Connect with us

Kolumnen

Ich habe nichts gegen Frauenfußball, aber…

Published

on

Spread the love

Ich interessiere mich für Fußball, ich mag das Spiel. Seitdem ich ein Herzschlag-Finale bei der türkischen Meisterschaft im Jahre 2009 anlässlich eines Aufenthaltes in Istanbul erlebte, verfolge ich genau, auf welchem Tabellenplatz die Mannschaft von Beşiktaş Istanbul steht. Lange sah es in diesem Frühling so aus, als wenn es die Mannschaft aus dem Stadion, das damals hoch über dem Bosporus thronte, schaffen könnte, aber dann zogen die beiden großen Istanbuler Stadtkonkurrenten an „meinem“ Verein doch noch vorbei.

Ich musste mich in den letzten Wochen vielen Fußball-Schauplätzen zuwenden: meinem alten Verein Arminia Bielefeld, zu dessen Heimspielen ich als Schüler ging, dem DFB-Pokal-Endspiel in Berlin, bei dem ich natürlich Borussia Dortmund die Daumen drückte, den Relegationsspielen des guten, alten HSV, der es doch noch schaffte, und natürlich dem Spiel der Spiele am Wochenende im Olympiastadion, das die zur Zeit beste Mannschaft auf der Welt, der FC Barcelona, gewann. Als das Match vorbei war, atmete ich tief durch und freute mich auf die große Sommerpause, ehe im August das Spiel wieder beginnt. Aber als ich den Fernseher abschalten wollte, sagte der TV-Moderator, dass es mit Fußball weitergehe, die WM der Frauen sei nun in Kanada an der Reihe.

Als man noch wochenlang von einem einzigen Spiel redete

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe nichts gegen Frauenfußball, aber nun reicht’s! Gibt es eigentlich nichts anderes als Fußball während der Freizeit? Ich muss diese Frage stellen, weil es in meinen Jugendjahren ganz anders war. Wochenlang freuten wir uns damals auf ein Endspiel im Europapokal der Landesmeister, wie der Vorgängerwettbewerb der Champions League hieß. Es spielte Eintracht Frankfurt gegen die legendäre Mannschaft von Real Madrid. Die Männer von der iberischen Halbinsel spielten in weißen Trikots. Frankfurt ging vor 100 000 Zuschauern in Glasgow in Führung, aber am Ende gewannen die Spanier mit 7:3. Von einem solchen Spiel redete man Wochen lang, Monate lang.

Auch die Nationalmannschaft trat nicht inflationär auf. Es gab rund 10 Länderspiele im Jahr, und es war ausgeschlossen, selbst für einen berühmten Spieler wie Fritz Walter, die Zahl von 100 Länderspielen während seiner Karriere zu erreichen. Heute schaffen das immer mehr Spieler, weil es Kurzeinsätze auf dem Rasen gibt, und der Bundestrainer mit vielen Spielern experimentiert. Ich kann mir die Namen kaum noch merken. Genauso wenig kann ich mir merken, wer mit welchem Verein verhandelt. Das Karussell dreht sich zu schnell.

Andere Sportarten geraten ins Abseits

Daher möchte ich mich einen Augenblick von ihm abwenden und mir die Frage stellen, warum aus der „schönsten Nebensache der Welt“ eine Hauptsache geworden ist. Da man mittlerweile so gut wie jeden Tag Fußball sehen kann, droht das Spiel zu einer Droge zu werden. Man hat Entzugserscheinungen, wenn es keine Fußballübertragung gibt. Fußball droht auch zu einer Monokultur zu werden. Wichtige andere Sportarten werden im TV nicht mehr gezeigt, sind an die Seite gedrängt worden.

Vor allem erzieht die tägliche Fußballübertragung jedoch zur Passivität, und das in einer Gesellschaft, die Bürgerbeteiligung, Aktivitäten, Engagement so dringend benötigt. Es ist somit ein günstiger Moment, sich Rechenschaft darüber abzulegen, wie viele Stunden man mit Fußball in der zu Ende gegangenen Saison vor dem Bildschirm verbracht hat. Die Zahl, die dabei zusammenkommt, muss jeden erschrecken. Denn wie viel Zeit davon waren – ehrlichgesagt – große Stunden? Nicht jedes Spiel wird ein bedeutendes, auch Weltmeister sind Menschen, haben gute und schlechte Tage und schonen sich, wenn die Sache gelaufen ist. Denn es geht um viel Geld, zu viel Geld, wenn sie mich fragen.

Die fußballlose Zeit – sofern sie denn kommt – sollte als Gelegenheit gesehen werden, ein Buch oder eine Zeitung in die Hand zu nehmen, aktiv zu sein, mit der Familie in die Natur hinaus zu gehen, mit Kindern, die einen großen Bewegungsdrang haben, zu spielen. Und wenn die nächste Saison startet, sollte man sie mit dem Vorsatz beginnen, ein bis zwei fußballfreie Tage pro Woche einzulegen. Dann wird Fußball wieder das, was es bleiben sollte, eine schöne Nebensache.