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Politik

Fürchtet Israel die türkisch-ägyptische Freundschaft?

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Die enge Zusammenarbeit zwischen Ägypten und der Türkei während der Gazakrise ist ein sichtbares Zeichen der Veränderungen, die der Arabische Frühling der Region bringt. In Israel sehen viele diesen hingegen immer noch als Bedrohung. (Foto: Zaman)

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Fürchtet Israel die türkisch-ägyptische Freundschaft?
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Von Mümtaz’er Türköne*

Der Name klingt durchaus respekteinflößend: „Turkey-Egypt High Level Strategic Cooperation Council“. Premierminister Recep Tayyip Erdoğan engagierte sich in dessen Rahmen erstmals persönlich, als die Luftangriffe der israelischen Armee auf Gaza ihren Höhepunkt erreichten. Das Gremium unterzeichnete im Rahmen dieser Zusammenkunft nicht weniger als 27 Übereinkommen. In seiner Rede brachte Erdoğan besonders zwei Dinge zur Sprache, beziehungsweise lieferte Vorschläge für das Ziel einer sich entwickelnden türkisch-ägyptischen Achse.

Von diesen zwei Punkten, betraf der erste eine Analyse unter dem Gesichtspunkt „Ein Jahrhundert der Teilung“. Ein Jahrhundert zuvor war die Geographie des Mittleren Ostens noch eine homogene Einheit gewesen. Nun soll diese Teilung erneut zu einem Ende gebracht und eine neue Union geformt werden. Zweiteres und letzteres beschreibt die nicht selten auf dem Reißbrett konstruierten Staatsgrenzen dieser Region. Bezüglich beider Aspekte stellt die regionale Geopolitik, ein Überbleibsel des Ersten Weltkrieges, eine große Herausforderung dar.

Die türkisch-ägyptische Achse repräsentiert den wichtigsten Gesichtspunkt des allgemeinen Trends, man arbeitete daran, den Frieden in Gaza wieder herzustellen und zu einem Ende der Angriffe der israelischen Armee beizutragen. Die im Mittleren Osten neu entstehende Harmonie zwischen der Türkei und Ägypten wird gleichzeitig Israels Argwohn zumindest nicht abschwächen. Der Arabische Frühling destabilisierte ein über Jahre hinweg erarbeitetes, labiles Gleichgewicht, in das die westliche Welt viel Arbeit, Mühe und strategische Planungen investiert hatten.

Gaza-Krieg als Zeichen einer Angst vor dem Wandel?

Das ist auch einer der Gründe, warum der Bürgerkrieg in Syrien so lang andauert. Der Sieg Barack Obamas in den Vereinigten Staaten, dem in Israel kein unbegrenztes Vertrauen entgegengebracht wird, ließ Israel mit wenigen Alternativen zurück. Aus diesem Grund zeigt Israel wenig Interesse an den Veränderungen, im Vorjahr hatte Premierminister Netanyahu sogar öffentlich seine Sorge angesichts des Sturzes des ägyptischen Machthabers Mubarak zum Ausdruck gebracht. Auch in Anbetracht der Gefahr, die vom Iran ausgeht, erscheinen die unabsehbaren Entwicklungen in den benachbarten arabischen Ländern aus Sicht Jerusalems eher als potenzielle Bedrohung denn als Chance. Viele in der islamischen Welt betrachteten deshalb auch Israels Angriffe auf Gaza als Versuch, den unkontrollierbaren Wandel in der Region zu stoppen, als Intervention mit dem Ziel, die Schaffung einer neuen Islamischen Welt zu behindern in der Erwartung, dass die Welt auf Seiten Israels stehen und die neuen arabischen Regime ihr Gesicht vor deren eigenen Leuten verlieren würden.

Die Muslimbruderschaft, welche in Ägypten an die Macht kam, hat mittlerweile eine 84 Jahre Oppositionserfahrung angehäuft. Diese Gruppierung beruhte auf einer islamischen Bewegung, die ihre Existenzberechtigung nicht nur aus der Gegnerschaft zu Israel und zum arabischen Nationalismus bzw. Baathismus herleitete, sondern in ihrer langen Vergangenheit auch große Unterdrückung und Zwang erfuhr. Nun sind sie an der Macht. Die treibende Kraft des Wandels verspricht Hoffnung für die Zukunft, nicht nur in Ägypten, sondern in der gesamten arabischen Welt. Doch bevor dies geschieht, gibt es eine Reihe von Hindernissen. Die Muslimbruderschaft betrachtet Israels Angriffe auf Gaza als gefährliche Hinterhalte, welche dem ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi gegolten hätten. Sie wirft die Frage auf, ob es denn irgendeine andere Erklärung für das Fortsetzen der Angriffe gegeben hätte, während Mursi Gaza besuchte.

Das türkische Vorbild für Ägypten

Ähnliche Voraussetzungen fand die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) in der Türkei vor. Ihre Macht repräsentiert die Weiterführung einer Geisteshaltung, welche charakteristisch für die nationale Sichtweise (Milli Görüş) ist und eine Tradition generierte, die sich stark von der Tradition der Muslimbruderschaft in Ägypten unterscheidet. Es bestehen mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten zwischen der Muslimbruderschaft und Milli Görüş. Das System von Milli Görüş ist im Vergleich zu dem der Muslimbruderschaft ein offeneres und demokratischeres. Die Belehrung über den „Laizismus“, die der Präsident den sich auf dem Tahrir-Platz versammelnden Ägyptern erteilte, musste von der Muslimbruderschaft als eine Art Schutzimpfung für das Immunsystem interpretiert werden, welche durch die Erfahrung von Milli Görüş verstärkt wurde. In diesem Zusammenhang gab es auch ein kritisches Eingreifen Erdoğans und dieses ermöglichte Ägypten einen sicheren und soliden Übergang, als das Land an einer wichtigen Schwelle gestanden hatte.

Der Besuch Erdoğans in Ägypten ist vor diesem Hintergrund auch eine Antwort auf die Frage, ob die beiden Länder auch in Krisenzeiten den Schulterschluss suchen und diese dadurch überwinden werden. In der arabischen Welt wird darüber spekuliert, ob Israel nicht in den Tagen der Gaza-Offensive auch austesten wollte, ob eine Eskalation in der Palästina-Frage nicht zu Spannungen zwischen der Türkei und Ägypten beitragen würden, weil Mursi dazu neigen könnte, unter Druck unüberlegt zu handeln. Man argwöhnt immer noch, Israel könnte eine Interessenspolitik mit dem Ziel verfolgen, die Ergebnisse des Arabischen Frühlings wieder rückgängig zu machen und die vermeintliche Stabilität der alten Ordnung wieder anzustreben. Und es könnten tatsächlich Zeiten kommen, in denen diese Gefahr wiederaufkeimen könnte.

Die wachsende Verbundenheit zwischen Ägypten und der Türkei basiert jedenfalls auf einer tiefen Geistesverwandtschaft, historischen Gemeinsamkeiten und gesellschaftlicher Unterstützung. Sie ist stabil und verfällt nicht so schnell in Differenzen.

*Mümtaz‘er Türköne, Politikwissenschaftler, ist Autor mehrerer Bücher (u.a. „Islamismus als politische Ideologie”, „Türken- und Kurdentum”, „Modernisierung und Laizismus”). Er gilt als guter Kenner und Kritiker der politischen Rolle des türkischen Militärs. Zudem ist er Kolumnist bei der türkischen Tageszeitung „Zaman”.