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Gesellschaft

Gülen: „Unterdrückung rechtfertigt keinen Terror“

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Extremismus und Terror sind Phänomene des 21. Jahrhunderts, die immer häufiger auch im Zusammenhang mit dem Islam genannt werden. Fethullah Gülen hat sich nun zu Wort gemeldet und Lösungsansätze formuliert.

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Fethullah Gülen bricht sein Schweigen. Im Interview mit „Zaman“ nimmt er Stellung zu Vorwürfen der AKP-Regierung und regierungsnaher Medien.
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Der muslimische Gelehrte Fethullah Gülen hat in einem Gastbeitrag für den Wall Street Journal die Taten der Terrormiliz IS verurteilt und die Muslime dazu aufgerufen, sich gemeinsam gegen das „Wüten dieses Krebsgeschwürs“ zur Wehr zu setzen.

Als Folge der menschlichen Psychologie und der Dynamiken der Nachrichtenwelt sei es zwar nicht zu verhindern, dass nicht die besonnenen Stimmen, sondern die Radikalen die Themen der Schlagzeilen bestimmten. Das sollte aber kein Grund sein, die Medien zu beschuldigen. „Wir sollten nach neuen Wegen suchen, Gehör für unsere Stimme zu finden“, erklärte Gülen, der als Mentor der weltweit wirkenden Hizmet-Bewegung gilt.

Hier der Meinungsbeitrag von Fethullah Gülen:

„Die Gruppe, die sich selbst „Islamischer Staat“ nennt und als IS bekannt ist, verübt weiterhin ein Blutbad im Nahen Osten. Muslime müssen der totalitären Ideologie, die den IS und andere terroristische Gruppen beflügelt, entgegentreten. Jeder terroristische Akt, der im Namen des Islam verübt wird, hat schwerwiegende Auswirkungen auf alle Muslime. Er entfremdet sie von den Gesellschaften, in denen sie Leben, und vertiefen falsche Annahmen über den Ethos ihres Glaubens.

Es ist nicht fair, den Islam für die Abscheulichkeiten gewaltbereiter Radikaler verantwortlich zu machen. Aber wenn Terroristen unter dem Deckmantel des Islams handeln, dann tragen sie diese Identität mit sich – wenn auch nur nominell. Deswegen müssen Angehörige des islamischen Glaubens alles in ihrer Macht stehende tun, um ein Wuchern dieses Krebsgeschwürs in unseren Gemeinden zu verhindern. Sollten wir dies nicht tun, so sind wir mitverantwortlich für den beschmutzten Ruf unseres Glaubens.

Zu allererst müssen wir Gewalt verurteilen und dürfen nicht in die Falle tappen, die  Opferrolle zu übernehmen. Selbst unter Unterdrückung gelitten zu haben ist keine Entschuldigung dafür, sie dann selbst zu praktizieren oder Terrorismus nicht zu verurteilen. Und dass die Terroristen schwere Sünden im Namen des Islam verüben, ist nicht allein meine Meinung; es ist die unausweichliche Schlussfolgerung einer ehrlichen Studie der Primärquellen: des Koran und den Überlieferungen des Lebens des Propheten. Die Kernprinzipien dieser Quellen – über die Jahrhunderte weitergegeben von Gelehrten, die sich dem Studium der Aussagen und Taten des Propheten sowie der „göttlichen Absicht“, die sich in der heiligen Schrift offenbart, verschrieben haben – widerlegt jegliche religiöse Rechtfertigung der Terroristen.

Ganzheitliches Verständnis des Islam

Zweitens ist es wichtig, für ein ganzheitliches Verständnis des Islam einzutreten. Denn die Angehörigen der Religion leben in verschiedenen Kulturwelten und das kann zur Folge haben, dass sie das Toleranzprinzip manchmal im Widerspruch zu den Grundwerten der Religion missbrauchen. Dieses, obwohl die Deutung der Grundwerte des Islam nicht der Interpretation Einzelner überlassen ist, sondern durch die Primärquellen (Nas) festgelegt ist. Hier kann als Beispiel der Vers im Quran angeführt werden, wo es heißt, dass der Tod eines einzigen unschuldigen Menschen, dem Tod der gesamten Menschheit gleich kommt (Koran, Sure 5, Vers 32). Die Lehren des Propheten verbieten für den Fall eines Verteidigungskrieges Gewalt gegen Nichtbeteiligte, insbesondere gegen Frauen, Kinder und religiöse Würdenträger mit aller Klarheit.

Als Muslime sind wir verpflichtet, für diese Werte einzustehen und uns mit allen Menschen, die Sehnsucht nach Frieden haben, zu solidarisieren. Als Folge der menschlichen Psychologie und der Dynamiken der Nachrichtenwelt ist es nicht zu verhindern, dass nicht die besonnenen Stimmen, sondern die Radikalen die Themen der Schlagzeilen bestimmen. Das sollte aber kein Grund sein, die Medien zu beschuldigen. Wir sollten nach neuen Wegen suchen, Gehör für unsere Stimme zu finden.

Als Drittes sollten Muslime Werte wie das Recht auf Leben, die Würde und Freiheit des Menschen mit einer noch kräftigeren Stimme verteidigen. Diese sind zugleich Grundwerte des Islam und kein – egal ob religiöser oder politischer – Führer hat das Recht, diese den Menschen zu nehmen. Die Verbundenheit zum Ethos unserer Religion verpflichtet uns zugleich eine respektvolle Haltung gegenüber kultureller, sozialer, religiöser und politischer Vielfalt einzunehmen. Die Menschen sind alle als würdevolle Wesen erschaffen worden und unterschiedlich, damit sie sich gegenseitig kennenlernen können, steht im Koran (Sure 49, Vers 13 und Sure 17, Vers 70).

Bedeutung der Wissenschaften

Und viertens sollten Muslime über den Weg der Bildung die Natur- und Humanwissenschaften, die Kunst sowie den Respekt gegenüber jedem Lebewesen allen Mitgliedern einer Gesellschaft zugänglich machen. Die Staaten muslimischer Gesellschaften sollten demokratische Werte in das Curriculum aufnehmen. Auch die Zivilgesellschaft spielt für die Verbreitung von gegenseitigem Respekt und Toleranz eine wichtige Rolle. Das ist der Grund, warum Akteure der Hizmet-Bewegung mehr als 1000 Bildungseinrichtungen und Dialogzentren in über 150 Ländern gegründet haben.

Als Fünftes ist die Bereitstellung und Förderung vernünftiger religiöser Bildung entscheidend, um Radikalen ein Instrument zu entziehen, mit dem sie ihre verdrehten Ideologien verbreiten können und kann eine Präventivmaßnahme gegen sie sein. In vielen muslimischen Gesellschaften werden religiöse Freiheiten eingeschränkt. Das hat zufolge, dass die religiöse Ausbildung sich am Rand der Gesellschaft vollzieht und die Interpretation unqualifizierten und radikalen Personen überlassen wird.

Und nicht zuletzt sollten Muslime Verteidiger gleicher Rechte für Männer und Frauen sein. Frauen sollte in einer Gesellschaft die Gelegenheit gegeben werden, jede Aufgabe oder Rolle, die sie ausführen möchten, auch ausführen zu können. Außerdem sollten sie vor sozialem Druck geschützt werden, der ihre Gleichberechtigung ablehnt. Aischa, die Ehefrau des Propheten, ist hierfür ein gutes Beispiel. Sie war sowohl eine Gelehrte als auch eine Lehrende und hat zudem Führungsaufgaben in der Gesellschaft übernommen.

„Staaten sollten von Erklärungen Abstand nehmen, die Muslime verletzen könnten“

Da der Terrorismus selbst ein Problem mit vielen Dimensionen ist, sollten Pläne zu seiner Bekämpfung auch politische, wirtschaftliche, soziale und religiöse Dimensionen umfassen. Ansätze, die das Problem nur auf die Religion reduzieren, sind ungerecht, sowohl gegenüber den jungen Menschen, die in die Falle der Terroristen tappen können, als auch gegenüber der gesamten Menschheit. Die internationale Gemeinschaft muss sich bewusst werden, dass die tatsächlichen und symbolischen Opfer des Terrors die Muslime selbst sind und die Rekrutierung nur dadurch verhindert werden kann, dass Muslime selbst die Terroristen ausgrenzen. Daher sollten Staaten von Erklärungen und Handlungen, die muslimische Mitbürger verletzen könnten, Abstand nehmen. Gewaltbereiter Extremismus und Terrorismus haben keine Religion. Zu jeder Zeit gibt und gab es Menschen, die religiöse Quellen missbrauchen.

Genauso wie der überwiegende Teil der Christen die Verbrennung des Koran oder die Taten des Ku Klux Klan verurteilt oder die meisten Buddhisten die Unterdrückung der Rohingya-Muslime nicht befürworten, lehnt auch der überwiegende Teil der Muslime Gewalt ab. Im Laufe der Geschichte haben Muslime einen großen Beitrag zum Fortschritt der Zivilisationen geleistet. Unser größter Beitrag erfolgte in Zeiten, in denen wir Werte wie gegenseitigen Respekt, Freiheit und Gerechtigkeit umarmt haben. Es mag schwer sein, das befleckte Ansehen des Islam wieder zu richten, jedoch können Muslime in den Gesellschaften, in denen sie leben, Vorbilder für Frieden und gesellschaftlichen Zusammenhalt sein.“

Englisch: http://www.wsj.com/articles/muslims-must-combat-the-extremist-cancer-1440718377

Türkisch: http://fgulen.com/tr/turk-basininda-fethullah-gulen/fethullah-gulen-hakkinda-kose-yazilari/2015-kose-yazilari/49312-28-agustos-2015-tarihli-kose-yazilari