Politik
War der türkische Geheimdienst in die Morde von Paris involviert?
Ein mysteriöses Video deutet auf eine mögliche Verwicklung des türkischen Geheimdienstes (MIT) in die Morde an drei PKK-Terroristinnen vor einem Jahr in Paris hin. PKK-Führer Öcalan solidarisiert sich indessen mit Premierminister Erdoğan. (Foto: iha)
Ein Gesprächsmitschnitt, der am Montag anonym online gestellt wurde, und der die Stimme von Ömer Güney erkennen lassen soll, der derzeit wegen des Verdachts des dreifachen Mordes vor Gericht steht, soll darauf hindeuten, dass die Nationale Geheimdienstorganisation (MIT) ihm den Auftrag gegeben haben soll, im Januar 2013 drei Mitglieder der terroristischen PKK in Paris zu töten.
In dem Mitschnitt sollen Ausschnitte aus zwei Gesprächen erkennen lassen, wie Güney mit zwei MIT-Offiziellen über seine Pläne und Vorbereitungen zu den Mordanschlägen spricht. Das Video wurde anonym auf youtube gestellt und mittlerweile wieder gelöscht. Es beginnt mit einem Brief, mutmaßlich von einem Angehörigen Güneys. Diesem zufolge soll Güney ihm einige Beweismittel übergeben haben, die notfalls den Medien zugespielt werden sollten, da der mutmaßliche Mörder befürchte, es könne ihm „wegen der Morde etwas zustoßen“. In Paris sei ihm der Mord an Sakine Cansız befohlen worden. Die beiden anderen Frauen musste er dem zufolge erschießen, weil sie zufällig mit am Tatort waren.
Cansız, ein PKK-Mitglied der ersten Stunde und eine der Hauptfinanzierungsquellen der Terrororganisation, wurde am 9. Januar 2013 gemeinsam mit zwei weiteren Terroristinnen in einem Bürogebäude einer der PKK nahe stehenden Organisation ermordet.
Die Morde fanden ausgerechnet zu einem Zeitpunkt statt, da eine weitere Verhandlungsrunde zwischen der Regierung in Ankara und dem inhaftierten Führer der PKK, Abdullah Öcalan, mit dem Ziel eines Friedens im Südosten der Türkei auf dem Programm stand. Aus diesem Grunde ging man auch eher von einem „Inside Job“ der PKK selbst und von Rivalitäten aus, die innerhalb der Gruppe nicht selten auf gewaltsame Weise „bereinigt“ werden.
Nationalistische Kontakte parallel zur PKK-Mitgliedschaft
Wenige Tage nach der Tat wurde unter anderem Ömer Güney unter dringendem Tatverdacht verhaftet. Er war seit zwei Jahren PKK-Mitglied und wurde wohl deshalb auch von seinen späteren Opfern in das Bürogebäude eingelassen. Allerdings waren stets Spekulationen über eine mögliche Einschleusung Güneys laut geworden, weil dieser aus einer als MHP-nahe geltenden Familie in Sivas stammen soll und auch seit seinem Umzug nach Bayern Kontakte zu Sympathisanten der Idealistenbewegung gepflegt haben soll. Die Morde ließen jedenfalls Rückschritte in den Friedensbemühungen befürchten.
Der Brief, der im Video verlesen wird, legt ferner nahe, dass Güney mehrfach in die Türkei gereist sei, um sich im Vorfeld der Morde mit MIT-Offiziellen zu treffen. Der Geheimdienst soll seine Reisen finanziert und ihm Geld für die erforderlichen Waffen und anderen Gegenstände gegeben haben, die er benötigte, um den Mordauftrag auszuführen. Der mutmaßliche Dreifachmörder habe einige seiner Gespräche mit Geheimdienstleuten heimlich mitgeschnitten. Er beklage sich nun, dass ihn niemand im Gefängnis besuche und fühle sich vom MIT „benutzt“, heißt es weiter im Video.
Im Anschluss an den Brief werden die Exzerpte aus den Gesprächen mit zwei Männern dokumentiert, die dem Brief zufolge MIT-Agenten gewesen sein sollen. Güney soll den Begriff „ältere Schwester“ als Umschreibung für das spätere Mordopfer Cansız verwendet haben.
In einem der Gespräche habe Güney seiner Sorge Ausdruck verliehen, von französischen Sicherheitskräften beschattet zu werden und dass diese jederzeit „den Kontakt suchen“ könnten. Er kenne auch einen höheren PKK-Funktionär, Halil İbrahim Gündoğdu, und dass er diesen bereits zuvor hätte töten können. Allerdings habe es diesbezüglich keine Order seitens des MIT gegeben.
Zweite Waffe „aus Sicherheitsgründen“ verlangt
Güney habe in einem weiteren Gespräch nach zwei Handfeuerwaffen verlangt. Auf die Frage nach dem Grund soll er geäußert haben, dass er für den Fall einer Ladehemmung eine zweite Waffe bei sich führen wolle, um auf Nummer sicher zu gehen. Er habe 4500 Euro für die Waffen und 2500 für Munition verlangt und gelobt, den Auftrag sofort auszuführen, wenn das Geld da sei.
Auch hinsichtlich des Schauplatzes des Mordes habe Güney das Umfeld des Büros der PKK-nahen Gruppierung vorgeschlagen, das Cansız häufig besuchte. Die Wachen würden die Zielperson am Eingang verlassen und im Umfeld des Büros gäbe es keine Geheimdienstleute, Sicherheitskräfte oder Wachleute. Auch einen Fluchtplan gäbe es bereits. Daraufhin sei Güney noch einmal ermahnt worden, besonders vorsichtig zu sein, um nicht erwischt zu werden.
In einem weiteren Mitschnitt wurde offenkundig auch über die geplante Ermordung weiterer PKK-Mitglieder gesprochen, darunter Nedim Sever, Remzi Kartal und zwei anderen mit den Codenamen Şiyar und Heval Soro.
Auch Öcalan fürchtet sich vor einem „Komplott ausländischer Kräfte“
Güneys Familie war vor 25 Jahren von Sivas nach Paris gezogen. Güney selbst heiratete 2008 seine Cousine und lebte einige Zeit in Deutschland. Nach seiner Scheidung 2011 ging er nach Paris zurück. Güney leide an einem Gehirntumor und habe bereits mehrere Schlaganfälle hinter sich. Er weist keine Vorstrafen auf, wurde nur einmal kurz durch die niederländische Polizei festgehalten. Güney soll Istanbul im Laufe des Jahres 2012 drei Mal besucht haben.
Der inhaftierte PKK-Führer Abdullah Öcalan hat sich unterdessen mit einer Solidaritätsadresse gegenüber Premierminister Erdoğan an die Öffentlichkeit gewandt. Berichten zufolge warnte er vor einem von in- und ausländischen Kräften getragenen Putsch in der Türkei, der das Land in einen neuen Krieg stürzen könnte. Diese Argumentation bewegt sich nahe an der Verschwörungstheorie der Regierung in Ankara, wonach ein Komplott ausländischer Kräfte und ihrer inländischen Verbündeten hinter den derzeitigen Korruptionsermittlungen stehe.