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Gesellschaft

Halal trifft Koscher

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Die Jüdische Hochschulgemeinde Potsdam und die Muslimische Hochschulgruppe Berlin richteten in Zusammenarbeit mit dem Rat Muslimischer Studierender und Akademiker (RAMSA) erstmals ein interreligiöses Iftar am Schabbat aus. (Fotos: Ömer Baysal)

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Halal trifft Koscher
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In der Hauptstadt fand ein besonders erlesenes Iftar-Essen statt. Und ich hatte die Freude, daran teilzunehmen.

Als ich die Überschrift des Flyers lese, stutze ich einen Augenblick, denn der Name klingt selbst für einen bewährten Iftar-Teilnehmer wie mich relativ neu. Ein Treffen von Halal und Koscher, also Muslimen und Juden – eine durchaus interessante Begegnung; für mich zumindest und dann noch an einem Samstag, nämlich dem Schabbat.

Ich bin nicht der Einzige, der das so sieht. Das Interesse ist riesig. Es heißt sogar, dass man pünktlich um 17.30 Uhr erscheinen solle, sonst fände man keine freien Plätze. Fast vier Stunden vor dem Fastenbrechen eintreffen? – Das hatte ich bisher nicht erlebt. Was sollte in dieser Zeit arrangiert werden, sage ich mir und beeile mich – schließlich hat der Stadtteil Neukölln seit seiner Gründung sicherlich einen Iftar in dieser Art nicht erlebt.

Ich werde vielen Leuten begegnen und allein dies wird reichlich Zeit in Anspruch nehmen, dachte ich optimistisch, da besonders an langen Sommertagen das Fasten einen nicht selten des Öfteren auf die Uhr schauen lässt. Als ich mich nun in den großen Saal der Evangelischen Kirchengemeinde begebe, finde ich mich in einer sehr originellen, für mich ungewohnten Atmosphäre wieder.

Tatsächlich ist es randvoll im Foyer. Ein buntes Gemisch von Studenten, vielen Frauen mit Kopftüchern, bärtigen Männern, darunter eine Vielzahl mit einer Kippa (jüdische Kopfbedeckung). Zwar hatte ich vorher Interaktionen à la Dialog der drei monotheistischen Religionen verfolgt, sodass mir interreligiöse Zusammenkünfte durchaus vertraut sind, jedoch fällt mir hier die besonders positive Stimmung auf. Die Gäste sitzen ziemlich dicht beieinander, auch untereinander. Im Endeffekt sind es junge Studenten; sie sind viel offener, wollen neue Menschen kennenlernen und sind an anderen Lebensarten interessiert, denke ich.

„Wir wollen, dass hinterher etwas bleibt“

Unweit von unserem Pressetisch sitzt eine Gruppe jüdischer Akademiker. Ich begebe mich zu ihnen, stelle mich vor und dann geht es los mit dem Gedankenaustausch. Ich fühle, dass sich eine Empathie bildet. Die Studenten sind motiviert, zu allen Fragen, die das Judentum betreffen, eine plausible Antwort zu geben. Und es fällt der Blick auf die Vielzahl der Gemeinsamkeiten zwischen Muslimen und Juden, besonders mit Blick auf kulturelle Voraussetzungen und Wirkungen des Veranstaltungsthemas. Es entstand eine Gesprächskultur wieder, wie sie sich während des jahrhundertelangen Zusammenlebens entwickelt hatte, später jedoch in Vergessenheit geriet.

„Wir wollen, dass hinterher etwas bleibt“, sagt die jüdische Studentin. Ihre Augen funkeln dabei. Begleitet von osmanischen Klängen des Künstlers Orhan Şenel vertieft sich unser Gespräch. Unsere Konversation beinhaltet diverse Themen, wie die Aufnahme der europäischen Juden während der Inquisition durch die Osmanen bis hin zur Flucht jüdischer Akademiker in die Türkei während des Dritten Reiches.

Koranverse und musikalische Thorarezitation hallen in harmonischer Reihenfolge durch den Saal. Diese Begegnung scheint mehr als ein Dialog zu sein. Die Organisatoren von der Muslimischen und Jüdischen Hochschulgruppe zeigen mit einer schauspielerischen Inszenierung allen, dass sie den Mut haben, auch mit Klischees humorvoll hantieren zu können und dabei alle Anwesenden zu amüsieren.

Mit dem Adhan-Ruf kurz nach 21 Uhr darf auch wieder gespeist und getrunken werden. Ich merke, dass alle Teilnehmer Appetit auf die angebotenen Köstlichkeiten bekommen haben, denn sowohl die jüdischen als auch die andersgesinnten Gäste verhalten sich während der Fastenzeit höchst respektvoll und zeigen Rücksicht und Teilnahme gegenüber den fastenden Anwesenden.

Ich merke, dass dieses Treffen kein durchschnittliches Abendessen darstellt, wo man genügsam den Hunger zu stillen versucht. Es ist auch kein Iftar wie jedes andere. Vielmehr steht das Bedürfnis im Vordergrund, den anderen Zeitgenossen kennen zu lernen, der in der Gesellschaft ähnlichen Vorurteilen und Ressentiments ausgesetzt ist. Für viele ist es die erste echte Konfrontation mit dem Anderen. Und von diesen geht es vielen genauso. „Zum ersten Mal spreche ich mit einem Juden“, sagt eine Studentin.

Halal trifft Koscher Zwischenbild.png

Kein Raum für Ressentiments

Unmittelbar von unserem Tisch sitzt eine junge Frau. Mit dem Blick zur Wand, ihr Rücken ist zum Publikum gerichtet. Sie machte einen recht scheuen Eindruck, als ich frage, woher Sie kommt. „Ich komme aus Israel, studiere aber in der Schweiz”, sagt sie mit ihrem süddeutschen Dialekt. Ich schmunzele und bemerke, dass sie einen etwas introvertierten Eindruck mache. „Es herrscht doch ein schönes Ambiente“, argumentiere ich und möchte den Grund für ihr scheues Auftreten wissen. Es kann eventuell zum Überwinden der Begegnungsängste nützlich sein, denke ich und stelle ihr eine türkische Künstlerin vor. Sie lächelt und deutet darauf, dass sie bisher nicht unter so vielen Muslimen gewesen sei und dass ein Freund erst vor zwei Stunden sie dazu überredet hätte, ihn zu begleiten. „Mir ist es wegen meines Namens etwas unangenehm, denn es ist ein ideologischer Name und ich befürchte, dass ich deswegen auf negative Reaktionen stoßen kann“, erwähnt sie. Ich lache unbeschwert auf: „Keine Sorge, lass alles Negative draußen, entspann dich und genieße die Vielfalt!”

Mit Eintritt der Nacht wird mit einem letzten Ritual der Schabbatausgang (Hawdala) begangen und das aufwendige Programm beendet. Bevor alle gehen, finde ich die fleißige Organisatorin Betül Genç, die Vorstandsvorsitzende der Muslimischen Hochschulgruppe Berlin, und bitte sie um ein kurzes Interview:

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, diese Veranstaltung zu organisieren, was hat Sie dazu bewegt?

Die Muslimische Hochschulgruppe Berlin organisiert jedes Jahr eine Iftarveranstaltung im Ramadan. Insbesondere der Ramadan gilt für die Muslime als die Zeit der Spiritualität und Einigkeit, was uns zu der Idee brachte, das diesjährige Fastenbrechen zusammen mit der Jüdischen Hochschulgemeinde Beth Hillel interreligiös auszurichten. Als „Abrahams Enkel“ sollten Juden und Muslime in einem christlichen Gemeindehaus Gemeinsamkeiten entdecken, Unterschiede benennen und diese auch aushalten, um einander in Respekt zu begegnen. Denn Berlin ist eine Stadt, wo Menschen unterschiedlichster Konfessionszugehörigkeit aufeinandertreffen. Wir brauchen deshalb Gelegenheiten, in denen Menschen zusammenkommen, sich gegenseitig kennenlernen, Vorurteile abbauen und so einen Beitrag für den Zusammenhalt leisten. Das Rollenspiel zum „jüdischen und muslimischen Alltag“, dass am Abend vorgeführt wurde, sollte daher dazu beitragen, Vorurteile wie zum Beispiel gegen das Tragen von Kopftüchern für muslimische Frauen abzubauen, sowie Pauschalurteile über angebliche typische Verhaltensmuster von Juden zu vermeiden. Und da es beim Fastenbrechen auch ums Essen geht, sollte der Titel „Halal trifft auf Koscher“ genau diese vielen Überschneidungen, aber auch einige entscheidende Unterschiede zum Ausdruck bringen.

Wissen Sie etwa, wie viele Personen an diesem Abend beteiligt waren?

Wir haben über 200 Besucher registriert und fühlen uns geehrt, dass sogar Interessierte aus anderen deutschen Städten extra zur Veranstaltung gekommen sind.

Was ist Ihr Eindruck? Welche Einzelheiten haben Sie vor, während und nach der Veranstaltung beobachtet?

Mit der Jüdischen Hochschu
lgemeinde zusammen hatten wir natürlich eine wochenlange Vorbereitungszeit. Die Veranstaltung sollte ein Zeichen setzen, dass ein gemeinsames Projekt zwischen Juden und Muslimen wunderbar funktionieren kann, solange man einander mit Respekt und Toleranz begegnet. Jeder war interessiert, die Besonderheiten in der Religion des anderen kennen zu lernen und diese in das Programm einfließen zu lassen. Offene Informationen über die eigene Religion und Kultur ließen die anfänglichen Berührungsängste verschwinden, so dass wir locker über die typischen Klischees lachen konnten. Ganz besonders empfand ich für mich, wie die Gäste am Ende der Veranstaltung etwas länger geblieben sind, um mit den Veranstaltern gemeinsam den Saal aufzuräumen. Es war einfach großartig anzusehen, wie Muslime und Juden Hand in Hand die Stühle und Tische wegtrugen. Die freudigen Gesichter der Besucher und die vielen positiven Rückmeldungen von allen Seiten sind ein Zeichen dafür, dass wir es richtig gemacht hatten.

Wird es weiterhin ähnliche Veranstaltungen geben? Wenn ja, was wäre das nächste Projekt?

Nach all der positiven Resonanz, sowohl am Tag der Veranstaltung als auch danach, ist es unser großer Wunsch, das Projekt auch im nächsten Jahr weiterzuführen. Vielleicht abwechselnd unter dem Titel „Koscher trifft auf Halal“ oder „Kippa trifft auf Kopftuch“? Auf Facebook hält die Begeisterung der Besucher noch an und wir hoffen, dass diese bis zu der kommenden Veranstaltung noch weiter ansteigt.