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Kolumnen

Es geht nicht nur um Milliarden, sondern auch um die Geostrategie

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Auf einer meiner letzten Reisen nach Istanbul begegnete ich Reisegruppen aus Griechenland. Sie machten auf mich den Eindruck von armen Verwandten. Die Lautstärke, mit der sie sich unterhielten, verriet Unsicherheit, ja Unwohlsein. Im Vergleich zum Stadtzentrum von Istanbul wirkt der Innenbereich von Athen, abgesehen vom Syntagma-Platz mit dem Parlament, das jedes zweijährige Kind von der Fernsehberichterstattung der letzten Monate her mittlerweile kennt, geradezu ärmlich. Die Griechen sind große Überlebenskünstler. Keine Statistik erfasst wirklich, wie es ihnen geht. Denn sie sind nicht nur die Bewohner eines Reiches von Inseln, sondern haben viele Kontakte auf der ganzen Welt.

Griechenland ist ein schwieriges Land, es hat sich zum internationalen Störenfried entwickelt, weil es keinen Frieden mit sich macht, zu keiner inneren Befriedung findet. Trifft man in Deutschland oder irgendwo auf der Welt auf einzelne Griechen, sind es liebenswerte Menschen, sehr oft in ihrem Beruf überdurchschnittlich erfolgreich. In der alten Heimat sieht es ganz anders aus. Ich befürchte, dass sich daran auf absehbare Zeit wenig ändern wird. Man müsste den griechischen Staat von unten her neu aufbauen, seiner Eliteklasse vermitteln, dass es neben dem Streben nach Reichtum auch eine staatspolitische Verantwortung gibt. Man müsste das Land insgesamt so attraktiv machen, dass auch viele heimkämen, die gezwungenermaßen jetzt ihr Glück im Ausland versuchen. Daran haben sich bereits vor knapp 200 Jahren die Bayern verhoben, die für das moderne Griechenland nicht nur einen König stellten, sondern ihm auf seiner Reise nach Süden auch einen Beamtenapparat beigaben. Viel ausrichten konnte er anscheinend nicht.

„…obwohl alle wussten, dass die Statistiken poliert waren“

Die griechischen Politiker von heute, ob links oder rechts, wissen von ihren Sünden, von ihren Unterlassungen und Vorteilsnahmen. Aber sie behalten bis zum Schluss die Nerven. Denn wie bei der Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich, wie im Zweiten Weltkrieg, wie im blutigen Bürgerkrieg danach, geht es nicht nur ums Sparen, um das Einhalten von Versprechungen, sondern auch um Geostrategie. Durch die Ukraine-Krise ist Griechenland für den Westen wichtiger geworden. Weder die EU noch die USA werden das Land, in dem vor über 2000 Jahren Grundregeln der Demokratie entwickelt wurden, fallen lassen. Gerettet wird Athen auch durch das romantische Griechenlandbild, das in den Köpfen der Westeuropäer seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert herumgeistert. Es trug maßgeblich dazu bei, dass das Land EU-Mitglied wurde. Und niemand schaute genau hin, als Griechenland den Euro bekam, obwohl alle wussten, dass die Statistiken poliert waren.

Aber schon die Küche, der Besuch eines griechischen Restaurants lehrt, dass die Türkei dieses Land über Jahrhunderte hinweg geprägt hat, dass es nicht der Staat ist, den wir aus unseren Geschichtsbüchern herauslesen wollen. Das würde nahelegen, sich in der Region umzuschauen, auf dem Balkan, sich mit Ländern zu vergleichen, die vergleichbar sind. Aber das wollen die stolzen Griechen nicht, sie wollen mehr, sie beanspruchen die „exception“, die Ausnahme, wie die Franzosen zu sagen pflegen. Dass das kleinere EU-Staaten verärgert, die die Sparauflagen der Gemeinschaft seit Jahren befolgen, liegt auf der Hand. Auch die Türkei verfolgt mit Erstaunen, wie wenig EU-Europa von dem Regelwerk hält, das es sich in endlosen Sitzungen seiner Spitzenpolitiker geschaffen hat.

Die Strategie von Merkel ist gescheitert

Im Rückblick hat die EU bei den endlosen Gesprächen mit den Griechen keine gute Figur abgegeben, die Strategie der Bundeskanzlerin ist gescheitert. Missmut hat sich in der Gemeinschaft ausgebreitet, die Wahlbürger sind müde geworden, sie können das Stichwort „Griechenland“ nicht mehr hören. Und das in Zeiten, in denen eine Einigkeit der Europäer angesichts der Herausforderungen vor der Tür dringend geboten wäre!

Mehr denn je zeigt sich, dass die Annahme, die EU werde sich schrittweise zu einem großen politischen Gebilde entwickeln, getrogen hat. Die inneren Abstimmungsprozesse sind viel zu kompliziert geworden, der Einführung einer gemeinsamen Währung ist der politische Wille nicht gefolgt, den Kontinent handlungsfähig zu machen. Europa wirkt nicht nur zerstritten, es ist ein ratloser ökonomischer Riese geworden. Der griechische Störenfried hat dies offenbart.