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Kolumnen

Gıda braucht man, Pegida nicht

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Zwar wird immer noch überproportional viel über Pegida berichtet, aber wer die Entwicklung der letzten Wochen verfolgt hat, konnte doch eine Schwächung der angeblich „islamkritischen Bewegung“ feststellen. Wer die verharmlosende Bezeichnung „islamkritische Pegida“ für das islamophobe Bündnis erfunden hat, kann nicht mehr ausgemacht werden – aber der Euphemismus geistert nach wie vor durch die Medien.

Und der MDR hält Pegida weiterhin die Stange. Nach der Spaltung der Bewegung in Dresden und dem massiven Einbruch der Teilnehmerzahlen wird in MDR info wieder von wöchentlich wachsenden Teilnehmerzahlen bei den PEGIDA-Demos am Montag berichtet. Beobachter und Gegendemonstranten in Dresden sind nicht sicher, ob die zuletzt angegebene Zahl von 6000 stimmt. Auffällig anders ist der Umgang mit anderen Protesten.

Was man heutzutage alles ernst zu nehmen hat

Im Vergleich zum sogenannten Friedenswinter, der laut Medien auch von Rechten und Verschwörungstheoretikern unterwandert zu werden droht, erfuhr man von Pegida auch deren Inhalte und Thesen. Diese müsse man nämlich ernst nehmen, so Politik und Medien im Gleichklang – allerdings standen da nicht die sozialen Sorgen der Teilnehmenden in Dresden & Co. im Vordergrund. Nein, vor allem die rassistischen Themen wurden aufgegriffen: Umgang mit Flüchtlingen und Asyl, Einwanderung, Islam und eben die These von einer Islamisierung fand weite Verbreitung.

Hingegen fand die Großdemonstration am 18. Januar in Berlin im Rahmen der Grünen Woche, die – alles andere übertreffend – laut Medienberichten 50.000 Menschen auf die Straße brachte, die für eine Agrarreform und gegen Abkommen wie TTIP demonstrierten, weit weniger mediale und politische Resonanz. Sie blieb zwar nicht unerwähnt, aber von Ernstnehmenmüssen der Sorgen der bundesweit Angereisten war da nicht die Rede.

Trotz der großen Aufmerksamkeit, die zunächst für Ermutigung und einigen Zulauf sorgte, und unter anderem durch innere Querelen und allzu offensichtliche Nazi-Anleihen scheint sich die sog. Pegida-Bewegung zu zerlegen. Der Rassismus bleibt, wie wir kürzlich wieder in Dresden sehen konnten, als einige Pegida-Demonstranten auf das Flüchtlingscamp vor der Semperoper losgingen. Auch hier griffen die großen (lokalen) Medien vor allem O-Töne von den aggressiven Angreifern und deren Sympathisanten auf, Flüchtlinge und deren Unterstützer kamen kaum zu Wort und deren Sicht der Dinge unbeleuchtet – das holen einige freie Radios nach, wie beispielsweise Radio Corax. Die Proteste gegen die NPD-Kundgebung in der Nähe der Flüchtlinge vom 2. März sowie die Demonstrationen gegen Pegida finden in den Mainstreammedien weit weniger Erwähnung.

Gida gab’s in Berlin schon viel früher

In Berlin sieht man das alles vergleichsweise gelassen, zu normal ist der gemischte Alltag. Wenn letzteres auch nicht in allen Bezirken der Stadt die Normalität darstellt – es gibt No-Go-Areas für Muslime, Schwarze, Juden – so gibt es Anknüpfungspunkte, die sich an zwei Namensvettern herauskristallisieren: Öz-Gıda und Euro-Gıda. Ausgerechnet die Endsilbe –GIDA, die in einigen Städten als Ableger von Pegida missverstanden werden könnte, steht für das gelungene Miteinander. Während Özgıda mehr auf Familienbetrieb setzt, erweitert die Supermarktkette Eurogıda ihre Filialen in jedem Bezirk Berlins.

Die Anziehungspunkte für alle bieten frische Lebensmittel, mediterrane Kost, alte Hausmittelchen wie Natron und türkische Spezialitäten für den bezahlbaren Küchenalltag. Das türkische Wort „Gıda“ bedeutet „Nahrungsmittel. Gıda braucht man also, Pegida nicht.