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Kultur/Religion

„Wenn er sie hätte, könnt’ er Gott sein?“

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Seit die Literaturwissenschaft begonnen hat, sich intensiver mit dem Verhältnis des deutschen Nationaldichters Johann Wolfgang von Goethe zum Islam zu befassen, wird dessen immer tiefere Verbundenheit mit der Religion offenbar. (Foto: rtr)

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Goethe und seine tiefe Beziehung zum Islam
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Herder, Schiller, Novalis, Rückert, Lessing und Kant gehören zu den vielen Poeten und Philosophen, die sich nach der Aufklärung mehr der weniger intensiv mit dem Islam beschäftigten. Doch die Art der Beschäftigung Goethes mit der Religion des Propheten kann und darf mit keinem dieser Poeten und Philosophen verglichen werden. Sie war mehr und tiefer als das bloße Toleranzbestreben der Aufklärungsbewegung, so Katherina Mommsen, die Verfasserin des Buches „Goethe und der Islam“.

Es ist mittlerweile in der Literaturwissenschaft bekannt, dass Goethe sich mit dem Koran auseinandersetzte. Im ersten Kontakt mit dem Koran las Goethe ihn zwei Mal durch und fertigte Exzerpte über Passagen an, die für ihn relevant waren oder ihm besonders gefielen. In diesen von dem noch jungen Goethe selbst ausgewählten Versen ging es hauptsächlich um den Glauben an den einen Gott, um Naturoffenbarungen, die Prädestinationslehre, das sich Ergeben in Gottes Willen, Wohltätigkeit etc.

Weiter suchte sich Goethe vor allem die Verse aus, in denen der Prophet Muhammad sich bewusst wurde, dass er ein Gesandter Gottes war und seine Botschaft zu verkünden hatte. In diesen Versen wird der Status des Propheten Muhammad erläutert und bekräftigt, dass er nur ein Gesandter und ein Prediger ist und Wunder nur nach dem Willen Gottes vollbracht habe:

– „So ist auch Muhammad unter euch nichts als ein Gesandter, und es sind auch schon viele Gesandte vor ihm gestorben.“ (3/138)

– „Zeichen stehen bei Gott, ich bin nur ein offenbarer Prediger.“ (29/49)

– „Doch du bist nur ein Prediger und ist einem jeden Volk sein Lehrer zur Unterweisung gegeben worden.“ (13/8)

Diese Verse scheinen Goethe aus einem bestimmten Grund sehr interessant zu sein. Jesus Christus, der im Christentum sowohl als Prophet als auch als Mensch gewordene Inkarnation Gottes angesehen wird, hat im Islam denselben Status wie Muhammad – „Nur ein offenbarer Prediger, der zu den Völkern herabgesandt worden ist, um die Lehre Gottes zu vermitteln“.

Einige Jahre nach seinem ersten Koranstudium im Jahre 1771 versucht Goethe im Gespräch mit Lavater, dem Zürcher Theologen, in Anlehnung an Sure 29/49 zu eruieren, ob einzig Christus von uns als Verkünder Gottes angesehen werden dürfe oder ob mehreren dieses Amt zuzuerkennen sei. Denn Goethe war fest davon überzeugt, dass Gott jedem Volk einen Propheten in seiner Sprache gesandt habe.

Goethe gefiel die Art und Weise der Verkündung der Gotteslehre im Islam. Der Prophet verzichtete während seiner Verkündigung nicht auf weltliche Mittel, was ein Beweis für die „Weltzugewandheit“ des Islam war. Somit fühlte sich Goethe in seiner eigenen Auffassung vom Diesseits bestätigt.

Das Preislied

Unter dem Einfluss des Sturm und Drangs schrieb Goethe in seinen jungen Jahren ein Preislied mit dem Titel „Mahomets Gesang“.

In diesem Preislied versucht Goethe, symbolisch einen Weg des Propheten zu zeichnen, der auf seinem Weg zum Ozean, also auf dem Weg zu Gott, alle Quellen, Bäche und Flüsse mit sich nimmt.

Mahomet (d.h.: der Prophet Muhammad) übernimmt hier die Führung, wenn er mit seiner positiven Anziehung alles in seiner Umgebung zum Ozean mitnimmt. Der Ozean, als letztes Ziel und Erlösung für alle Natursymbolik, wird hier mit Gott gleichgesetzt. In diesem Lied benutzt Goethe Natursymbolik in der Metapher des Stroms und beschriebt somit das Leben Muhammads von seiner Geburt an bis zu seinem Tod in zahlreichen Naturbildern.

Die Hymne

Ein weiteres Fragment aus seiner Jugendzeit ist eine Hymne. In dieser Hymne schildert Goethe das Lebensgefühl des Propheten: Mahomet verweilt in der Natur und führt ein Selbstgespräch. Genau wie in der 6. Sura des Korans dargestellt wird, erzählt Goethe hier die Betrachtung der Natur durch Mahomet. Er ersetzt hier den Namen Mahomet mit dem im Koran vorkommenden Abraham und stellt eine Analogie dar. Dieser Mahomet versucht, genau wie im Koran Abraham auch, die „freundliche“ Sonne bzw. die „aufgehende“ Sonne, den „aufgehenden“ Mond, die Sterne, den Himmel, die Erde etc., alles, was er zu sehen bekommt, als Erscheinungsformen der Größe des einen Gottes anzusehen.

Genau wie alles erschaffene auf dieser vergänglichen Welt verschwinden jedoch auch diese nach einem kurzen Aufenthalt, was zur Distanz von diesen Objekten führt: „Ich liebe nicht diejenigen, die untergehen” (siehe auch Sura 6 Vers 76). Nach diesen Betrachtungen aber finden beide Protagonisten – sowohl Mahomet im Gedicht Goethes als auch Abraham im Koran – den wahren Weg zum All-Erschaffenden. Beide gelangen zu der Erkenntnis, dass es nur einen Gott geben kann, der alles erschaffen hat.

Im weiteren Verlauf der Hymne stört Halima, die Pflege- und Stillmutter Mahomets, diesen in seinen Reflexionen und glückseligen Empfindungen. Hier versucht Mahomet, seine Amme von der Einheit Gottes zu überzeugen.

Halima: „Mahomet. Ängstige mich nicht, lieber Sohn, ich suche dich von Sonnen Untergang. Setze deine zarte Jugend nicht den Gefahren der Nacht aus. So allein auf dem Felde, das keine Nacht für Räubern sicher ist.“

Mahomet: „Ich war nicht allein. Der Herr, mein Gott, hat sich freundlichst zu mir genaht.“

Halima: „Sahst du ihn?“

Mahomet: „Siehst du ihn nicht? An jeder stillen Quelle, unter jedem blühenden Baum begegnet er mir in der Wärme seiner Liebe. Wie dank’ ich ihm! Er hat meine Brust geöffnet, die harte Hülle meines Herzens weggenommen, dass ich sein Nahen empfinden kann.“

(Anlehnend an die Sura 14/19 „Sehen sie denn nicht, dass Gott die Himmel und die Erde in Wahrheit erschaffen hat?“)

Halima: „Wer ist dein Gott, Hobal oder Al Fatas?“

Mahomet: „Armes unglückliches Volk, das zum Steine ruft: Ich liebe dich! Und zum Ton: Sei du mein Beschützer! Haben sie ein Ohr fürs Gebet, haben sie einen Arm zur Hilfe?“

(Anlehnend an die Sura (26/69-74) „Und nun trage ihnen diesen beispielhaften Bericht über Abraham vor. Als er zu seinem Vater und zu seinem Volk sagte: “Was betet ihr da an?“ Sie sagten: „Wir beten Götzen an; und (obwohl sie aus Holz und Stein gemacht sind) sind wir ihnen ganz und gar ergeben (denn sie sind ja unsere Gottheiten.)“ (Abraham) sagte: “Hören sie euch, wenn ihr sie anruft? Oder nützen sie euch (wenn ihr sie anbetet), …“; darüber hinaus an die Sura 5/76 „Wollt ihr anstelle von Gott etwas anbeten, was weder die Macht hat, euch zu schaden noch zu nützen“)

Halima: „Hat dein Gott denn keine Gesellen?“

Mahomet: „Wenn er sie hätte, könnt’ er Gott sein?“

(Anlehnend an die Sura 21/22: „Tatsache ist doch, wenn es in den Himmel und auf den Erden irgendwelche Gottheiten außer Gott gäbe, dann wären (diese) beiden (Sphären) gewiss ins Verderben geraten.“)

Diese Fragmente und das Detailwissen z.B. über die Amme Halima zeigen, dass sich Goethe neben dem Koran auch mit dem Leben des Propheten befasst hat und deshalb über die Erzählungen und über den Gottesgesandten Bescheid wusste.

Die Übersetzung von „Le fanatisme ou Mahomet le Prophète“

Die Beschäftigung Goethes mit dem Islam war kein Geheimnis. Der Islam blieb ihm bis zu seinem Tod ein sehr tiefes und interessantes Phänomen. Er zeigte seine Bewunderung, in dem er immer wieder Verse aus dem Koran im Rahmen von Feierlichkeiten zum Ausdruck brachte oder an seine Besucher abgeschriebene Koranzitate verschenkte.

Dem Herzog Carl August von Sachsen-Weimar war die Beschäftigung Goethes mit dem Islam bekannt. Er beauftragte Goethe, eine Verstragödie „Le fanatisme ou Mahomet le Prophète“ des französischen Schriftstellers und Philosophen Voltaire aus dem Jahre 1741 zu übersetzen. Diese Tragödie jedoch entsprach in keiner Weise nicht dem Muhammad-Bild Goethes.

In dieser Verstragödie beabsichtigte der fanatische Atheist und Antisemit Voltaire eine Kritik der christlichen Religion. Aus Angst um seine Privilegien innerhalb der Oberschichtkreise formulierte er seine Kritik jedoch so, dass er sich den Stoff für sein Drama nicht aus christlichem Bereich beschaffte, sondern aus dem islamischen. Als Instrument hierfür benutzte er den Propheten Muhammad.

Goethe hatte die Qual der Wahl: Entweder musste er das von Voltaire verfasste Stück, in dem der Prophet als ein widerwärtiger und egoistischer Lügner dargestellt wird, übersetzen und somit das aus seiner Sicht widersprüchliche und feindselige Muhammad-Bild ins Deutsche übertragen oder er konnte den Wunsch des Fürsten nicht erfüllen. Er durfte nicht zu emotional handeln.

Doch der kluge Goethe fand einen Ausweg aus diesem Dilemma: Er veränderte hauptsächlich die Stellen, in denen der Prophet als widerwärtig und abstoßend dargestellt wurde und schützte somit den fanatischen Religionsfeind Voltaire mehr oder minder vor sich selbst.

Goethe begann in seiner Übersetzung erst mit der Auslassung des Haupttitels des Stücks, „Le fanatisme“. Um das Propheten-Bild so positiv wie möglich darzustellen, bediente sich Goethe aller erdenklichen Überarbeitungstechniken, von Auslassungen über starke Umgestaltungen bis hin zu Ergänzungen.

Voltaires Schmähschrift umfassend „gebügelt“

Mahomet stellt in der Urfassung eine egoistische und betrügerische Person dar, die versucht, mit allen Mitteln seine Feinde Zopire und den Scherif von Mekka hinterhältig zu töten, um seine Geliebte Palmira, die Tochter des Scherif von Mekka, heiraten zu können.

Als Mahomet des Betruges und der Lüge bezichtigt wird, bestreitet Mahomet diese nicht und rechtfertigt sich wie folgt:

„Die Menschen bedürfen des Irrtums; meine Lehre – ob richtig oder falsch- ist notwendig.“ Und „Mein Triumph gründet sich stets auf den Irrtum.“

In seiner Übersetzung versucht Goethe hingegen, den Propheten in diesem Teil als Psychologen darzustellen, der die Menschen betrügt, um ihnen eine Hilfe zu sein:

„Wer sie [die Menschen] und ihr Bedürfniß kennt

Und dieß befriedigt, der betriegt sie nicht.

Sie sehnen sich nach neuem Gottesdienst;

Der meine wird ihr Herz erheben.

Das Bedürfen sie.‘“

Das Zitat „Mein Triumph gründet sich stets auf den Irrtum“ ließ Goethe ganz weg.

Wie dieser Dialog zwischen Mahomet und Zopire wurden auch andere Stellen in dieser Tragödie von Goethe stark überarbeitet. Im Gegenteil zum Original von Voltaire erscheint Mahomet bei der Übertragung in unvergleichlich würdevollerer Weise auf. Die Herabwürdigung in Voltaires Stück gegenüber dem Propheten Muhammad war so unerträglich, dass es Goethe schwer fiel, die gesamte Tragödie zu übertragen. Deshalb legte Goethe bei der Übersetzung vor allem auf die im Stück beschriebene Liebesbeziehung Wert, um die Diffamierungen zu reduzieren.

Es ging Goethe hauptsächlich darum, das Schmähstück so umzugestalten, dass zum einen der Herzog nichts bemerkt und zum anderen der Prophet Muhammad nicht diffamiert wird. Er verehrte den Propheten Muhammad nämlich so tief, dass er ihn sogar als „Oberhaupt der Geschöpfe“ betrachtete. Deshalb war es unmöglich für Goethe, dieses Stück aus dem Französischen ohne Hinzudichtungen und Auslassungen direkt zu übertragen.