Politik
Frankreich verlängert Ausnahmezustand, niemand protestiert – ist das wirklich so?
Frankreich verlängert den Ausnahmezustand. Bereits zum fünften Mal soll er jetzt ausgeweitet werden, da er 15 Tage nach einem Rücktritt der Regierung automatisch ausläuft. Er soll bis zum 15. Juli 2017 gelten. Am Dienstag hatte Manuel Valls sein Amt als Premierminister niedergelegt. Der Sozialist bewirbt sich als Kandidat für die Nachfolge von Präsident François Hollande.
Rückblick: Frankreich befindet sich seit den Terroranschlägen in Paris am 13. November 2015 mit 130 Toten im Ausnahmezustand. Die jetzige Verlängerung wird mit den für Frühjahr angesetzten Präsidentschaftswahlen begründet. Es herrsche weiter eine große Bedrohung.
Doch wie kommt der Ausnahmezustand in der Praxis an? Was bedeutet er im Alltag, welche Möglichkeiten gibt er der Regierung?
Rund 20 Moscheen und Gebetsräume geschlossen
„Wir haben rund 80 Ausweisungsverfügungen gegen ausländische Dschihadisten verhängt. Rund 200 Ausländern, deren Präsenz eine Bedrohung dargestellt hätte, haben wir die Einreise untersagt. Rund 20 radikale Moscheen und Gebetsräume haben wir dank des Ausnahmezustands geschlossen.“
Das sagte Bernard Cazeneuve im letzten Monat, damals noch als Innenminister. Er ist jetzt der neue Premier und damit Nachfolger von Valls. Seit November 2015 sind Hausdurchsuchungen ohne richterliche Anordnung erlaubt, die Geheimdienste erhalten weitreichenden Zugriff auf Kommunikation und Datenverkehr. Verdächtige, die eine mögliche Bedrohung für das Land darstellen, können unter Hausarrest gestellt werden. Versammlungen sind verboten, Grenzkontrollen wieder eingeführt worden. Bürgerrechtler kritisieren die Beschneidung von Freiheiten und bezweifeln die Wirksamkeit der Sonderbefugnisse.
4200 Durchsuchungen, weniger als 20 Ermittlungsverfahren in Zusammenhang mit Terror
Dominique Curis hat für Amnesty International die Folgen des Ausnahmezustandes in Frankreich analysiert und zieht ein ernüchterndes Zwischenfazit. Ihr zufolge mussten Menschen miterleben, „wie schwerbewaffnete Polizeikräfte mitten in der Nacht in ihre Wohnungen eingedrungen sind. Da waren oft ganze Familien mit Kindern in den Wohnungen, von denen niemand verstanden hat, was die Polizei da überhaupt will“.
Und die nackten Zahlen? Nach Angaben der Regierung stehen derzeit 90 Menschen nach Ausnahmerecht unter Hausarrest. Insgesamt wurden bereits 4200 Hausdurchsuchungen durchgeführt, daraus seien 19 Verfahren wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung hervorgegangen.
Hier stellt sich dann schon die Frage, ob der Ausnahmezustand wirklich gerechtfertigt ist. Schließlich, so Curis, habe es auch schon vor den verheerenden Anschlägen im November 2015 viele Verfahren im Zusammenhang mit Terrorismus gegeben – und die Ermittlungen seien auf herkömmliche Weise geführt worden. Es gehe also auch ohne Ausnahmezustand.
Kaum Proteste im Land
Dass es dennoch so gut wie keine Proteste im Land gibt, ist vermutlich der großen Angst vor weiteren Anschlägen geschuldet, die nach wie vor im Land vorhanden ist. Denn nach den Anschlägen in Paris hat sich auch das mit einem Lastwagen verübte Attentat in Nizza ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Weiter muss festgehalten werden, dass die nicht-muslimische Bevölkerung von den Maßnahmen weitgehend unberührt bleibt.
Emiliano Grossman, Politologe an der Pariser Universität Sciences Po, zufolge allerdings habe es auch Fälle gegeben, in denen Proteste gegen ein Arbeitsgesetz der Regierung oder Demonstrationen von Öko-Aktivisten mit Verweis auf den Notstand eingeschränkt worden seien. Er findet es „besorgniserregend, wie einfach sich die Leute damit abfinden“.
Es scheint, als ob in Frankreich der Ausnahme- längst zum Normalzustand geworden ist. (dtj/tagesschau)