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Gesellschaft

Atheisten und Gläubige: Ein schwieriges Verhältnis im Schatten der Freiheit

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Es ist ein schwieriges Verhältnis, das zwischen Atheisten und Gläubigen besteht. Das zeigt sich in den Debatten, die seit Paris und den Karikaturen wieder aufflammen. (Foto: dpa)

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Ein Muslim steht am 16.01.2015 vor dem Eingang von RTL in Köln (Nordrhein-Westfalen). Nach dem Terroranschlag auf "Charlie Hebdo" in Paris hielten Mitglieder der Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) eine Mahnwache für Meinungsfreiheit vor dem Gebäude des Fernsehsenders ab.
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Die Frage der Beziehung zwischen Religion und Staat, Freiheit und Religionsfreiheit wurde am Samstag im „Religionspolitischen Kongress“ der Grünen im Landtag von NRW thematisiert. Der Kongress fand nach den menschenverachtenden Attentaten von Paris statt. Dass die Veranstaltung direkt auf das Attentat folgte, scheint das Interesse daran erhöht zu haben.

Etwa 200 TeilnehmerInnen haben sich in verschiedenen Panels am Vormittag und Nachmittag zusammengefunden. Die Themen sind durchdacht ausgewählt auch vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse. Ich persönlich habe mich für die Panels entschieden: „Religionsfreiheit. Wessen Religionsfreiheit? Widersprüche zwischen negativer und positiver Religionsfreiheit“ und „Weltanschauliche Pluralität – Zwischen gesellschaftlicher Realität und rechtlicher Gleichstellung“.

Als Moderatoren waren im ersten Panel der Grünen Bundestagsabgeordneter und religionspolitischer Sprecher Volker Beck und der Landessprecher Säkulare Grüne Berlin, Jürgen Roth, vertreten. Zu den Referenten zählten Prof. (em.) Dr. Micha Brumlik von der Universität Frankfurt, Dr. Kirsten Wiese von der Humanistischen Union und Dr. Burkhard Kämper vom Büro der Düsseldorfer Katholiken.

Revolutionen haben Gesellschaften von Grund auf verändert

Die Diskussionen führten bei mir zur folgenden Erkenntnis: Im Westen sind Freiheiten ein sehr wertvoller Wert, da sie hart erkämpft wurden. Es wurden Kriege geführt, Revolutionen haben Gesellschaften von Grund auf verändert und viele Menschen haben sich geopfert. Deswegen stehen die Freiheit und die anderen Grundrechte des Individuums unter dem Schutz des Grundgesetzes.

Auf den ersten Blick scheinen Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit miteinander in Konflikt zu stehen. Was auch zum Teil stimmt. Religionen haben klare Glaubensgrundsätze – oft auch Dogmen – die sie als unantastbar betrachten. Das Prinzip der Freiheit gibt jedem Individuum nicht nur das Recht, sich gegen oder für eine Religion auszusprechen, sondern sie auch zu kritisieren. Was ist zu tun und welche Rolle sollte der Staat in diesem Konflikt spielen? Soll dem Respekt vor Sakralem der Vorzug gelten oder der Meinungsfreiheit, auch wenn sie religiöse Gefühle massiv angreift? Dies ist die Gretchenfrage nach meiner Auffassung.

Auf der einen Seite befinden sich Menschen, die atheistisch sind oder sich zu areligiösen Ideologien bekennen. Auf der anderen Seite religiöse Menschen, die Respekt vor ihren Heiligkeiten haben. Genau zwischen diesen zwei Gruppen besteht ein Konflikt. Denn die ersteren sehen den Angriff auf alles Sakrale als produktive Kunst und mit der Meinungs- und Pressefreiheit gedeckt. Genau das empfinden die Gläubigen als destruktiv und verletzend. Da die Atheisten selbst nichts als heilig anerkennen, kann man von einer asymmetrischen Konfliktsituation sprechen. Der Gläubige hat kein Mittel, mit dem er es dem Atheisten gleich tun kann. Zumal manche Religionen, wie z.B. der Islam, den Angriff auf das Sakrale des Anderen unterbinden. Rechtsphilosophen sprechen hier von einem Konflikt zwischen negativer und positiver Religionsfreiheit.

Der sogenannte Blasphemie-Paragraph

Was sagen die Gesetze in Deutschland dazu? Die Beleidigung Gottes und seiner Propheten werden im § 166 des Strafgesetzbuches mit Strafen geahndet. Dazu heißt es: „Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Bis jetzt wurden zehn Menschen im Rahmen dieses Paragraphen verurteilt. Eine fortgeschrittene säkularisierte Gesellschaft und dieses Gesetz stehen sich gegenüber. Juristen, die diesen Paragraphen als gesellschaftlich überholt betrachten und daher streichen wollen, bewerten Beleidigung von Sakralem als Ausdruck der Meinungsfreiheit. Wie es scheint, eine ausweglose Situation. Auch im Panel gab es deswegen kein eindeutiges Ergebnis. Ganz gleich, wie man dazu steht, es ist tatsächlich schwammig, da es je nach Perspektive anders ist. Wenn man sich bloß überlegt, Jahrhunderte hinweg gab es den Kampf gegen die Kirche. Als man im Schatten despotischer Herrschaften die Freiheit noch wie das tägliche Brot als Grundbedürfnis heiligte. Die dann mit einem Rundumschlag so gut wie alle moralische Normen anzweifelte und letztlich an den Nagel hing. Bis das Sakrale an der Reihe war. Doch dies ist eine paradoxale Ausweglosigkeit.

Es wäre sicherlich besser und nachhaltiger gewesen, wenn diese Diskussion nicht nach den Angriffen auf Charlie Hebdo stattgefunden hätte, weil aktuell Islam, Islamismus und Terrorismus die Tagesagenda dominieren. Sachliche und besonnene Diskussionen können nicht geführt werden, wenn Angst und Vorurteile die Gesellschaft in Haft genommen haben.

Mit Gesetzen und Paragraphen kann man vieles regeln. Löst man sie damit auch? Natürlich sind Gesetze und Regelungen wichtig. Die Lösung von gesellschaftspolitischen Problemen erfordert jedoch auch eine moralisch-ethische Grundhaltung, die von Respekt vor der Würde des Menschen geprägt ist. Und das unabhängig davon, ob er Atheist oder Gläubiger ist.

Politische Parteien haben neben dem Willen, Macht zu übernehmen und politisch zu gestalten, auch die Aufgabe gesellschaftlich relevante Themen aufzugreifen und Forum für Diskussionen zu schaffen. Mit dieser Veranstaltung ist dies den Grünen gelungen. In einer offenen Gesellschaft können wir alle unsere politischen und sozialen Probleme ohne Hemmungen diskutieren und Lösungen anstreben. Das ist eine wichtige Errungenschaft. Denn an dem Punkt, wo das Gespräch und der Austausch von Argumenten aufhört, beginnt oft der Fanatismus und Extremismus, die in Gewalt münden kann.

Wozu das führen kann, haben wir alle in Paris gesehen.