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Politik

Gesetzliche Regelung für Beschneidung „nicht unbedingt erforderlich“

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Hans-Jürgen Papier sieht die Beschneidungsregelung des Kölner Landgerichts kritisch. Die Beurteilung, was dem Kindeswohl am besten entspreche, sei in erster Linie Sache der Eltern. (Foto: reuters)

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Gesetzliche Regelung für Beschneidung „nicht unbedingt erforderlich“
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Der Deutsche Staatsrechtswissenschaftler und ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, verweist im Interview mit „Zaman“ außerdem auf die Tatsache, dass ein oberstes Bundesgericht oder ein in letzter Instanz entscheidendes Obergericht bislang noch kein Urteil zur Beschneidung gefällt habe.

1.) Wie beurteilen Sie die Entscheidung des Kölner Landgerichts?

Ich halte das Urteil für verfehlt. Darin wird das Grundrecht der Religionsfreiheit, das grundsätzlich vorbehaltlos und ohne weitere Einschränkung gewährleistet wird, nicht hinreichend berücksichtigt. Auch das allgemeine Grundrecht der Eltern auf elterliche Sorge, welches das Recht der religiösen Kindererziehung umfasst, kommt nicht ausreichend zur Geltung. Das elterliche Sorgerecht ist zwar auf das Kindeswohl ausgerichtet, nach diesem Elterngrundrecht ist es aber in erster Linie Sache der Eltern, zu bestimmen, was dem Kindeswohl am besten entspricht. Hier dürfen sicher auch religiöse Überzeugungen eine Rolle spielen. Erst, wenn die Eltern ihr Sorgerecht missbrauchen oder hier versagen, ist der Staat gefordert.

2.) Ist es erforderlich, die Beschneidung gesetzlich zu regeln?

Das ist an sich nicht unbedingt erforderlich. Das geltende Recht ist meines Erachtens ausreichend, es ist nur vom Landgericht Köln fehlerhaft interpretiert und angewendet worden. Man darf auch nicht übersehen, dass das Landgericht Köln kein oberstes Bundesgericht oder ein in letzter Instanz entscheidendes Obergericht ist. Es handelt sich also nur um die Rechtsmeinung eines Gerichts. Das Gesetz lässt das Verständnis zu, dass die religiöse Beschneidung an Jungen auch weiterhin nicht rechtswidrig und nicht strafbar ist – und fordert dies sogar aus verfassungsrechtlichen Gründen. Das Problem ist eher die nunmehr bestehende Rechtsunsicherheit. Der betroffene Arzt wurde im Ergebnis nicht verurteilt, weil er davon ausgehen konnte, dass die Beschneidung nicht strafbar war. Sollte ein anderes Gericht sich der Meinung des Landgerichts Köln anschließen, kann ein künftig Betroffener sich nicht mehr auf einen so genannten strafbefreienden Verbotsirrtum berufen. Es ist deshalb sehr bedauerlich, dass in dem Fall des Landgerichts Köln keine obergerichtliche Klärung der rechtlichen Frage herbeigeführt wurde. Das würde uns die Diskussion um eine gesetzliche Regelung wahrscheinlich ersparen. Jetzt ist die konkrete Entscheidung in der Welt, die Rechtsunsicherheit bei den Betroffenen schafft. In dieser äußerst misslichen Situation ist es verständlich, dass der Gesetzgeber nun klarstellende Regelungen treffen will.

3.) Was überwiegt: das Grundrecht der Eltern auf elterliche Fürsorge und somit auf religiöse Kindererziehung oder das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit?

Es ist zu berücksichtigen, dass es Juden und Muslimen bei der Beschneidung aus religiösen Gründen nicht nur um eine Frage der Tradition und des Brauchtums, sondern um essenzielle Glaubensinhalte geht. Die Einwirkung in die körperliche Unversehrtheit ist demgegenüber geringfügig, wenn die Beschneidung nach medizinischen Regeln erfolgt. Deswegen sind im Ergebnis die Grundrechte auf Religionsfreiheit und elterliche Sorge eindeutig gewichtiger zu werten. Es ist doch kein Zufall, dass es in den sechs Jahrzehnten der Geltung des Grundgesetzes bislang nie eine strafrechtliche Verfolgung wegen Beschneidungen gegeben hat und es auch in anderen Staaten mit einer vergleichbaren rechtsstaatlichen Ordnung nie zu strafrechtlichen Verfolgungen gekommen ist.

4.) Nach Ansicht von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist die gesetzliche Absicherung ritueller Beschneidungen von Jungen mit Schwierigkeiten verbunden. Die Sache sei komplizierter, als ein einfaches Sätzchen irgendwo einzufügen. Warum ist die Sache so „kompliziert“?

Ich will Details zu Gesetzgebungsvorschlägen, die ich im Übrigen nicht im Einzelnen kenne, nicht kommentieren. Ganz allgemein gilt, dass vor gesetzgeberischen Schnellschüssen zu warnen ist.

5.) Was meinen Sie, wird nach Inkrafttreten der beabsichtigten gesetzlichen Regelung über die Beschneidung das Verfassungsgericht wegen einer behaupteten Verfassungswidrigkeit angerufen werden?

Auszuschließen ist das natürlich nicht. Wenn man der Einwilligung der Eltern aus verfassungsrechtlichen Gründen, nämlich wegen des Grundrechts des Kindes auf körperliche Unversehrtheit, die Wirksamkeit versagt, wie es das Landgericht Köln im Ergebnis getan hat, dann könnte man diese verfassungsrechtlichen Einwände auch gegen eine gesetzliche Regelung erheben.

6.) Wie könnte es dazu kommen und durch wen? Wie ist dann die Prozedur beim Verfassungsgericht?

Es würde sich um sehr spezielle Konstellationen handeln, es ist keineswegs sicher, dass es dazu kommen würde. Eine Verfassungsbeschwerde halte ich für unwahrscheinlich, weil allein das betroffene Kind eine Grundrechtsverletzung geltend machen könnte und die vertretungsberechtigten Eltern sicher nicht Verfassungsbeschwerde einlegen würden. Eine so genannte konkrete Normenkontrolle scheint mir auch unwahrscheinlich, weil die Staatsanwaltschaft kaum anklagen könnte, wenn laut ausdrücklicher gesetzlicher Regelung keine Strafbarkeit gegeben ist. Würde das Gesetz allerdings doch in zulässiger Weise vor dem Bundesverfassungsgericht angefochten, dann würde das Gericht insbesondere die Vereinbarkeit mit den Grundrechten prüfen. Es käme also auf die bereits angesprochenen Fragen des Verhältnisses von Religionsfreiheit, elterlichem Erziehungsrecht und körperlicher Unversehrtheit des Kindes an.

7.) Es gibt Stimmen, die fordern, die Beschneidung im Strafrecht bzw. im Zivilrecht zu regeln. Was für einen Unterschied macht es, ob sie im Straf- oder Zivilrecht (wie z.B. im Bürgerlichen Gesetzbuch oder im Gesetz über die religiöse Kindererziehung) geregelt wird?

Die rechtliche Konstruktion der Strafbarkeit ist folgendermaßen: Der Arzt erfüllt durch die Beschneidung in jedem Fall den Tatbestand einer Körperverletzung. Darin unterscheidet sich die Beschneidung nicht von anderen ärztlichen Eingriffen wie beispielsweise krankheitsbedingten Operationen oder Impfungen. Er macht sich aber nicht strafbar, wenn die Körperverletzung mit Einwilligung des Betroffenen geschieht, denn der Eingriff ist dann nicht rechtswidrig. Im Fall der Beschneidung an einem Kind muss die Einwilligung durch die Eltern als die gesetzlichen Vertreter erfolgen. Mir scheint deshalb die einfachste Lösung, die ausdrückliche Zulässigkeit der Einwilligung in die Beschneidung in den familienrechtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu regeln, die sich mit der elterlichen Sorge befassen.

8.) Was für einen Unterschied macht es, ob die Beschneidung durch Erlass eines neuen Gesetzes oder durch Hinzufügung in ein bestehendes Gesetz wie z.B. in das Bürgerliche Gesetzbuch geregelt wird?

Das macht grundsätzlich keinen Unterschied. Entscheidend ist die Frage, welchen Inhalt die Regelung hat. Wenn der Gesetzgeber ausdrücklich bestimmt, dass die Eltern wirksam in eine Beschneidung einwilligen können, also das bestehende Familienrecht insoweit ergänzt, fehlt es an der Rechtswidrigkeit des Eingriffs, was über das Strafrecht hinaus Bedeutung hat.

9.) Im Falle der Regelung in Form eines neuen Gesetzes: Würde der Begriff der Körperschaft des Öffentlichen Rechts fallen? Würden in einem solchen Fall Probleme auf Muslime zukommen, da bei ihnen eine Religionsgemeinschaft in der Rechtsform einer solchen Körperschaft nicht besteht?

Es geht hier um Fragen des Inhalts und der Tragweite der individuellen Religionsfreiheit und des religiösen Erziehungsrechts. Auf die Organisation der Religionsgemeinschaft kommt es deshalb nicht an.

10.) Gerichte greifen im Rahmen ihrer Urteilsfindung häufig auf rechtswissenschaftliche Studien und Gutachten zurück. Es wird gesagt, dass das Thema Beschneidung und ihre rechtliche Bewertung in der Rechtswissenschaft kaum diskutiert worden wären. Holm Putzke habe die Beschneidung 2008 in einem Festschriftenbeitrag zu Ehren seines akademischen Lehrers Rolf Dietrich Herzberg für sich entdeckt. Nach der Meinung der beiden Juristen genügen religiöse Motive für die Rechtmäßigkeit der Beschneidung nicht. Aufgrund der Leerstelle dieser Diskussion in der Rechtswissenschaft sollen ihre Ansichten zu einer „herrschenden Meinung“ erstarkt sein. Stimmt das?

Ganz allgemein und unabhängig von dem konkreten Fall gilt: In der Rechtswissenschaft kommt es in erster Linie auf die Qualität der Argumente an, nicht auf die Anzahl der Rechtswissenschaftler, die einer bestimmten Meinung folgen. Abgesehen davon wird eine so genannte herrschende Meinung zu einer Frage nicht zuletzt auch durch die obergerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung gebildet. Zum Thema Beschneidung existiert eine solche Rechtsprechung nicht. Im Übrigen ist die hinter der strafrechtlichen Beurteilung stehende verfassungsrechtliche Frage des Ausgleichs verschiedener Grundrechtspositionen nicht sehr außergewöhnlich. Eine letztverbindliche Klärung solcher Fragen kann letztlich nur durch das Bundesverfassungsgericht erfolgen.

11.) Zuletzt verhandelte ein Berliner Amtsgericht in einem Zivilprozess über den Fall eines dreijährigen Mädchens, welches auf das Stechen ihrer Ohrlöcher traumatisch reagiert haben soll. Die Eltern machten Schadensersatz geltend. Was halten Sie hiervon? Nimmt die Debatte um rituelle Beschneidung langsam groteske Formen an?

Es war zu befürchten, dass die Argumentation des Landgerichts Köln derartige Blüten treibt.
Das Interview führte Hasibe Dündar