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Politik

Über die sechs Fehler von Tsipras und seiner Regierung

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Der türkisch-griechische Autor Herkül Millas analysiert die Fehler der griechischen Regierung und warum Syriza an ihnen festhält. (Foto: dpa)

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Die entscheidenden Fehler in der Griechenland-Krise hat nicht das ganze Volk gemacht; die Fehler hat Tsipras gemacht, der Chef der Regierung. Nun, am Ende der Verhandlungen mit Kreditgebern und viel an vertaner Zeit, steht das Land in der schlimmsten Situation der letzten Jahre.

Die Investitionen sind gänzlich zum Stillstand gekommen, die Arbeitslosigkeit auf Rekordhoch, die Steuern werden Bargeldmangels wegen nicht gezahlt, der Staat versucht krampfhaft, die Löhne seiner Beamten zu überweisen, die Menschen ziehen ihr Erspartes von den Banken ab und schaffen es ins Ausland, die Börse rutscht immer weiter ab, die Banken befinden sich in einer existenziellen Krise. Die Regierung dagegen befindet sich in Verhandlungen mit seinen EU-Partnern, seitdem sie gewählt ist. Die Unsicherheit hat die Wirtschaft zum Einsturz gebracht, Hoffnungslosigkeit ist verbreitet.

Ich bin mir bewusst, dass mein Artikel einigen nicht gefallen wird, die sich linken Träumereien hingegeben haben, aber das Leiden des Landes wiegt schwerer als mancher Leute Träumereien und Obsessionen. Aus der Krise sollten alle im eigenen Interesse eine Lehre ziehen.

Die Fehler der griechischen Regierung

Die Fehler von Syriza sind folgende:

1. Sie hat die Position des Landes innerhalb der Europäischen Union falsch eingeschätzt. Vor den Wahlen wurde versprochen, dass sie der EU sagen werde: „Wenn ihr euch mit uns nicht einigt, so verlassen wir die gemeinsame Währung, am Ende werdet ihr die Leidtragenden sein.“ Sie gingen davon aus, dass die EU-Partner diesen Drohungen nachgeben würden. Sie sagten, dass sie das Memorandum zerreißen und ein neues verhandeln werden. Diese Erpressung hat nicht funktioniert. Die Troika (EU, IWF, Europäischer Zentralbank) hielt am Prinzip der fortbestehenden Verantwortlichkeit der Staaten fest. Sie sagten: „Ihr werdet als Land eure Versprechen einhalten. Aber wenn ihr wollt, könnt ihr auch euren eigenen Weg gehen.“ Syriza hat sich nicht als Partner innerhalb der EU gesehen; er hat die anderen Partner als Feinde wahrgenommen. Sie wählte nicht den Kompromiss, sondern den Weg des Konfliktes.

2. Der zweite Fehler betrifft das Feld der linken Dynamiken. Man glaubte, die südeuropäischen Länder, die sich in einer Wirtschaftskrise befinden (Portugal, Spanien, Italien, Zypern, vielleicht Frankreich) würden unter der Führung Griechenlands einen Block bilden. Am Ende passierte das Gegenteil: Alle anderen EU-Länder traten als Block gegen Griechenland auf. Griechenland isolierte sich. Dies war auch unausweichlich, denn die Forderungen und Bedingungen von Syriza waren sinnlos und auch launenhaft.

3. Der dritte Fehler war ihr Anachronismus. Es war utopisch, anzunehmen, ein linkes, ja sogar sehr alt anmutendes marxistisch-linkes Wirtschaftsmodell würde innerhalb der EU funktionieren. Syrizas wirtschaftliche Vorschläge, die sich in Widerspruch zu Grundprinzipien der EU befanden, haben auf beiden Seiten zu einem Dialog der Taubstummen geführt.

4. Vielleicht damit zusammenhängend betraf der vierte Fehler die vorurteilsbeladene Wahrnehmung des Westens. Die Wahrnehmung des Westens als kapitalistisch, neoliberal, imperialistisch, Arbeiterfeind, egoistisch, Grundübel jeglicher Sünden und Leiden führte dazu, dass alles, was vom Westen kam, mit Skepsis aufgenommen und abgelehnt wurde. Als die ständige Wiederholung dieser Argumente auch innerhalb der Bevölkerung Verbreitung fand, hat sie den gesellschaftlichen Wandel zwecks Anpassung an die EU unmöglich gemacht.

5. Vor den Wahlen wurde den Wählern in populistischer Manier vieles Unmögliches versprochen: Man wollte Hunderttausende im Staatsdienst einstellen, Löhne und Renten erhöhen, einen 13. Monatslohn überweisen, Steuern senken, billige Kredite vergeben, eine schnelle Entwicklung gewährleisten, erworbene Rechte nicht antasten. In dem jetzigen Dilemma sucht man einen Sündenbock und einen Fluchtweg.

6. Der gewichtigste Fehler aber besteht darin, die Verhandlungspartner in der EU nicht als Akteure verstanden zu haben. Athen ging davon aus, dass die andere Seite ihre wirtschaftlichen Vorteile im Blick haben, „wegen ein paar Milliarden Euro“ nicht die EU riskieren würde. Hinter dieser Vermutung steht die Annahme, dass Menschen rationale Wesen sind. Die Menschen sind jedoch gefühlsbeladene Wesen und verhalten sich nicht immer auf der Grundlage ökonomischer Vorteile. Man hatte nicht vorhersehen können, dass die anderen zu Feinden werden, wenn man sie mit Etiketten wie Imperialisten, neoliberale Aussauger, Diebe, Sadisten, Rassisten und speziell die Deutschen als „Nazis“ angreift und sie zu erpressen versucht. Man nennt dies auch eine „sich selbst erfüllende Prophezeiung“. Wenn du an etwas glaubst, dann wirst du es auch so erleben. Die griechische Regierung hat viele Freunde verloren, sich in die Isolation hineinmanövriert. Sie hat nicht daran gedacht, dass der Westen nicht nur seine materiellen Vorteile im Blick hat, dass sie auch Prinzipien im Auge behält.

Warum wurden diese Fehler begangen?

Ohne die wahren Gründe für die Fehler verstanden zu haben, wird weder eine Lösung gefunden noch die Wiederholung der Fehler vermieden werden können. Drei Annahmen, die miteinander zu tun haben, können die falschen Entscheidungen sowohl vonseiten Syrizas als auch die der Wähler erklären.

Erstens: Die Gesellschaft möchte die Verantwortung für die wirtschaftliche Krise nicht übernehmen. Die Schuldigen für den falschen Wohlstand, der mit Krediten finanziert wurden, hat man im Westen gefunden. Infolgedessen hat man nicht eingesehen, dass man sich ändern muss; man erwartete stattdessen eine Haltungsänderung im Westen und Fortsetzung der Hilfen.

Zweitens: eine utopische linke Ideologie. Man glaubte, es reiche völlig aus für eine gute Entwicklung, wenn es eine linke Regierung gibt; man nahm an, das ginge auch in einer sonst „liberalen“ EU. Ein erfolgreiches linkes Wirtschaftsmodell fand man nicht.

Drittens ist anzuführen, dass einige notwendige Strukturreformen wichtige Interessengruppen gestört haben. Besonders Staatsbeamte wollten an ihren erworbenen Rechten (Privilegien) keine Abstriche akzeptieren. Die Klientel-Beziehung zwischen Parteien und ihren Wählern wurde zur Dynamik der Politik.

Herkül Millas ist griechisch-türkischer Autor. Ursprünglich ist er Bauingenieur und Politikwissenschaftler. Er hat zahlreiche Bücher über die türkisch-griechischen Beziehungen verfasst und unterrichtet an griechischen und türkischen Universitäten. Er ist 1940 in Ankara geboren, wurde in seiner Jugend türkischer Meister im 100-Meter-Lauf (1962), übersiedelte jedoch 1971 nach Griechenland. Zuvor war seine Familie 1964 zur Auswanderung gezwungen worden. Herkül Millas schreibt regelmäßig in der türkischen Zeitung Zaman. Der vorliegende Artikel wurde dort veröffentlicht.