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Politik

Freie Wähler: „In Bayern wird niemand assimiliert“

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Eine Woche vor der Bundestagswahl wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt. Das DTJ hat mit allen im Maximilianeum vertretenen Parteien gesprochen. Wir beginnen mit den Freien Wählern. (Foto: rtr)

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Hubert Aiwanger von den Freien Wählern.
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Die Freien Wähler (FW) begannen als Dachverband freier Wählergemeinschaften von Bürgern, die bereits seit den 1950er-Jahren in Bayern auf kommunaler und regionaler Ebene mit eigenen, unabhängigen Kandidaten bei Kommunalwahlen antraten. Zahlreiche solcher Orts- und Kreisgruppen gründeten 1978 als Dachorganisation den Landesverband Bayern der freien und unabhängigen Wählergemeinschaften e. V. (Eigenschreibweise FREIE WÄHLER, Abkürzung oft auch FW), um gemeinsame Ziele und Strategien abzustimmen. Gegenwärtig sind rund 870 Orts- und Kreisverbände im Dachverband organisiert.

Nachdem die FW auf Landesebene 1998 und 2003 mit 3,8 und 4,0% an der 5%-Hürde gescheitert waren, gelang ihnen 2008 mit einem Stimmenanteil von 10,2% der Einzug ins Maximilianeum. Aktuelle Umfragen sagen den Freien Wählern den Wiedereinzug in den Landtag mit 8-10% voraus.

Die Freien Wähler sind in Bayern eine kommunal gut verankerte und mittlerweile auch im Landtag vertretene Partei. Innerhalb der Einwanderercommunity gelten sie aber als weitgehend unbeschriebenes Blatt. Da liegt gleich mal die Frage nahe: Haben Sie Kandidaten mit Migrationshintergrund?

Zur Bundestags- und Bezirkstagswahl kandidieren nach unseren Informationen drei Kandidaten der FW mit Migrationshintergrund. Nicht auszuschließen ist allerdings, dass Kandidaten aufgestellt wurden, denen ihr Migrationshintergrund selbst nicht bewusst ist und der auch anhand ihres Namens, der sich zum Beispiel durch Heirat geändert hat, nicht mehr nachvollzogen werden kann.

Für den Bundestag kandidieren Gökhan Değer im Bundestagswahlkreis München-Nord und Matthias Penkala im Stimmkreis Amberg. Auf der Bezirkstagsliste für Unterfranken wird Pelin Kirli antreten.

Im Wahlkampf haben Sie vor allem die Wohnungspolitik zum Thema gemacht. Was bewegt Sie in diesem Zusammenhang im Besonderen?

Wir wollen nicht, dass das Wohnen in einem innenstadtnahen Bereich zum unerschwinglichen Luxus wird. Wir müssen verhindern, dass die größte Sorge der BürgerInnen der Wohnraum wird. Eingegriffen werden muss dort, wo Wohnungen zum Spielball von Spekulationen werden.

Wir Freie Wähler sehen den Wohnungsmarkt unter dem Aspekt der Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen. In der Stadt ist erschwingliches Wohnen Ausdruck sozialer Verträglichkeit.

Und wie wollen Sie Fehlentwicklungen in diesem Zusammenhang begegnen?

Das Problem der Wohnungsknappheit ist nicht kurzfristig lösbar. Es dauert seine Zeit, bis private und öffentliche Träger dort Wohnungen und Studentenheime bauen, wo der Bedarf danach groß ist. Eingegriffen werden muss dort, wo Wohnungen zum Spielball von Spekulationen werden, denn es handelt sich um das Heim von Menschen und nicht um eine „lohnende Renditeanlage“. Einen flächendeckenden Wohnungsmangel in Bayern gibt es jedoch nicht. Vielmehr haben zahlreiche Gemeinden in schwächeren Regionen sogar mit Leerstand in den Zentren zu kämpfen. Langfristig muss es gelingen, diese Schere wieder zu schließen. Es ist ein gesellschaftlicher Trend, in die Städte zu ziehen. Die Konsequenzen auf dem Wohnungsmarkt müssen wir erkennen und dort auch regulatorisch eingreifen, wo soziale Spannungen drohen. Langfristig hingegen muss eben auch der Wohn- und Arbeitsort außerhalb der Ballungszentren wieder attraktiver werden. Hierfür treten wir Freien Wähler in besonderer Weise ein.

Auch die Bildungspolitik ist im Landtagswahlkampf ein wesentliches Thema. Welche Bildungsprobleme und -chancen von Migrantenkindern sehen Sie im Freistaat?

Wir Freie Wähler wollen einen deutlichen Ausbau der frühkindlichen Bildung mit mindestens einem kostenfreien Kindergartenjahr. Außerdem soll das Modell der flexiblen Grundschule, in der Kinder je nach Bedarf die ersten zwei Schuljahre in einem, zwei oder drei Jahren durchlaufen können, flächendeckend auf alle Grundschulen in Bayern ausgeweitet werden. Dies ermöglicht in der entscheidenden Eingangsphase jedem Kind seine individuelle Lernzeit. So wollen wir Bildungschancen erhöhen und Bildungsproblemen bereits im Vorfeld begegnen. Darüber hinaus ist uns ein qualitativ hochwertiger Ausbau von Ganztagsschulen sehr wichtig. Wir fordern insgesamt mehr Lehrer und kleinere Klassen, denn nur dann können Kinder wirklich individuell gefördert werden.

Außerdem plädieren wir für eine Wahlfreiheit hinsichtlich der Frage G8 oder G9, da nach unserer Auffassung viele Schüler eine längere Lernzeit benötigen als dies gegenwärtig am G8 der Fall ist. Wir haben deshalb zu dieser wichtigen bildungspolitischen Frage ein Volksbegehren gestartet.

Wie positionieren Sie sich in der Frage der doppelten Staatsangehörigkeit?

In der Debatte um die die doppelte Staatsbürgerschaft werden rechtliche und emotionale Ebenen stark miteinander vermengt. Was wir Zuwanderern kommunizieren sollten, ist, dass sie in Bayern nicht assimiliert oder gezwungen werden sollen, die Liebe zu ihrer alten Heimat, Kultur und Sprache aufzugeben. Wir Freie Wähler sind aber durchaus der Meinung, dass das politische Selbstbestimmungsrecht eines Volkes in Form des Wahlrechts und der besondere Schutz eines Staates für seine Bürger gute Gründe dafür sind, doppelte Staatsbürgerschaften nur in besonderen Ausnahmefällen zuzulassen. Die sehr bürokratische Optionsregelung, wonach sich Jugendliche zwischen 18 und 23 Jahren für eine Staatsangehörigkeit entscheiden müssen, sollte jedoch überdacht werden.

Außerdem sollte die deutsche Staatsangehörigkeit zusätzlich an Personen verliehen werden können, denen ihr Herkunftsstaat die Entlassung aus der alten Staatsangehörigkeit verweigert hat oder bei denen es sonstige Probleme gibt – wie bei Kosovaren, von denen zusätzlich noch verlangt wird, ihre serbische Staatsangehörigkeit aufzugeben.

Soll es ein Kommunalwahlrecht für Migranten geben?

Bisher ist das Kommunalwahlrecht nur auf Unionsbürger ausgedehnt worden. Eine Ausweitung auf Nicht-Unionsbürger können wir uns vorstellen, sofern dieses Wahlrecht aber an einige Voraussetzungen wie das Bleiberecht und an eine gewisse Dauer des Aufenthalts in den jeweiligen Kommunen gekoppelt wird.

Wie stehen Sie zur Förderung der Muttersprache?

Wissenschaftliche Untersuchungen belegen zweifelsfrei, dass die Beherrschung der Muttersprache essenziell für das Erlernen von Fremdsprachen ist. Wir halten deshalb Wahlpflichtangebote zum Beispiel in Türkisch für begrüßenswert. Generell plädieren wir als Freie Wähler für eine bessere Stundenausstattung an Schulen, um Wahlangebote überhaupt sinnvoll zu ermöglichen. Für uns Freie Wähler steht zunächst einmal die Sprachbeherrschung der Landessprache, also der deutschen Sprache, im Vordergrund. Bildungschancen hängen maßgeblich davon ab, dass die Kinder dem Unterricht überhaupt folgen können und dazu sind ausreichende Sprachkenntnisse nötig. Wir treten daher für eine Stärkung der Sprachkurse im frühkindlichen und schulischen Bereich ein.

Was wollen Sie unternehmen, damit Migranten noch mehr Teilhabe in allen Bereichen der Gesellschaft möglich ist?

Die Integration in und Teilhabe der MigrantInnen an unserer Gesellschaft ist ein zentrales Anliegen unserer Politik. Miteinander leben ist ein Geben und Nehmen, das Toleranz verlangt für den anderen, Sensibilität im Umgang mit Neuem, aber auch die Anerkennung von Regeln und traditionellen Werten. Neben einer effektiven Sprachförderung, zum Beispiel durch Deutsch-Sprachkurse im Kindergarten oder Projekte wie „Mama lernt Deutsch“, befürworten wir auch eine stärkere Einbindung von Menschen mit Migrationshintergrund in den öffentlichen Dienst.

Welche Position vertreten die FW mit Blick auf die Visa-Bestimmungen für türkische Bürger?

Wir treten dafür ein, Visapflichten für die Einreise nach Deutschland regelmäßig zu überprüfen und gemachte Fortschritte jener Länder, für die solche Visapflichten bestehen, stets zu würdigen. Eine Liberalisierung in diesem Bereich muss gemeinsam auf europäischer Ebene erfolgen. Dabei müssen aber auch Anstrengungen der visapflichtigen Länder eingefordert werden. Die Ratifizierung eines Rücknahmeübereinkommens für Flüchtlinge, die über die Türkei in die EU gelangen, ist deshalb für uns eine notwendige Bedingung.

Wie stehen Sie zur EU-Mitgliedschaft der Türkei?

Wir sind für eine ideologiefreie Debatte über die EU-Erweiterung. Europäischen Ländern, die sich um die Einhaltung der Prinzipien Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bemühen, ist grundsätzlich eine Beitrittsperspektive gegeben, um ihnen die Teilhabe am europäischen Friedenswerk nicht von vornherein zu verwehren.

Gibt es etwas, was Sie speziell den Wählerinnen und Wählern aus der Einwanderercommunity noch sagen wollen?

Seit 2008 haben sich in Bayern mehr als 11 000 türkischstämmige Frauen und Männer entschieden, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen, was bedeutet, dass sie am 15. September zum ersten Mal an einer Landtagswahl teilnehmen können. Bisherige Erfahrungen haben jedoch gezeigt, dass gerade türkischstämmige Bürger ihr Wahlrecht oft nicht nutzen. Viele interessieren sich laut Umfragen kaum oder wenig für Politik. Ich hoffe, das ist dieses Mal anders, denn in Bayern stehen in den nächsten Jahren Entscheidungen an, die für den Alltag aller Menschen im Freistaat wichtig sind: Energiewende, Lohnentwicklung, Mietpreise, bessere Bildungsangebote. Unser wichtigstes Ziel dabei sind gleichwertige Lebensbedingungen – nicht nur in allen Regionen, sondern auch für alle Bevölkerungsgruppen. Erreichen wollen wir Freie Wähler dies im Dialog mit den Bürgern. Dazu laden wir Sie ein: Nutzen Sie ihr Stimmrecht!

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