Gesellschaft
Moscheen nicht frauengerecht: „Qualen erleiden, um zu beten“
Musliminnen bleibt die Schönheit von Moscheen oft vorenthalten, denn meistens steht ihnen nur ein enger Raum für das Gebet zur Verfügung. Aus diesem Anlass wurden bisher weltweit zahlreiche Frauenmoscheen eröffnet. Doch ist dies mit dem Islam vereinbar?
Für Muslime steht bald die Fastenzeit an. Der Ramadan steht praktisch vor der Tür. In dieser besonderen Zeit steht den Muslimen zusätzlich zu den fünf Pflichtgebeten am Tag das Tarawih-Gebet offen, das nach dem letzten ,Isha’ verrichtet wird. In dieser Zeit zieht es auch besonders viele Frauen in die Moscheen. Wie frauengerecht sind aber die Moscheen?
Wir berichteten bereits über Frauenmoscheen weltweit. Während theologisch nichts gegen Frauenmoscheen spricht, bleibt die Frage offen, inwieweit die Frau die Rolle des Imam, des Vorbeters, übernehmen darf. Wir sprachen mit Theologen, Vorsitzenden islamischer Verbände sowie Islamwissenschaftlern über das Thema.
Unabhängig davon, ob auch in Deutschland Frauenmoscheen entstehen werden oder nicht ist das Grundproblem der Zustand der vorhandenen Moscheen. Der Berliner Imam Kadir Sancı kommt zu folgendem Urteil:
„Leider muss ich sagen, dass unsere Moscheen in der Regel nicht frauengerecht sind. Frauen können nicht an der Schönheit und Erhabenheit der Moscheen teilhaben. Außerdem sind oftmals keine (gerechten) Waschräume für sie vorhanden. Das Problem wird dramatischer, wenn ich feststellen muss, dass an Sommertagen Männer in dem großen und klimatisierten Hauptraum neben dem Beten einen Rückzugsort finden; Frauen hingegen müssen in engen und nicht klimatisierten Räumen Qualen erleiden, um ihren religiösen Pflichten nachgehen zu können. Welche Frau möchte schon unter diesen Umständen freiwillig in eine Moschee gehen? Sicherlich gibt es auch frauengerechte Moscheen. Wir müssen aber uns gegenüber ehrlich sein und zugestehen und uns deswegen schämen, dass die Moscheen meistens nicht frauengerecht sind.“
Melahat Kisi ist ähnlicher Meinung. Die Doktorandin, die zum Thema „Geschlechtergerechtigkeit im islamischen Religionsunterricht“ promoviert und zudem Kollegiatin im Graduiertenkolleg Islamische Theologie der Mercator-Stiftung ist, kritisiert die kleineren und schlechter ausgestatteten Frauenbereiche in den Moscheen: „Die räumliche Trennung erschwert durch schlechte Lautsprecher die Teilnahme am Gemeinschaftsgebet, da die Lautsprecher oder Mikrofone teilweise aussetzen und die Frauen aufgrund der räumlichen Trennung dem Gebet nicht mehr folgen können. Auch die Teilnahme an Vorträgen, Veranstaltungen, die im Männerbereich stattfinden, wird durch die schlechte audio (visuelle) Übertragung erschwert. Hinzu kommt, dass die Kinder zumeist bei ihren Müttern im Frauenbereich sind, der keinen gesonderten Kinderbereich hat, sodass Frauen bei Bildungsveranstaltungen benachteiligt sind.“
Nurhan Soykan, Generalsekretärin des Zentralrats der Muslime in Deutschland, ist sogar dafür, dass bei Platzmangel die Frauen „zumindest hinter den Männern beten. Kinderlärm müssen auch Männer aushalten. Wenn der Platz nicht ausreicht, sollten Männer die Nebenräume aufsuchen, ohne dass Frauen ihren Platz aufgeben müssen.“ In Moscheen in der Türkei beobachte sie sogar eine Verdrängung von Frauen aus den Moscheen. Zum Freitagsgebet würden die Männer auf die Frauenemporen stürmen und den Frauen das Gefühl geben, störend zu sein, da das Freitagsgebet nur für Männer verpflichtend sei.
Was muss man tun, damit Moscheen frauengerecht werden?
„Männer müssen lernen, Empathie zu zeigen. Hierfür kann ich mir sehr schöne Projekte vorstellen, in denen wir Männern die Möglichkeit geben, an einem Sommertag in einer großen, historisch bedeutenden Moschee in einem kleinen unklimatisierten Raum mit vielen anderen zusammen zu beten. Damit es authentisch wird, müssten diese Männer auch den Kopf bedecken und ein Jackett tragen“, so ein Vorschlag des Imams Sancı, der an dem Projekt House of One in Berlin als muslimische Partner mitwirkt. Außerdem betonte er, dass der Prophet sich stets für frauengerechte Verhältnisse in der Moschee eingesetzt hatte. Frauen hingegen dürften sich nicht von den Umständen abschrecken oder einschüchtern lassen. Je mehr Frauen ihr Bedürfnis äußern würden, desto sichtbarer werden diese Probleme und es können folglich auch Lösungsversuche eingeleitet werden.
Samet Er, Projektmitarbeiter und Leiter des Arbeitskreises Glaube & Religion bei der Gesellschaft für Dialog Baden-Württemberg und Redakteur bei der Zeitschrift „Die Fontäne“, ist anderer Meinung. Ihm zufolge seien die Moscheen in der Türkei frauengerecht genug. „Das mag in Deutschland der Fall sein, welches aufgrund der örtlichen Lage der Moscheen sich so ergeben hat. In der Türkei zum Beispiel beten die Frauen sogar noch in Räumlichkeiten die sich über den Männerbereich befinden und teils auch in den vordersten Reihen, also auf der Empore der Moschee. Ich hatte diesbezüglich gehört, dass diese bewusst so gemacht wurden. Das ist für mich eine Wertschätzung.“
So amüsant der Vorschlag Sancıs auch klingen mag, sind einige Frauen dafür, Nägel mit Köpfen zu machen- so Melahat Kisi. „Insgesamt muss die Gemeindearbeit als eine gemeinsame Arbeit verstanden werden, die der Expertisen und Kompetenzen der Männer und Frauen bedarf und diese nutzt.“ Zudem solle der Vorstand auch von Frauen besetzt werden, damit wichtige Entscheidungen auch von Frauen mitgetragen werden könnten. Diesbezüglich gäbe es bereits einzelne Beispiele, wo Frauen sogar die Vorsitzende einer Moscheegemeinde in Deutschland seien. Neben besserer Kommunikation zwischen Männern und Frauen müsse des Weiteren auf eine gerechte Raumverteilung Rücksicht genommen werden.
Was ist, wenn all das nicht hilft und eigene Frauenmoscheen entstehen?
Die Generalsekretärin des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Nurhan Soykan, träumt von einer Frauenmoschee. Für sie ist die Moschee nicht nur ein Ort zum Beten, sondern ein Zentrum für Austausch, Lernen und Begegnung. „Für muslimische Frauen gibt es viel zu wenige Möglichkeiten dazu. Man könnte dort frauenspezifische Themen ungestört angehen, Kinderbetreuung organisieren, Seminare abhalten.“
Samet Er sieht keinen Bedarf, eine Frauenmoschee zu etablieren, da die Frauen in den Moscheen bereits recht aktiv seien. „Die Frauenabteilungen in den Moscheen sind meist aktiver als alle anderen Abteilungen. Das wissen wir vom DİTİB-Bundesfrauenverband und dessen Aktivitäten, die seit 2013 bundesweit zu hören sind.“
Weltweit finden sich zahlreiche Frauenmoscheen, in China ist es eine Jahrhunderte lange Tradition. Kisi führt die Gründe einer Frauenmoschee auf: „Das aktuelle Beispiel der Frauenmoschee in Los Angeles wird damit begründet, Frauen zu stärken und ihnen einen uneingeschränkten Zugang zu Bildung sowie Spiritualität zu geben, da dies in Gemeinden nicht mehr zufriedenstellend ermöglicht wird bzw. eingeschränkt möglich ist. Die Dokumentationen „Me and the mosque“ sowie „Unmosqued“ zeigen die Schwierigkeiten u.a. von Frauen in den Moscheen auf. Dieses Beispiel macht deutlich, dass die Frauenmoschee eine Reaktion auf die prekäre Situation von Frauen in Moscheegemeinden ist. Insofern finde ich die Frauenmoschee wichtig, da sie zum einen auf die Probleme von Frauen in Moscheegemeinden aufmerksam macht und zum anderen auf diese Probleme reagiert und diese durch eigene Angebote zu kompensieren versucht.“ Ihre persönliche Meinung ist es, eine Moscheegemeinde für Männer und Frauen zu haben, in der sich beide sowohl spirituell als auch soziokulturell entwickeln können und gleichberechtigt sind.
Frau als Imam?
Die kritischste Frage, die im Zusammenhang mit der Idee einer Frauenmoschee aufkommt, ist inwieweit die Frau während eines Pflichtgebets als Vorbeterin fungieren darf.
Der Theologiestudent, Samet Er, sieht in allen Moscheen die Notwendigkeit einer Frau als Imamin, da sie Ansprechpartnerin für Frauen sein sollte, die einem männlichen Imam ihre Fälle nicht mitteilen können oder möchten. Zu ihrer Funktion als Vorbeterin spreche nichts dagegen, solange sie unter Frauen bete. Eine weibliche Vorbeterin für Männer werde im Islam generell abgelehnt. „Ich stütze mich bei solchen Fragen immer auf den folgenden Vers: Begehrt keinesfalls das, womit Gott die einen von euch bevorzugt hat vor den anderen (indem ihr andere für ihren gesellschaftlichen Rang, ihren Reichtum oder ihre körperlichen Vorzüge beneidet und so Einspruch gegen Gottes Verteilung erhebt). Den Männern steht ein Anteil dessen, was sie erworben haben, zu (sowohl im materiellen wie im spirituellen Bereich), und den Frauen steht ein Anteil dessen, was sie erworben haben, zu. (Aber scheut nicht zurück vor Anstrengungen und Trachten nach Höherem, anstatt andere zu beneiden) – vielmehr bittet Gott (euch mehr zu geben) von Seiner Huld (durch ehrliche Arbeit und indem ihr zu Ihm betet). Wahrlich, Gott ist aller Dinge gewahr.“ (4/32) Das heißt, Gott hat die Männer und die Frauen unterschiedlich erschaffen. Jeder hat eine Fähigkeit oder Veranlagung, die der andere nicht hat oder sich eventuell überhaupt nicht aneignen kann. Deshalb, denke ich, ist es falsch dies als Ungerechtigkeit zu bezeichnen. Vielmehr ist das für mich ein Teil des menschlichen Lebens.“
Laut Imam Kadir Sancı können Frauen ebenso wie in der Frühzeit des Islam auch heute Islamische Studien bzw. Islamische Theologie studieren. Sie arbeiten u.a. als Wissenschaftlerin, Lehrerin, Predigerin und als Seelsorgerin. Zwar habe man keine „Imamin“, welche die Rolle eines männlichen Imams vollständig übernehmen könne, dennoch könne sie unter bestimmten Umständen als solche tätig sein.
Melahat Kisi weist auf den Gelehrten Ibn Taymiyya (13.-14. Jh. n.Chr) hin. „Er war der Meinung, dass eine Frau auch Männer in Gemeinschaftsgebeten aus der hinteren Reihe als Vorbeterin leiten kann, wenn sie theologisch und sprachlich (arabisch, Koranrezitation,…) kompetenter als die anwesenden Männer ist. Neben einzelnen Meinungen gibt es die rechtliche Mehrheitsmeinung, die sich in der muslimischen Gemeinschaft weltweit durchgesetzt hat und die das Vorbeten von Frauen in gemischtgeschlechtlichen Gemeinschaftsgebeten verbietet, weshalb die Mehrheit der MuslimInnen Frauen als Vorbeterinnen für Männer negieren.“