalverdacht, die es sowieso schwer haben bei der Jobsuche.

DITIB sollte Behauptungen nicht im Raum stehen lassen

Die Veröffentlichung des Gesprächs im Außenministerium wurde damals der Gülen-Bewegung angelastet, wie alles, das der Regierung nicht passte. Laut Focus hat die NSA das Gespräch mitgehört. Der bekannte Journalist Fehmi Koru fragte zu Recht, warum sich die Türkei nicht wegen dieser Information über die NSA bei den USA beschwere.

Die DITIB-Zentrale in Köln sollte reagieren und den Vorwurf nicht im Raum stehen lassen, sie beherberge türkische Spione und Imame und würde sich durch den MİT zum Ausspionieren türkischstämmiger Menschen instrumentalisieren lassen. Ansonsten würde die Vertrauenswürdigkeit von DITIB und seinen Imamen großen Schaden davon tragen.

Aber auch Focus sollte sich selbstkritisch hinterfragen: Wie ernst nimmt er noch den Slogan und das Versprechen seines ehemaligen Chefredakteurs Helmut Markwort: Fakten, Fakten, Fakten!