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Gesellschaft

„Keine Propheten mehr nach Muhammad“

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Seitdem die türkische Regierung offen gegen die vom Islamgelehrten Fethullah Gülen inspirierte Hizmet-Bewegung agiert, kursieren die abstrusesten Theorien. Dabei folgt Gülen nur dem allgemeinen Konsens im Islam. (Foto: zaman)

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HINTERGRUND Die Diskussion über Fethullah Gülen ist nicht neu. Der Diskurs hat einen medial-politischen Aspekt, bei dem eher die Gülen-Inszenierung eine Rolle spielt oder auch die Instrumentalisierung. Und dann gibt es auch noch einen religions- und sozialwissenschaftlichen Diskurs, bei dem auf die Frage wie Gülen und seine Ansichten in die islamische Tradition einzuordnen ist, eine Antwort gesucht wird.

Im Zuge der Korruptionsaffäre in der Türkei sollen nun der in den USA lebende islamische Gelehrte Fethullah Gülen und die von ihm inspirierte Hizmet-Bewegung als Sündenbock für die missliche Lage der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) dienen. Die Enthüllungsskandale der letzten Wochen und die damit zusammenhängenden regierungsamtlichen Erklärungen haben die Diskussionen über Gülen geprägt.

Die Darstellungen des 76-jährigen Predigers in den Medien und den wahlkampfartigen Reden von AKP-Politikern, von wegen, er sei ein „falscher Prophet“, „heuchlerischer Freund Gottes“ und „oberflächlicher Gelehrte“ lösten Entsetzen in der türkischen Gesellschaft aus. Diese Diskussionen rechtfertigen letzten Endes aber, die Frage zu stellen, wer Gülen eigentlich ist und wie er von seinen Schülern und Sympathisanten wahrgenommen wird.

Ist er ein islamischer Mystiker, der sein Leben in Zurückgezogenheit verbringen möchte, oder ein politischer Rivale Erdoğans, der als eine eschatologische Rettergestalt verstanden wird? Die aktuellen Debatten um Gülen haben gezeigt, dass seine Rolle und Bedeutung in intellektuellen islamischen Kreisen wenig bekannt ist. Gülens eigene Aussagen, die Wahrnehmung seiner Schüler und Meinungen namhafter Persönlichkeiten aus dem islamisch geprägten Kulturraum könnten Licht auf die Funktion und Bedeutung des Gelehrten werfen.

Zunächst sollte erwähnt werden, dass der islamische Prediger sich in keinem seiner Werke selbst in irgendeiner Weise eine Erlöser- bzw. Erretterfunktion zuschreibt. In den Lernkreisen, in deren Rahmen sich seine Schüler um ihn sammeln, versteht er sich nicht als Lehrer, sondern als Lernender.

Klare Worte gegen Missbrauch der Hoffnung auf Mahdi und Messias

Gülen vermeidet, so weit es nur möglich zu sein scheint, „ich“ zu sagen, wenn er von sich selbst spricht. Er nennt sich selbst in der Regel als „Faqir“ (arab.: ein Armer; ein besitzloser, bedürftiger Derwisch). Oft bezeichnet er sich auch als „Qitmir“, nach der islamischen Erzählung der Name des Wachhundes der Siebenschläfer von Ephesus. Auch diese Eigenbezeichnung könnte missverstanden werden. Schließlich übernimmt der Wachhund in den Augen Gülens eine sehr ehrenhafte Position. Um jegliche Überheblichkeit zu vermeiden, zieht er dann die Verkleinerungsform von Qitmir vor und nennt sich „Qutaymir“. Seine Bescheidenheit haben sowohl in seinen Vorträgen und Predigten als auch in seinen Büchern sehr tiefe Spuren hinterlassen.

Menschen, die behaupten, der Messias bzw. der Mahdi zu sein, verpflichten andere Menschen dazu, an sie zu glauben. Gülen zufolge werde der Glaube an Messias und Mahdi – wie auch in der Geschichte – heute sehr stark missbraucht. Wenn Menschen sich selbst als Mahdi verstehen, sei dies ein Irrglaube. Wenn sie für sich beanspruchen, der Messias zu sein, führe dies den Menschen zum Unglauben. Niemand könne von sich selbst behaupten, der Messias zu sein. Da unter Messias der Prophet Jesus zu verstehen sei, wäre diese Behauptung eine Verkündung der eigenen Prophetenschaft; demzufolge würde man dem Unglauben verfallen.

Der Prophet Muhammad wird im Koran, Sure 33, Vers 40, als „Gesandter Gottes und das Siegel der Propheten“ bezeichnet. Gülen schließt sich in diesem Zusammenhang dem islamischen Konsensus an und ist davon überzeugt, dass es keine weiteren Propheten mehr geben wird. In der islamischen Tradition sind aber der Glaube an dem Erscheinen eines Mahdis und die Rückkehr des Messias fest verankert.

Laut Gülen liefern uns die islamischen Quellen diesbezüglich keine eindeutigen und unmissverständlichen Informationen. Daher gehöre dieser Glaube nicht zu den islamischen Glaubensgrundsätzen, weshalb ein Muslim weiterhin als Muslim zu verstehen sei und nicht vom Glauben abfallen würde, wenn er nicht an eine Person als Messias bzw. Mahdi glaubt. „Wenn heute ein Verrückter, ein geisteskranker Mensch auftritt und sagt: Ich bin der Messias oder ich bin der Mahdi, hat diese Behauptung für uns keinen Wert, keine Verbindlichkeit“, betont Gülen.

Aus Gülens Werken sind keine Worte und auch keine Andeutungen zu entnehmen, dass er sich für einen Propheten oder für eine andere Rettergestalt hält. Zudem lehnt er wegen seiner Bescheidenheit Anreden wie Gelehrter (Ustaz) ab.

Autoreninfo: Kadir Sancı, M.A., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Potsdam. Zugleich leitet und organisiert er den interreligiösen Dialog im Forum für Interkulturellen Dialog in Berlin. Der Autor ist Gründungs- und Vorstandsmitglied des Bet- und Lehrhauses am Petriplatz in Berlin. In diesem Projekt, in dem je eine jüdische, christliche und islamische Gebetsstätte unter einem Dach vereint sind, vertritt er die muslimische Seite. Er studierte an der Goethe-Universität in Frankfurt a.M. Islamische und Jüdisch-Christliche Religionswissenschaften und Pädagogik.

Hier geht’s zu Teil II: Gülens hohe Wertschätzung in der islamischen Welt