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Politik

Gibt es in Deutschland bald keine Nazis mehr?

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Nach mehr als einem Jahr an fruchtlosen Debatten hat die Innenministerkonferenz in Rostock am Mittwoch doch noch Grünes Licht für einen Antrag auf Verbot der NPD gegeben. Die Freude der Öffentlichkeit darüber ist dennoch eher verhalten. (Foto: dpa)

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Gibt es in Deutschland bald keine Nazis mehr?
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Was lange währt, wird endlich gut? Wenn dieses Sprichwort Gültigkeit haben sollte, dürfte das Verbot der neonationalsozialistischen „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD) nur noch eine Formsache sein. Vor etwas mehr als einem Jahr, nach der Aufdeckung der NSU-Terrorzelle, hatten die ersten Innenminister öffentlich die Forderung nach einem neuerlichen Anlauf für das Verbot der rechtsextremistischen Partei erhoben.

Am gestrigen Mittwoch sprachen die Innenminister der Länder sprachen sich bei einem Treffen in Rostock erstmals geschlossen dafür aus und wollen ihren Ministerpräsidenten die Empfehlung geben, ein Verbotsverfahren in die Wege zu leiten. Die 16 deutschen Ministerpräsidenten könnten nun bereits am heutigen Donnerstag in Berlin ein Verbotsverfahren gegen die NPD auf den Weg bringen.

Der erste Versuch, die Nazipartei zu verbieten, war 2003 aus formalen Gründen gescheitert. Nachdem eine Reihe von Konfidenten mehrerer Verfassungsschutzbehörden in hohen Positionen der Partei enttarnt worden waren und die Antragsteller der Aufforderung des Bundesverfassungsgerichtes nicht nachgekommen waren, dem Senat mitzuteilen, wer denn in der NPD nun authentischer Rechtsextremist wäre und wer inkognito einem Nebenjob beim Inlandsgeheimdienst nachgehe, sah dieser sich außerstande, das Verfahren weiterzuführen.

Diesmal soll alles anders werden. Die für den Verfassungsschutz zuständigen Innenminister hatten sich im Frühjahr darauf verständigt, die V-Leute in der NPD-Spitze „abzuschalten”, wie es im Geheimdienstjargon heißt. Außerdem soll sich der Verbotsantrag diesmal auf frei zugängliche Quellen wie Internetseiten oder öffentliche Auftritten stützen, welche die Verfassungsfeindlichkeit der Partei belegen sollen. Rund 1000 Seiten seien dabei zusammengekommen, heißt es in Medienberichten.

„Aktiv kämpferische Haltung“ muss nicht nachgewiesene Gewalttätigkeit umfassen

Die Reaktionen auf die Ankündigung eines neuerlichen NPD-Verbotsverfahrens in der Öffentlichkeit sind bislang eher verhalten. Einige Bedenken richten sich auf mögliche Beweisschwierigkeiten beim Nachweis einer „aktiv kämpferischen, aggressiven Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung“. Der Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer weist gegenüber der „Deutschen Welle“ darauf hin, es müsse Belege für antidemokratische Aktivitäten „in Wort und Tat” geben. Es gehe um den Beweis, dass die NPD-Ziele mit Gewalt durchgesetzt werden sollen, so Neugebauer.

Ein fehlender Nachweis für die Steuerung des NSU-Terrors oder anderer neonazistischer Gewaltakte müssen diesem Beweis jedoch nicht zwingend entgegenstehen. Die bisher ausgesprochenen Parteiverbote durch das BVG haben – sofern nicht wie in den Fällen einiger neonazistischer Gruppen wie FAP oder „Nationalistische Front“ bereits die Parteieigenschaft verneint wurde – durchaus bereits erkennen lassen, dass auch eine noch nicht nachweisbar manifestierte, unmittelbare Bereitschaft, Gewalt einzusetzen, das Verbot einer verfassungswidrigen Partei nicht jedem Fall hindert.

Im Fall des Verbots der rechtsextremistischen „Sozialistischen Reichspartei“ (SRP) im Jahre 1952 reichte neben der Analyse der Propaganda und der Ziele im Wesentlichen auch eine undemokratische Binnenverfassung der Partei für den Nachweis der Verfassungswidrigkeit aus. Dies dürfte der formal demokratisch organisierten NPD nicht nachzuweisen sein.

Umso mehr könnten hingegen die Rechtssätze relevant werden, die das BVG 1956 im Verbotsurteil gegen die KPD begründet hatte. Art. 21 Abs. 2 GG verlange demnach zum Nachweis der aktiv-kämpferischen Haltung gegen die FDGO nicht wie § 81 StGB ein konkretes Unternehmen; es genüge, wenn der politische Kurs der Partei durch eine Absicht bestimmt sei, die grundsätzlich und dauernd tendenziell auf die Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet wäre.

Eine Partei sei demnach schon dann verfassungswidrig, wenn sie eine andere soziale und politische Ausprägung der freiheitlichen Demokratie als die heutige in der Bundesrepublik deshalb erstrebe, um sie als Durchgangsstadium zur leichteren Beseitigung jeder freiheitlichen demokratischen Grundordnung überhaupt zu benutzen. Zu den Absichten, die eine Partei verfassungswidrig im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG machen, gehören nach dem Spruch des BVG zum Verbot der KPD nicht nur diejenigen, die sie auf jeden Fall auszuführen gedenke, sondern auch diejenigen, die sie nur verwirklichen wolle, wenn die Situation dafür günstig sei.

Ein schwerwiegenderes Problem als der Nachweis einer aktiv-kämpferischen Haltung der NPD gegen die Freiheitlich-Demokratische Grundordnung dürfte die Angemessenheitsprüfung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sein. Dieser habe in der Vergangenheit die Zulässigkeit der Ultima Ratio in Form eines Parteiverbots auch an den Chancen einer Partei bemessen, „demokratiefeindliche Ziele politisch durchzusetzen”. Und die sind im Falle der NPD aktuell und bis auf weiteres trotz der Verankerung in zwei Landtagen eher bescheiden.

Verboten würden nur die „dummen“ Nazis

Aber selbst wenn der Verbotsantrag diesmal von Erfolg gekrönt sein sollte, würde das nicht bedeuten, dass es dadurch in Deutschland keine Nazis mehr geben würde. Es würde lediglich eine Partei verschwinden, deren Funktionäre bereits geistig oft so stark beschränkt sind, dass sie bereits aus purem Unvermögen heraus nicht in der Lage sind, ihre verfassungswidrigen und rassistischen Ziele in taktisch erfolgversprechender Weise zu tarnen.

Die NPD war weitgehend so etwas wie die parteipolitische Fassung von kreuz.net – in der in der Unvorteilhaftigkeit ihrer Selbstdarstellung und im Grad der Gehässigkeit ihrer Propaganda erschien sie dem Normalbürger als so stark abstoßend, dass sie mit Ausnahme einiger Landstriche im Osten, wo autoritäre und fremdenfeindliche Einstellung bis 1989 unter dem Banner des DDR-Sozialismus kultiviert worden waren, kaum noch irgendwo über nennenswerten Wählerzuspruch verfügte.

Ein Verbot der unverhohlen rassistischen und neonationalsozialistischen Partei birgt auch das Risiko in sich, dass Politik, Medien und Zivilgesellschaft sich in falscher Sicherheit wiegen oder sogar das Problem des Rechtsextremismus für weitgehend gelöst halten könnten. Die Optik der Verfassungsschutzberichte würde sie bestätigen: Die Republikaner wurden bereits 2007 nach innerparteilichen Weichenstellungen politisch resozialisiert und aus den Berichten herausgenommen, die DVU löste sich auf – wenn die NPD nun verboten würde, würden nur noch Kleinstgruppen und Kameradschaften als Beobachtungsobjekte im Bereich „Rechtsextremismus“ übrigbleiben.

Aus „Raider“ wurde „Twix“ – „Ausländer raus“ heißt jetzt „Islamkritik“

Im Gegensatz dazu liefern immer mehr Studien wie kürzlich jene der Friedrich-Ebert-Stiftung den wissenschaftlichen Nachweis für das, was man mit Blick auf die Inhalte von Kommentarbereichen und facebook-Pinnwänden längst ahnt: Nämlich dass rechtsextremistische Denkmuster in der Bevölkerung nicht ab-, sondern massiv zunehmen.

Stefan Hebel illustriert in seinem Leitartikel für die „Frankfurter Rundschau“, dass die NPD nur die Letzten von Gestern sammle, während eine modernisierte Variante rechtsextremen Denkens längst mit Erfolg den Anschluss an die Mitte der Gesellschaft finde: „Die größten Chancen, den Virus des Ressentiments bis in die Mitte der Gesellschaft zu verbreiten, haben heute nicht bekennende Nazis, sondern die selbst ernannten Islam-Kritiker, die die Grenze zwischen geächtetem Extremismus und geachtetem Establishment nicht selten überschreiten. Es sind jene, die Zuwanderung und islamistischen Extremismus zum Feindbild mischen. Jene, die uns suggerieren, der „Feind“ – der sich nach dieser Logik in jedem türkischen Nachbarn materialisieren kann – sei nur durch eine ethnische Bereinigung Europas zu bekämpfen.“

Erst 2011 wurde die Islamfeindlichkeit erstmals im Bundesverfassungsschutzbericht überhaupt als rechtsextremistisches Agitationsfeld erwähnt – ohne jedoch konkrete Namen abseits der ohnehin bekannten und stigmatisierten „üblichen Verdächtigen“ aus NPD und Pro NRW zu nennen. Mit Blick auf islamfeindliche Blogs wie „Politically Incorrect“ oder Parteien wie „Die Freiheit“ wurde bislang stets abgewiegelt, indem man eine angeblich „proamerikanische“ oder „proisraelische“ Haltung ihrer Protagonisten als Alibi dafür anerkannte, nicht zum traditionellen Rechtsextremismus zu gehören.

Dass die durch ein Verbot der NPD freiwerdenden Kapazitäten beim Verfassungsschutz künftig für die Beobachtung des islamfeindlichen Spektrums genutzt werden könnten, dürfte sich angesichts des langsamen Mahlens dieser Mühlen als frommer Wunsch erweisen.

Last-Minute-Skandal in Thüringen: Verfassungsschutz schafft NPD-Infrastruktur

Zumindest ein V-Mann scheint indessen ohne Zweifel die NPD verlassen zu haben. Im Schatten des Beschlusses der Innenminister berichtete das Portal „Endstation Rechts“ über eine weiterer pikante Enthüllung aus Thüringens Verfassungsschutzkreisen. In einem Interview mit dem MDR offenbarte der frühere PDS-Stadtrat (1994-1995) und spätere NPD-Kreisvorsitzende Kai-Uwe Trinkaus, er sei insgesamt fünf Jahre (2005-2010) V-Mann des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz unter dem Decknamen „Ares“ gewesen. Sicherheitskreise bestätigten die Meldung.

Nach eigenen Angaben habe Trinkhaus für seine Spitzeldienste monatlich einen „Lohn“ von bis zu 1.000 Euro bezogen – und dieses Geld in den Aufbau der Organisationsstruktur des NPD-Kreisverbandes gesteckt. Damit sei die rechtsextreme Zeitung „Bürgerstimme“, aber auch die Miete für die Parteiräumlichkeiten bezahlt worden. Weitere Gelder seien außerdem in die dubiosen Vereine geflossen.

Offenbar habe Trinkaus aber noch weit mehr vom Inlandsgeheimdienst bezogen als nur Geldzuwendungen. Nach einem Überfall auf eine bei Neonazis beliebte Kneipe veröffentlichte der frühere NPD-Strippenzieher eine Liste mit den Namen der elf Verdächtigen im Internet. Die Personalien, so sagt Trinkaus, habe er aus dem Amt bekommen. Nach Angaben des Blogs „Publikative“ wurden damals Ermittlungen gegen Unbekannt eingeleitet, um herauszufinden, wer Trinkaus die Liste zugespielt habe. Alle Ansätze seien aber im Sande verlaufen.