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Kolumnen

Gibt es ein Leben nach dem AKP-Sieg?

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Die Türkei hat gewählt. Sieger und Verlierer stehen fest. Einzig über die Frage, ob der Sieg der AKP grandioser oder die Niederlage der Opposition herber ist, lässt sich streiten.

Wie geht es jetzt weiter? Gibt es für die Oppositionellen ein Leben nach dem Sieg der AKP? Wenn ja, wie sieht dieses Leben aus?

Die Frage nach dem Leben danach entstammt der Religion. Die Frage nach einem Leben nach dem Tod ist die zentrale Frage – zusammen mit der Frage nach der Existenz Gottes.

Diese Frage ist so alt wie die Menschheit. Und in den allermeisten Kulturen gibt es einen Glauben an ein Leben nach dem Tod.

Jenseitsglauben der Muslime

Für Muslime ist diese Frage ein fester Bestandteil ihres Weltbildes. Nach dem Koran ist es sogar so, dass das Jenseits mit einem Traum verglichen wird und das Leben eigentlich erst nach dem Tod beginnt.

In der islamischen Theologie ist es so (zumindest nach dem, was bei mir aus der Koranschule damals hängengeblieben ist):

Wenn ein Mensch stirbt, so kommen zwei Engel zu ihm. Sie stellen grundsätzliche Fragen: Welcher Religion gehörtest du an, welchem Buch folgtest du. Diejenigen, die ein rechtschaffenes Leben geführt haben, würden diese Fragen einfach beantworten können. Den anderen werden die Schweißtropfen auf der Stirn zusammen laufen.

Danach beginnt das lange Warten. Die, die diesen Test bestehen, fristen ein angenehmes Dasein, sie blicken aus ihren Gräbern auf das Paradies. Die anderen, drücken wir es so aus: Man möchte nicht in ihrer Haut stecken.

Zum Ende der Welt, wenn die Apokalypse, das Weltende gekommen ist und alle Menschen gestorben sind, so werden die Toten alle auferstehen und am jüngsten Tag ihrem Schöpfer gegenüberstehen.

Dann wird entschieden. Entweder geht es in die Hölle. Oder ins Paradies. Beide haben verschiedene Abstufungen, klassenlose Gesellschaft ist nicht – aber dies auszuführen, würde hier an dieser Stelle zu weit führen. Was uns hier interessiert ist die Frage, was für ein Leben nach dem AKP-Sieg auf die Oppositionellen wartet.

Was macht Erdoğan?

Werden die AKP-Machthaber, genauer gesagt Erdoğan, sagen: „Nun haben wir es allen gezeigt, die Wahl ist gewonnen, wir sitzen mindestens bis 2019 fest im Sattel“? Oder wird er sagen: „Jetzt haben wir die Gelegenheit dazu, wir machen auch die restliche Opposition platt“?

Falls er sich für die zweite Variante entscheidet, so gibt es praktisch nichts und niemanden mehr, der das verhindern könnte. Die Justiz ist fest in seiner Hand, nach dem 1. November 2015 mehr denn je, die Opposition opponiert einander mehr als der Regierungspartei, wie man nach der Wahl am 7. Juni gesehen hat, und auch der größte Block der Bevölkerung steht hinter der AKP, egal, was sie macht.

Die AKP könnte ab morgen alle Richter durch Fleischer ersetzen lassen, alle missliebigen Zeitungen verbieten und ihre Verlage Lucky Luke-Comics drucken lassen – die Wähler würde das nicht weiter stören, solange die AKP Straßen baut und ihre Wähler das Gefühl haben: „Es trifft mich ja nicht, Gott sei Dank, es trifft nur den Nachbarn.“

Auch wenn Ministerpräsident von Erdoğans Gnaden Ahmet Davutoğlu nach der Wahl versöhnliche Töne von sich gegeben hat, alle wissen, dass der wahre Machthaber Erdoğan ist, und der Mann kann nachtragend sein, das hat man gesehen.

Oppositionsführer als Niederlagensammler

Um auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen: Das Leben geht irgendwie weiter. Wie es der Religion nach ein Leben nach dem Tod gibt, so gibt es auch nach dem Sieg der AKP ein Leben danach. Der Unterschied zwischen dem Leben nach dem Tod und dem Leben nach dem AKP-Sieg ist der, dass die Menschen im Jenseits einem gerechten Schöpfer gegenübertreten, hier treten sie einem selbstgerechten Präsidenten gegenüber. Der Schöpfer ist barmherzig, hier haben die Oppositionellen mit einem rachsüchtigen Machiavellisten zu tun.

Es dürfte spannend bleiben. Entweder gehen sie auf Erdoğan zu und vergessen alles, was bisher geschehen ist, aber um den Preis der Selbstaufgabe. Oder aber sie sind Erdoğan ausgeliefert.

Trotzdem geht das Leben weiter. Hoffnung gibt es immer. Aber damit Hoffnung einigermaßen realistisch ist, sollte die Opposition auf den Patientenstuhl gesetzt werden.

Wollen denn ihre Führer als Niederlagensammler weitermachen? Wissen sie denn nicht, dass es keinen Preis für denjenigen gibt, der die meisten Niederlagen vorweisen kann?